Die bunte Welt der Freiwilligen

Von Naturschutz bis Jugendarbeit – überall kann man gratis mithelfen

Bei der VI. Gala der Super-Freiwilligen hatten die Frauen die Oberhand. Im Bild: Vertreterinnen des Vereins „Kristallkinder“ der autistischen Kindern hilft.
Foto: supervoluntari.ro

Eine gute Adresse um sich (mittwochs zwischen 17.00 und 19.30 Uhr) über Freiwilligen-Projekte zu informieren: „Centrul de Voluntariat“ am Fuße der Zinne.
Foto: Ralf Sudrigian

Nach der Wende  - schon liegt das ein Vierteljahrhundert zurück! - war hierzulande die Zeit für echte Freiwillige, für ehrenamtlichen Einsatz, noch nicht für die breite Masse reif. Es gab wohl Organisationen und Strukturen, für deren Mitglieder das Ehrenamt etwas Selbstverständliches war und auch geblieben ist, z.B. bei verschiedenen Kirchen und kirchennahen Stiftungen und Vereinen oder im Falle der Rotkreuz-Gesellschaft. Aber es gibt auch die schlechten Erinnerungen an von oben angeordnete Arbeitseinsätze, die propagandistisch als freiwillige oder patriotische Arbeit beschrieben und hochgelobt wurden.

Das begann bereits mit Schülern der Grundschulklassen auf dem Land und den Klassen V-XII in Städten. Da musste man zum Beispiel nach dem ersten Schultag am 15. September die Ernte einbringen: Kartoffeln, Mais, Bohnen, Zuckerrüben und Äpfel warteten nicht nur auf Soldaten und Arbeiter, sondern oft auch auf Studenten und Schüler.

Den wenigen Bauern in den landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften oder staatlichen Landwirtschaftsbetrieben musste geholfen werden, hieß es, wobei der Staat und die kommunistische Partei so die Missstände in der Landwirtschaft zu überbrücken versuchten. Freiwillig war der Einsatz keinesfalls. Für die Lehrkräfte gehörte er zu den beruflichen Aufgaben und die Schüler durften unentschuldigt nicht vom Feld fehlen. Zwischendurch gab es noch eine andere Methode, Schüler und deren Eltern zu „patriotischer Arbeit“ regelrecht zu erpressen: Bei der Einschreibung in die IX. Klasse (erster Lyzeums-Jahrgang) musste nachgewiesen werden, dass der Kandidat in den Sommerferien zwei Wochen in einer Brigade der Jungkommunisten (UTC) gearbeitet hatte – für Kronstädter z.B. beim Bau der neuen Hotels in der Schulerau/Poiana Braşov.

Ab und zu gab es auch während des Schulunterrichts Arbeitseinsätze, um zum Beispiel unter der Zinne oder auf dem Schulerauweg Blätter zu kehren und in Säcken, Eimern, Körben zu einer Sammelstelle zu bringen.

Für die Schüler war der aufgezwungene Charakter dieser Tätigkeiten allerdings eher nebensächlich. Das Blättersammeln in der Saturn-Straße des Kronstädter Steagul Ro{u-Viertels oder die landwirtschaftlichen Arbeiten waren unterhaltsam, erinnert sich Laura Istrate, die Jahrzehnte später in Kronstadt bei der Gründung des Freiwilligen-Zentrums am Fuße der Zinne wesentlich mitwirken sollte. Man war zusammen, man fuhr mit dem Zug oder dem Bus aufs Feld, man lachte, sang, erzählte Witze. Laura gefiel es, dabei zu sein und mitmachen zu können.

Sie erinnert sich auch an eine andere Art von Freiwilligendienst: Als Zwölfjährige konnte und wollte sie nicht zusehen, wie Nachbarn in ihrem Wohnblock den Abfall zum Fenster hinauswarfen in einen kleinen Garten – eine grüne Insel in der grauen Blocklandschaft, die sie mit ihren Blumen, Sträuchern und Obstbäumen ins Herz geschlossen hatte. Die Leute waren zu faul, ihren Hausabfall bis zu den Mülleimern zu tragen. „Ich habe einige Freunde zusammengetrommelt. Wir haben ein Team gebildet und legten sofort los. Damals wusste ich nichts von freiwilliger Arbeit oder Umweltschutz. Es handelte sich ganz einfach um gesunden Menschenverstand“, erzählt Laura.

Kostenlos, aber nicht umsonst

Nach der Wende war zunächst längere Zeit in verschiedenen Variationen die Auffassung zu hören: „Nun ist Schluss mit patriotischer Arbeit! Gratisarbeit war im Kommunismus! Marktwirtschaft heißt angemessene Entlohnung für jede Arbeit und Dienstleistung.“ Noch heute gibt es die Meinung, Freiwilligeneinsatz sei ein Zeichen, dass Gemeinde oder Staat ihre Aufgaben nicht bewältigen können. Oder dass Freiwillige als Laien unprofessionell zur Sache gehen. In der Zwischenzeit hatte man bei uns aber auch die Gelegenheit, Freiwillige aus anderen Ländern im Einsatz zu sehen.

