„Die Bürger müssen ihre Rechte einfordern!“

Der Vorsitzende der Vereinigung für Verbraucherschutz, Sorin Mierlea, fordert ein Umdenken in der Gesellschaft

Sorin Mierlea ist Vorsitzender der Vereinigung für Verbraucherschutz. Er fordert im ADZ-Gespräch ein Umdenken in der Gesellschaft: Jeder müsse wissen, dass er seine Rechte wahrnehmen kann. Bild: Nationale Vereinigung für Verbraucherschutz „Protecţia Consumatorilor“

Auseinandersetzungen mit Unternehmen, öffentlichen Stellen oder im alltäglichen Geschäftsleben: Kritische Bürger und Verbraucher haben seit 2003 in der Vereinigung für Verbraucherschutz (Protecţia Consumatorului) einen Ansprechpartner, der im Streitfall zwischen den Betroffenen und den vermeintlich Schuldigen vermittelt. Ihr Vorsitzender Sorin Mierlea erläutert in einem Interview mit der ADZ ausführlich ihre Aktivitäten, Ziele und ihr Selbstverständnis in der rumänischen Zivilgesellschaft. Das Gespräch mit Sorin Mierlea führte Philipp Hochbaum.


Herr Mierlea, vielen Bürgern und Verbrauchern ist die Vereinigung für Verbraucherschutz bereits ein Begriff. Inwiefern schlägt sich dies in Beschwerden und Reklamationen nieder?

Uns erreichen in der Tat sehr viele Beschwerden – pro Monat treffen etwa 9000 Reklamationen über die Medien, Anrufe, E-Mail oder durch persönliche Gespräche bei uns ein. Allerdings kann nur die Hälfte davon auch ernsthaft verfolgt werden. Das Problem ist nämlich, dass viele Leute aus Angst vor persönlichen Konsequenzen vor einer ernsthaften Aufklärung zurückschrecken. Jede Reklamation muss mit Angaben zur Person versehen und unterzeichnet werden, doch anonyme Beschwerden können wir nicht bearbeiten. Eine zusätzliche, aber völlig unnötige Belastung für uns sind zudem Beschwerden, mit denen jemandem aus Schadenfreude einfach nur „eins ausgewischt“ werden soll. Von den verbleibenden etwa 4500 Fällen werden bis zu 80 Prozent durch eine kostenfreie Mediation gelöst.

Oftmals wird von Ihnen eine umgehende und rechtlich verbindliche Lösung erwartet. Welche Kompetenzen haben Sie genau?

Zunächst möchte ich hervorheben, dass es sich bei der Vereinigung für Verbraucherschutz um eine unabhängige Nichtregierungsorganisation handelt. Wir bekommen kein Geld vom Staat, sondern wir finanzieren uns wie vergleichbare Institutionen in anderen Ländern unabhängig von ihm. Dafür stehen uns zunächst die Beiträge unserer Mitglieder sowie Mittel aus EU-Fonds zur Verfügung. Darüber hinaus erhalten wir als Zeichen der sogenannten „Corporate Social Responsibility“ Zuwendungen von Unternehmen. Wir sind also eine vom Staat unabhängige Organisation. Wenn wir jedoch rechtliche Ungereimtheiten feststellen, erfolgt unsererseits eine Anzeige bei den zuständigen Behörden. Dabei zielen wir in erster Linie auf Schadenersatzforderungen für nachweislich erlittene Nachteile. Kommt es zu einer Klage, versuchen wir häufig, in Klägergruppen  vorzugehen.

Ich möchte betonen: Wir haben bisher noch keinen Prozess verloren. Dabei geht es uns jedoch nicht bloß um ein paar verdorbene Kekse oder überlagertes Fleisch. Wir setzen uns häufig auch mit öffentlichen Institutionen auseinander – schließlich ist der Bürger dort auch ein Verbraucher.

