Die Alten gehen – die Jungen bleiben aus

Der Frauenkreis der evangelischen Gemeinde in Bukarest gibt die Hoffnung auf Nachwuchs nicht auf

„Leider sind heute nicht so viele gekommen“, entschuldigt sich Maria Constantinescu. Unermüdlich versucht sie, die Frauen nach der Bibelstunde noch zum Bleiben zu überreden.

Seit mehr als acht Jahren ist Maria Constantinescu Vorstandsfrau des Frauenkreises. Die ehemalige Handballerin ist der Kitt, der die Gruppe zusammenhält.

Katharina Ivan begutachtet die bunten, fertig gestrickten Mützen. Sie werden zusammen mit anderen selbst gemachten Kleidungsstücken an ältere Gemeindemitglieder an Weihnachten verschenkt.

Im Gemeindezimmer der Kirche trifft sich der Frauenkreis jeden Donnerstag.
Fotos: Elisa Werner

Es herrscht aufgeregtes Stimmengewirr im Saal der Kirche der deutschen Gemeinde in Bukarest. An einer großen Tafel, die aus Tischen zusammengeschoben wurde, diskutieren mehrere Frauen im Rentenalter lebhaft miteinander. Es werden Neuigkeiten aus dem Bekanntenkreis ausgetauscht. Ausgestattet sind sie mit Strickzeug – manche haben Wollreste dabei, andere Strick- und Häkelnadeln, wieder andere präsentieren fertige Socken und Platzdeckchen. Eine Kerze wurde angezündet, jemand hat Schokolade für alle mitgebracht.

Herzblut und Überzeugungskunst

So geht es fast jeden Donnerstag zu, im Gemeindesaal der deutschen evangelischen Gemeinde in Bukarest. Nach der Bibelstunde setzt sich der Frauenkreis dort zusammen und spricht über das Vorankommen der Handarbeiten sowie über anstehende Projekte, die ein wenig Vorbereitung bedürfen. Oder zumindest versucht man es.

„Nach der Bibelstunde versuche ich, die Frauen immer zu überreden, noch ein wenig hier zu bleiben“, sagt Maria Constantinescu, Vorstandsfrau des Frauenkreises. „Aber das gelingt mir nicht immer.Viele müssen schnell wieder weg, da sie einen langen Weg nach Hause oder noch etwas zu erledigen haben.“

Seit über acht Jahren leitet Maria Constantinescu schon den Frauenkreis und ist so etwas wie der Kitt, der die Gruppe zusammenhält. Auch wenn dies nicht immer einfach ist, so versucht sie doch, die verbliebenen Frauen stets aufs Neue zu motivieren, noch ein wenig zusammenzusitzen und sich zu unterhalten. Immer weniger werden es, die sich an der Frauenarbeit in der Bukarester Gemeinde beteiligen, doch jüngere Frauen rücken nicht nach.
„Wir versuchen zwar ständig, neue Leute zu überzeugen, zu unserem Frauenkreis zu kommen, aber das funktioniert leider nicht immer. Die jüngeren Frauen müssen arbeiten und viele der älteren sind nicht mehr so mobil“, erklärt die Rentnerin verständnisvoll.

Doch in ihrer Stimme schwingt auch etwas Resignation mit. Genau 970 Mitglieder hat die evangelische Gemeinde in Bukarest, 120 leben in Diasporagemeinden – damit ist sie die zweitgrößte der Landeskirche in Rumänien. Es engagieren sich allerdings nur die  wenigsten – manche wollen, viele können es nicht.

Trotzdem oder vielleicht gerade deswegen steckt Maria Constantinescu ihr ganzes Herzblut in die Frauenarbeit. Seit sie 1958 nach Bukarest zog, engagiert sich die herzliche Dame, die von allen nur „Mitzi“ genannt wird, in der deutschen Kirchengemeinde. „Wenn jemand krank war, dann bin ich für ihn eingesprungen – ich habe immer geholfen, wo ich konnte“, erklärt sie. „Es hat mir schon immer Freude bereitet, mich in der Gemeinde einzubringen.“

Stricken für die Bescherung

Als Vorstandsfrau hält sie den Kontakt zu den anderen deutschen Gemeinden der Evangelischen Kirche A. B. in Rumänien. Regelmäßig fährt sie zu Vorstandssitzungen der Frauenarbeit nach Hermannstadt/Sibiu, zuletzt war sie dort im November. Zu ihren Aufgaben gehört auch das Schreiben von Berichten über die Arbeit des Frauenkreises. Sie entscheidet, an welchen Programmpunkten der Frauenarbeit, die jährlich von der evangelischen Kirche festgelegt werden, man sich in Bukarest beteiligt.

Sie verteilt ein kleines grünes Heftchen an jede der Frauen: Das Halbjahresprogramm für 2014, das Monat für Monat genau vorausgeplant wird, herausgegeben von der Frauenarbeit für alle deutschen evangelischen Gemeinden in Rumänien.

Wandertage, Seminare, Töpferwerkstatt und noch einiges mehr stehen, vor allem in den Orten Siebenbürgens, auf der Agenda. „Wir können leider nur sehr wenig davon machen“, gesteht Maria Constantinescu. „In Hermannstadt haben sie schon mehr Möglichkeiten, allein weil sich viel mehr Leute daran beteiligen.“

Im Bukarester Frauenkreis wird in der Vorweihnachtszeit vor allem gestrickt und gehäkelt. Jedes Jahr werden Mützen, Schals,Wollwesten und andere wollene Kleidungsstücke von den Frauen hergestellt und gesammelt, um sie dann als Weihnachtsgeschenke an die Gemeindemitglieder über 75 Jahre zu verteilen. „Die Menschen freuen sich immer sehr, wenn neben dem Paket mit Lebensmitteln auch ein kleines Päckchen mit etwas Gestricktem oder Gehäkeltem von uns liegt“, so Constantinescu.

