Die Bresche in der Festung

Nach den hastigen Umdeutungen ihres Regierungsprogramms und der radikalen Kehrtwende in Sachen Überschüttung der Nation mit Geld – weil der Geldsack leer und jede Füllmaßnahme unpopulär ist – zeigt die Regierungskoalition PSD/ALDE nun mit dem Projekt zu einer Justizreform ihr wahres Gesicht: ihr einziges Ziel ist, alle Straffälligen aus ihren Reihen, in erster Linie die beiden Parteivorsitzenden Dragnea und Popescu-Tăriceanu, straffrei ausgehen zu lassen, indem Gesetze geändert oder „demokratisch“ gebeugt werden. Ihre Parlamentsmehrheit scheint ihr ideal zur Gesetzesbeugung. Der Justizminister, Ex-Rektor der Jassyer Universität, Tudorel Toader, hat endlich gezeigt, wer er tatsächlich ist: ein kleiner, kriecherischer Diener der Gesetzesübertreter an den Parteispitzen, der tut, was von ihm gefordert: Er zerstört den Rechtsstaat, indem er ihn der Politik untertan macht. Dazu baut er auf die Unterstützung des Verfassungsgerichtshofs CCR, mit seinem PSD-treuen Vorsitzenden Valer Dorneanu, dem Vorreiter der Bannung demokratischer Meinungen. Nach dem Sturz der Grindeanu-Regierung führte die PSD zuerst einen skurrilen medialen Eiertanz auf mit Ideen, wie der Goldesel der Nation, das Staatssäckel, reanimiert werden könnte. Im Drei-Tage-Rhythmus kollidierten die jeweils als „offiziell“ ausgegebenen Meinungen und Mutmaßungen (Ursprung: meist das PSD-Duo Dragnea-Vâlcov) und sorgten für heilloses Wirrwarr in Medien und Unternehmertum.

In der vorletzten Augustwoche zog dann der Justizminister mit weißen Handschuhen den Stinkhasen aus dem Zylinder. Die PSD-ALDE-Koalition beweist, dass sie, entgegen dem offensichtlichen Torkelkurs ihrer Sozial- und Wirtschaftspolitik, auch konsequent sein kann. Nur: ausschließlich dann, wenn es um die Interessen ihrer Straftäter geht. Mit der beabsichtigten Unterwanderung der Unabhängigkeit der Justiz und ihrer totalen Unterordnung gegenüber der Politik, dem Vorpreschen des Justizministers, wäre der Rechtsstaat in Rumänien abgewürgt. In der seit Regierungsübernahme durch PSD-ALDE belagerten Festung Justiz entsteht die Bresche. Der Grund: Verrat des Festungskommandanten. Der sich völlig loyal gegen-über denjenigen zeigt, die ihn, den brav-unscheinbaren Provinzjuristen mit Universitätsrang, zum Chef erhoben haben.

Dass er die Justizinspektion zu Beginn seines zweiten Mandats auf die Antikorruptionsbehörde DNA und auf die Generalstaatsanwaltschaft gehetzt hat – mit eindeutigem Mandat: die ‘Schuldigen’ an deren Spitze zu filzen und eine Handhabe zu deren Entfernung zu kreieren – um dann nachzulegen und dieselbe Justizinspektion auf Generalstaatsanwalt Augustin Lazăr anzusetzen, da der sich weigerte, eine vom Justizminister geforderte Gesetzesübertretung zu begehen: Kopien einer ad acta gelegten staatsanwaltlichen Untersuchung dem Parlament, einem außergerichtlichen Organismus, zur Verfügung zu stellen. Soll der Jurist Toader nicht gewusst haben, dass das gesetzwidrig ist? Da die Justizinspektion wohl nicht die Erwartungen der Auftraggeber erfüllen kann, versucht der Justizminister nun, sie – eine unabhängige Institution - sich unterzuordnen. Egal, wer der/die politisch Ernannte ist. Wie zu Zeiten der Securitate-Informantin Rodica Stănoiu, Ex-PSD-Justizministerin. Das Verfassungsgericht CCR ist auf dem Weg, sein eigener Gesetzgeber zu werden und zur einzigen Rechtsinstitution, die befugt ist, ihre und die Beschlüsse anderer Rechtsinstitutionen außer Kraft zu setzen. Eine brandgefährliche Richtung, weil die Mitglieder des CCR politisch ernannt sind und die Absicht besteht, das (ohnehin schwache) Korrektiv des Präsidentenamtes bei der Mitgliederernennung ganz auszuschalten. Da bleibt als einzige Rettungsstrategie des Rechtsstaats ein Paradox: ziviler Ungehorsam und Straßenproteste. Letztere sind gestartet.