Die Bürde mit der Würde

...oder was heutzutage als „ehrwürdig“ gilt

Würde ist ein Modewort geworden: Nicht nur, dass man ständig belehrt wird, was Menschenwürde heutzutage alles bedeutet, jetzt spricht man auch, wie Wolfgang Schäuble, von der „Würde” des Amtes – seit wann haben Behörden menschliche Eigenschaften wie die „Würde”? Die Meldung, dass der vermeintliche Ex-Leibwächter Osama bin Ladens, ein tunesischer Staatsbürger, der seit zwanzig Jahren in der Bundesrepublik von „Transferleistungen“, Neudeutsch für Sozialhilfe, lebt, nach Deutschland zurückgeholt werden muss, nachdem er nach unzähligen Versuchen abgeschoben worden ist, hat nicht nur anscheinend mit der Menschenwürde zu tun, sondern sogar mit dem Rechtsstaat und somit auch mit der neuen „Würde des Amtes“.

Kaum wurde die Abschiebung durch das Auswärtige Amt bestätigt, wurde in etlichen deutschen Zeitungen berichtet, der Tunesier müsse „vielleicht“ zurückgeholt werden, auf Kosten der Ausländerbehörde, da die Abschiebung laut Verwaltungsgericht der Stadt Gelsenkirchen „grob rechtswidrig“ war und „grundlegende staatliche Prinzipien“ verletzt habe. Konkret geht es in dem Fall von Sami A. um eine nicht erteilte „diplomatisch verbindliche Zusicherung“ Tunesiens, dass dem Salafisten in seinem Heimatland keine Folter drohe. Am 13. Juli wurde aus dem „Vielleicht“ ein klares Ja: Sami A. muss zurückgeholt werden. Das einzige Problem: Tunesien, ganz würdig, weigert sich, seinen eigenen Staatsbürger auszuliefern.

Wer ist Sami A.?

Der offiziell als Gefährder eingestufte Salafist ist, wie bereits erwähnt, tunesischer Staatsbürger, der im Jahre 1997 mit einem Studentenvisum nach Deutschland gekommen war. Wissensdurstig fand er ausreichend Zeit, um für die Terrorgruppe Al-Kaida tätig zu werden, zweifellos ein Erfolg des „Work-Life Balance Programms“ der deutschen Universität, die Sami A. besuchte. Ungemütlich wurde es für den Tunesier erst, als ein Zeuge 2005 vor Gericht aussagte, der Musterstudent Sami A. sei eigentlich der Leibwächter von Osama bin Laden. Ferner ist bekannt, dass er mit einer Tunesierin verheiratet ist, die die deutsche Staatsbürgerschaft erworben hat, er mehrere Kinder hat, allesamt in Deutschland geboren, und in Bochum von Sozialhilfe lebt, die ihm vom Steuerzahler (inklusive „Armutsmigranten“ aus Rumänien und Bulgarien, die bei Erwerbstätigkeit vom deutschen Staat ab Tag eins voll besteuert werden) gezahlt wird. Die Sozialhilfe des deutschen Staates ist großzügig, sie beziffert sich auf stolze 1100 EUR pro Monat – mehr also als so manch ausländischer Doktorand, polnische Krankenpflegerin oder ukrainische Putzfrau in Deutschland, die für anständige Arbeit ihren Lohn verdienen. Zu guter Letzt beeindruckt die Leserschaft auch, dass seine Abschiebung, immer per Gerichtsurteil in letzter Minute, sage und schreibe 10 Mal verhindert worden ist, weil sich die tunesische Regierung (auch nach dem Aufstand im Jahre 2011, als der damalige tunesische Präsident Zine el-Abidine El Ali nach Saudi-Arabien floh) stets geweigert hatte, eine Zusicherung auszustellen, dass Sami A. in seinem Heimatland nicht gefoltert oder „erniedrigenden Behandlungen“ unterworfen werden könnte.

Wann ist ein Rechtsstaat ein Rechtsstaat?