Im Gemeindezimmer entspinnt sich unterdessen zwischen den sechs noch verbliebenen Frauen eine Diskussion, wie man am besten vorgehe, um die unzähligen Knöpfe noch zu sortieren, bevor sie an Westen und andere Kleidungsstücke genäht werden. Zwei Frauen bringen bunte Wollknäuel aus dem Kellerraum, wo das Material das ganze Jahr über gesammelt wird.
Die meisten stricken zu Hause und liefern die fertigen Sachen dann bei der Vorstandsfrau ab. Die Vorbereitungen für die Bescherung laufen auf Hochtouren. Maria Constantinescu gibt Anweisungen, welche Dame noch was zu stricken oder zu häkeln hat.

Ausflüge wecken Erinnerungen, werden aber immer seltener

Materielle Unterstützung erhält der Frauenkreis von der evangelischen Gemeinde Mönchengladbach, welche regelmäßig Pakete mit Wolle und halbfertig gestrickten Kleidungsstücken nach Bukarest sendet. „Dieses Jahr ist schon das dritte Paket von dort gekommen“, freut sich Maria Constantinescu. „Wir schreiben dann immer ein Dankeschön, denn sie sind wirklich sehr lieb.“

Die Partnerschaft zwischen den beiden Gemeinden besteht schon seit mehreren Jahren. Sogar einen Besuch haben ein paar der Frauen der Gemeinde Mönchengladbach vor ein paar Jahren schon einmal abgestattet. Gemeinsame Ausflüge macht man trotzdem eher selten.

Außer bei den Zusammentreffen aller Frauenkreise der Evangelischen Kirche in Rumänien und den meist kurzen Sitzungen nach der Bibelstunde unternehmen die Frauen nicht viel miteinander. „Ich habe einmal versucht, einen Tagesausflug zu machen mit dem Frauenkreis“, erklärt Maria Constantinescu ein wenig frustriert. „Aber viele sagen dann ab: Die eine sagt, sie hätte noch etwas zu erledigen, der anderen geht es nicht so gut, wieder eine andere hat irgendetwas anderes.“

Vor ihr liegt nun eine Liste mit all jenen Personen, die dieses Jahr Weihnachtspäckchen mit Selbstgestricktem bekommen. Auf drei Seiten stehen 150 Namen, die Zahl der Bedürftigen steigt ständig, allein im Jahr 2013 sind 20 neue hinzugekommen Es sei wieder jemand gestorben, weiß eine der Frauen zu berichten. Schnell ist der Name gefunden und gestrichen. Die Liste befindet sich immer im Wandel.

Eine der Frauen hat Fotos von einer Frauenfreizeit in Michelsberg mitgebracht. Auf einem sind sie bei der Morgengymnastik zu sehen. Es sind deutlich mehr Frauen, als die, die nach der Bibelstunde geblieben sind. Maria Constantinescu schaut fröhlich in die Kamera. Die Rentnerin spielte früher in der rumänischen Nationalmannschaft Handball und versucht manchmal heute noch, den Frauenkreis zu ein paar Übungen zu überreden. Für sie gehört Gymnastik noch immer zum allmorgendlichen Ritual. „Ich bin die Sportlehrerin hier“, lacht die einst erfolgreiche Handballerin.

Durch die Fotos kommen die Frauen ins Erzählen – gerne schwelgt man in Erinnerungen. „Wir hatten früher auch mal eine kleine Tanzgruppe“, erzählt Maria Constantinescu mit leuchtenden Augen. „Einige Frauen waren auf eine Seniorenfreizeit in Deutschland eingeladen und lernten dort Tänze. Dann kamen sie wieder und zeigten uns die Tänze. Sie hatten auch eine CD mit der Musik und dann haben wir getanzt. Es war herrlich.“

Ungewisse Zukunft der Frauen

Es klingt immer auch ein wenig wehmütig, wenn Maria Constantinescu von „früher, als noch mehr Frauen kamen“ erzählt. Der Frauenkreis dezimiert sich zusehends. Im Gemeindraum entspinnt sich eine Diskussion, wer wohl Marias Nachfolgerin werden könnte. „Vielleicht kommt ja noch eine jüngere Frau, die wir wählen könnten“, sagt eine der Frauen abschließend. Die Hoffnung ist noch nicht verloren.

Auch Andrei Pinte findet diese negative Entwicklung bedauernswert: „Anfangs kamen jeden Donnerstag etwa 20 Frauen in die Bibelstunde“, so der junge Pfarrer, der bereits seit fünf Jahren in der evangelischen Gemeinde in Bukarest tätig ist. „Heute kommen nur noch acht oder neun von ihnen. Es sterben eben immer welche und es kommt niemand mehr nach.“

Langsam leert sich der Gemeinderaum der Kirche, draußen wird es dunkel. Wollknäule werden in Tüten gepackt und fertig gestrickte Socken und Westen noch schnell in den Keller geräumt.
„Nach der Bescherung und den Feiertagen geht es für uns dann gewöhnlich gleich weiter mit den Vorbereitungen für den Weltgebetstag am 7. März“, erklärt Maria Constantinescu. Zudem werde schon wieder begonnen, gestrickte Sachen für die nächsten Weihnachtsfeiertage zu sammeln. So werden sich die Frauen der evangelischen Gemeinde weiterhin mit viel Herzblut ihrer Arbeit widmen. Auch wenn die Zukunft ungewiss ist.