9000 Beschwerden pro Monat erfordern sicherlich einen hohen personellen und organisatorischen Aufwand. Wie viele Mitarbeiter kümmern sich um die Anliegen, und wo gehen nach Bukarest die meisten Reklamationen ein?

Insgesamt haben wir landesweit 55 Büros, in denen wir die Beschwerden entgegennehmen. Momentan haben wir etwa 50 Mitarbeiter, doch die Zahlen schwanken. Demnächst möchten wir Niederlassungen in anderen Staaten für die rumänischen Bürger der Diaspora eröffnen. Was die Zahl der Reklamationen betrifft, so liegt Bukarest aufgrund der Einwohnerzahl natürlich an erster Stelle, gefolgt von unseren Büros in Siebenbürgen. Allerdings bin ich davon überzeugt, dass dort auch eine etwas andere Einstellung herrscht: Es wird einerseits wohl etwas mehr Wert auf Genauigkeit gelegt, doch es herrscht andererseits auch eine höhere Bereitschaft zur Problemlösung. Interessant ist, dass insbeson-dere Universitätsstädte über dem landesweiten Durchschnitt liegen. Ich denke, das ist ein Zeichen dafür, dass sich die junge Generation zunehmend ihrer Rechte bewusst ist.

Wie viele Mitglieder sind momentan in der Vereinigung für Verbraucherschutz eingetragen, und was wird ihnen geboten?

Bis zum jetzigen Zeitpunkt nehmen etwa 68.000 Personen unsere Dienste in Anspruch – Privatpersonen und Firmen gleichermaßen. Wir wollen die Hürden für eine Mitgliedschaft möglichst niedrig setzen: Von Studenten und Rentnern erheben wir einen symbolischen Jahresbeitrag von 5 Lei, von allen anderen Interessenten lediglich 25 Lei. Für 200 Lei pro Jahr können wir jedoch umfangreichen Zugang zu unseren Vergleichsstudien und unserem Informationsmaterial anbieten. Außerdem bieten wir für Firmen und ihre Angestellten Fortbildungskurse an, um sie über ihre Rechte aufzuklären. Bislang haben sich etwa 5000 Angestellte auf Kosten ihrer Arbeitgeber bei uns informiert. Eine Firma mit gut ausgebildeten Mitarbeitern soll somit keine Fehler beim Verbraucherschutz mehr machen können.

Wie definieren Sie Verbraucherschutz und wie ist es um das Bewusstsein, um die eigenen Rechte in der rumänischen Gesellschaft bestellt?

Für uns lebt aktiver Verbraucherschutz von einer möglichst breiten öffentlichen Präsenz. Wir haben unter anderem die deutsche „Stiftung Warentest“ mit ihren umfangreichen Informationskampagnen zum Vorbild. Ganz wichtig ist für uns also eine möglichst umfangreiche Beteiligung der Bürger, denn nur so können wir langfristig auf eine Änderung der allgemeinen Einstellung hinarbeiten. Bislang ist es doch so, dass fast niemand aus eigener Initiative versucht, für seine Rechte einzustehen – man wartet, dass jemand kommt und sich das schon irgendwie von selbst erledigt. Das bringt natürlich nichts, und Änderungen kann man da nicht erwarten. Viele Bürger können 25 Jahre nach der politischen Wende noch immer nicht selbstständig die Initiative ergreifen, sondern sie beklagen sich nach dem Motto: „So ist das hier in Rumänien. Was kann man da schon machen?“ Hier möchten wir durch unsere Arbeit etwas bewirken, auch durch unsere Kampagne „Eine neue Einstellung!“ (O nouă atitudine!) gemeinsam mit dem Bildungsministerium. Wir brauchen endlich eine neue Grundhaltung – die Bürger müssen ihre Rechte einfordern!

Was muss im Bewusstsein der Bürger geschehen, damit sie für ihre Rechte eintreten?