Ich habe immer wieder erstaunt erlebt, wie viele Menschen in Deutschland, allesamt Akademiker und begeisterte (oder auch stille) Befürworter der unkontrollierten Masseneinwanderung, wenn sie mit dem Fall Sami A. konfrontiert worden sind, stets das Pseudoargument „Gerechtigkeit ist nur ein Gefühl, das Recht aber gilt immer“ aufgeführt haben, frei nach dem Motto, das wäre ja nicht unbedingt gut, aber das Gesetz verlangt es so. Und deshalb wäre das Ganze, wenn nicht moralisch, dann eben juristisch zu rechtfertigen, weil ja Deutschland ein (wenn nicht der!) Rechtsstaat sei. Auch jetzt gibt es in den sozialen Medien viele Kommentare, Zeitungsartikel und sogar Politiker, wie der Grüne Robert Habeck, die anscheinend heilfroh sind, dass ein Sami A. zurückgeholt werden soll, auch „wenn es weh tut“. Der gerichtliche Beschluss, den Salafistenprediger zurückzuholen, sei, so die „Welt“ vom 14. Juli 2018, „ein Zeichen dafür, dass unser Rechtsstaat funktioniert“. Man könnte es auch anders formulieren: Je absurder, desto rechtsstaatlicher und umso masochistischer, wie es scheint. Merkwürdig war aber, dass dieselben Personen es mit der von ihnen so hochgepriesenen Rechtsstaatlichkeit überhaupt nicht genau genommen hatten, als es um illegale Migration ging (ein Professor fragte mich in einem herablassenden Ton, wieso die Illegalen und Abgelehnten nicht bleiben sollen, wenn sie es ja wollten!). Wenn der deutsche Staat so peinlichst auf Gesetze und nicht auf „humanitäre Imperative“ in der Flüchtlingskrise oder bei den nicht abgeschobenen, aber abgelehnten Asylbewerbern geachtet hätte, wie nun im Falle des Salafistenpredigers Sami A., dann könnte ja man behaupten, es gäbe so etwas wie Konsequenz im deutschen Rechtsstaat und im öffentlichen Diskurs. So wie es aber jetzt aussieht, gibt es nur eine atemberaubende Heuchelei, die sich immer breiter macht.

Im Grunde ist es einfach nur eine Wiederholung einer älteren westeuropäischen Heuchelei: Einerseits die rechtlichen Restriktionen gegen Osteuropäer, denen in den 90er-Jahren ständig Gesetz und Recht vorgehalten wurden, andererseits stellt man heute fest, dass es bestimmte Kategorien von Ausländern gibt, bei denen anscheinend kein Gesetz mehr greifen kann, die jedoch stets mit „Menschenwürde“ und „humanitäre Imperative“ überhäuft werden. Die „Ossis“ sollen alle Gesetze einhalten und ständig für das Glück, in Deutschland leben zu dürfen, dankbar sein, da kennt der Deutsche kein Erbarmen (man erinnere sich nur an die CSU-Kampagne „Wer betrügt, fliegt!“ aus dem Jahre 2014, das war vielleicht eine „Willkommenskultur“, minus Teddybären und Jubelszenen am Bahnhof), andere haben jedoch nichts zu befürchten, auch wenn sie Gesetze nicht einhalten, da es „die Moral“ so verlangt. Dies hat dessen ungeachtet zur Folge, wie ein türkischer Freund vor Kurzem bemerkte, dass man gesetzestreue Ausländer einfach nur verhöhnt, indem man ihnen ständig vor Augen führt, wie einfach es doch ist, die Regeln zu brechen, vor allem aber, wie leicht es ist, von diesem Gesetzesbruch zu profitieren. Und umgekehrt, wie man „bestraft“ wird, sobald und weil man alle Regeln einhält – er nannte als Beispiel einen von ihm gestellten Antrag auf ein EU-Touristenvisum im Jahre 2016 und die damit verbundenen Restriktionen, Bürokratie, lange Wartezeit und äußerst gewissenhafte Kontrolle seitens der EU. Viel einfacher wäre es ja gewesen, gab der besagte Freund an, anstatt das Visum zu beantragen, den Pass wegzuwerfen und in Deutschland einen Asylantrag zu stellen. Das ist offensichtlich in der heutigen Zeit sowohl tatsächlich wahr als auch vollkommen unbegreiflich für alle, die noch glauben, Gesetze sollten einen Sinn haben.

Wenn die hoch beschworene Menschenwürde zu solch modernen „Sami A.- Scheherazaden“ führt, muss man darüber nachdenken, welche Konsequenzen das Ganze hat, ob der ehrliche Bürger, sofern es diesen überhaupt noch gibt, auch Vertrauen in den (Rechts)Staat haben kann. Eine Problematik ganz wie in der Geschichte aus „Tausendundeiner Nacht“: Auch dort geht es auch um einen Vertrauensbruch – der Auslöser ist, dass die Ehefrau des Schahs ihn mit einem Sklaven betrogen hatte, wofür der Schah (ganz im Einklang mit der „Würde seines Amtes“) seine Ehefrau töten ließ und seinem Wesir die Anweisung gab, ihm fortan jede Nacht eine neue Jungfrau zu bringen, die am nächsten Morgen auch umzubringen sei. Das Ende im Falle Sami A. bleibt also abzuwarten, schließlich endeten auch die Geschichten der armen Scheherazade nach ca. umgerechnet 2,7 Jahren, nur die Geschichte des Salafisten scheint eine deutlich schlechtere Fassung des deutschen Klassikers „Die unendliche Geschichte“ zu sein.