Ganz einfach: Jeder muss erst einmal seine Rechte kennen. Wir wollen den Bürgern vor Augen halten, dass jeder seine Rechte hat und diese sowohl vom Staat als auch von Firmen einfordern kann. Viele Menschen haben Zugangsschwierigkeiten, teilweise auch aus Unkenntnis. Wir haben zum Beispiel das neue Zivilgesetzbuch in eine einfache, allgemein verständliche Sprache „übersetzt“, um es für jedermann verständlich zu machen. Große Hoffnung machen uns auch jene Landsleute, die über einen längeren Zeitraum im Ausland arbeiten und insbesondere in westlichen Ländern Erfahrungen mit Bürgerrechten im Alltag sammeln. Die Zahlen sprechen für sich: Jedes Jahr in der Besuchssaison gehen bei uns überdurchschnittlich viele Reklamationen von Bürgern ein, die ihren Arbeitsplatz im Ausland haben. Anscheinend haben sie sich dort an ein selbstbewusstes Eintreten für ihre eigenen Rechte gewöhnt. Wir hoffen, dass sie für die hiesigen Bürger langfristig mit gutem Beispiel vorangehen.

Sehen Sie erste Fortschritte – sowohl im generellen Rechtsbewusstsein der Bürger als auch bei Ihrer eigenen Arbeit?

Ansatzweise kann man bereits eine neue Einstellung beobachten: Bei den Wahlen im vergangenen Herbst haben die Menschen erkannt, dass es sich lohnt, Initiative zu ergreifen. Natürlich hat dort auch die Mobilisierung in den Medien eine große Rolle gespielt. Es ist generell ein Wandel zu beobachten, aber wir haben noch eine Menge vor uns. Wir müssen heute anfangen, etwas zu bewegen, damit es uns sofort besser geht – nicht erst unseren Kindern. Ich kann hier nochmal auf unsere Zahlen verweisen: Vor 7 Jahren hatten wir weniger als 100 Reklamationen pro Monat – heute gehen etwa 9000 bei uns ein. Natürlich hat uns hier auch die Aufmerksamkeit in den Medien geholfen. Erst vor 2 Jahren endete unsere Auseinandersetzung mit dem Staat, dem wir jahrelang ein Dorn im Auge waren – darüber wurde viel berichtet. Mittlerweile arbeiten wir jedoch gut mit den staatlichen Stellen zusammen.

Was war der bislang größte Erfolg der Vereinigung für Verbraucherschutz?

Ganz ehrlich – dass wir die ganzen Jahre durchgehalten haben. Dazu haben insbesondere die zahlreichen Freiwilligen beigetragen. Auch der Anteil von Lehrern kann nicht groß genug eingeschätzt werden. Wir arbeiten mit vielen Schulen zusammen, an denen wir mit ihnen gemeinsam die Schüler über ihre Rechte aufklären. Unsere erfolgreichen Kampagnen für Schüler wie „Du hast die Wahl! – Es ist dein Recht!“ („Alege! - E dreptul tău!“) bestätigen uns in unserer Arbeit.


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Weitere Informationen

Die Vereinigung für Verbraucherschutz „Protecţia Consumatorului“ vertritt die Interessen der Verbraucher gegenüber Unternehmen und öffentlichen Einrichtungen. Zu finden ist sie am früheren Sitz des Institutul Bancar Român in der Str. Negru Vodă 3 in Bukarest im Büro 112 und ist montags bis freitags von 9 bis 17 Uhr besetzt. Reklamationen können persönlich, per E-Mail, über das Internetportal oder telefonisch eingereicht werden.

Für eine sachgemäße Überprüfung sollten die strittigen Zahlungsbelege oder anderes stichhaltiges Material eingereicht werden. Anonymen Beschwerden kann nicht nachgegangen werden. Erstes Ziel ist stets eine gütliche Einigung zwischen allen Beteiligten.

Zentrale Rufnummer:    021 9551
Fax:  031 101 25 15
E-Mail:  reclamatii@protectia-consumatorilor.ro