Menschen, die in ihrem Urlaub Hilfstransporte begleiteten oder Jugendliche, die in Ferienlagern Schulen renovierten oder für arme Leute neue Häuser errichteten. Zudem gibt es Jugendliche, die im Rahmen eines freiwilligen sozialen Jahrs zum Beispiel bei der diakonischen Arbeit mithelfen. Ebenso öffneten sich die Grenzen auch für rumänische Jugendliche. Im Westen, vor allem in den USA, kann man leichter Freundschaften schließen, wenn man einem Verein beitritt oder sich an karitativen Aktionen beteiligt. Das Beispiel solcher Initiativen machte Schule. Bald wollten Jugendliche aus Rumänien auch bei sich zu Hause Ähnliches auf die Beine stellen.

In den Schilderungen der Freiwilligen hört man immer wieder, wie positiv sich die freiwillige Arbeit in der persönlichen Entwicklung niedergeschlagen habe. Man lernt sich selbst besser kennen, seine Stärken und Schwächen, Grenzen und Kräftereserven. Man lernt, mit verschiedenen Menschentypen zu kommunizieren und übt sich in organisatorischen Aufgaben. Oft muss man auch umdenken lernen, oder zurückhaltender mit seiner persönlichen Meinung sein. Und in dem Maße, in dem man sich selbst weiterentwickelt, entwickelt sich auch das Umfeld.
Selbstverständlich tut es gut, wenn eine Tätigkeit auch entsprechend anerkannt wird, wenn sie nicht anonym bleibt und vor allem nicht lächerlich gemacht wird. In Kronstadt/Braşov, am Fuße der Zinne in der Straße Suişul Castelului 1-3,  gibt es ein Zentrum der Freiwilligen, wo Vereine ihre Tätigkeiten absprechen, Erfahrungen austauschen und Mitglieder werben. Wie stellt man sich diese Gemeinschaft vor? „Wir wünschen uns eine Kronstädter Gemeinde mit aktiven Mitgliedern, die fähig sind, sich tatkräftig mit ihren Kenntnissen, ihrem Potenzial, ihrer Energie, Begabung und Erfahrung zur Lösung der Herausforderungen unserer Stadt einzusetzen“, heißt es auf der Webseite des Zentrums (www.voluntarbrasov.ro). Noch sind die Freiwilligen eine Minderheit. Nur rund sieben Prozent der Bürger beteiligen sich an ehrenamtlichen Projekten.

Das ist zwar mehr als der Landesdurchschnitt von vier Prozent, liegt aber deutlich unter dem europäischen Mittel von 22 Prozent, so die Webseite. Überraschend allerdings, dass weltweit über ein Drittel der Weltbevölkerung  -  37 Prozent - in freiwillige Arbeit eingebunden sein sollen – also deutlich mehr als in Europa. Freilich muss man sich da die Frage stellen: Was versteht man in verschiedenen Gesellschaften überhaupt unter freiwilliger Arbeit? Was ist selbstverständlich? Was von Familie, Dorfgemeinschaft oder Staat angeordnet? Was wird seitens einer religiösen Gemeinschaft von ihren Mitgliedern als Arbeitsbeitrag erwartet, verlangt oder vorausgesetzt?

Helden des Alltags

In Kronstadt gibt es verschiedene Initiativen, um Vereine, ihre Projekte und Volontäre vorzustellen und um Mitglieder und Spenden zu werben. Eine davon ist die sogenannte Gala der Super-Freiwilligen (Gala pentru Supervoluntari), die im Vorjahr ihre sechste Auflage im Kulturzentrum Redoute feiern konnte. Die Veranstalter - der Verein Colors und die Kronstädter Kreisdirektion für Sport und Jugend  in Zusammenarbeit mit lokalen Behörden und Privatfirmen - ließen sich eine Vielfalt von Kategorien einfallen, nicht so sehr um Preise  zu vergeben, als um möglichst viele erfolgreiche Initiativen vorzustellen und jene auf die Bühne zu bringen, die sie umsetzen können. Diese „Supergala“ ist, nach Hermannstädter Vorbild, auch in Kronstadt gut angekommen.

Hier einige der Preise, die vergeben wurden und die zum Teil auch für die Vielfalt der Projektbereiche stehen:
- Der Superfreiwillige des Vorjahres war der Schauspieler Gabriel Costea, der in der Strafanstalt Zeiden Kulturtätigkeiten für die Häftlinge organisiert. „Ich liebe, was ich mache. Gott hat mir Begabung geschenkt. Wenn dieses Geschenk nicht geteilt wird, bleibt es wertlos“, sagte Costea;

- Der aktivste Verein: „Copiii de Cristal“ der sich für Kinder einsetzt, die an Autismus erkrankt sind;
- Die sympathischste Freiwillige: Iulia Bilovolschi vom Klub für Naturschutz und Tourismus. Die Schülerin des Şaguna-Kollegs liebt Natur und Berge und hilft freiwillig beim Kronstädter Rettungsdienst mit, weil sie vielleicht mal Ärztin sein wird. Sie konnte die meisten „Likes“ auf facebook vorweisen;

- Das beste außerschulische Projekt : „Pledoarie pentru senectute“ des Moisil-Kollegs. Die Schüler besuchten Altenheime, lernten deren Insassen kennen, wurden offener, verantwortungsbewusster für das Schicksal jener Senioren, die allein im Heim leben;

- Das Projekt für die beste Mobilisierung in Stadt/Gemeinde: „Braşov heroes“- von „Fundaţia comunitară Braşov“. Im Noua-Erlebnispark wurde zu einem Hindernislauf eingeladen. Die Einschreibegebühr und eventuelle Spenden gingen, je nach Wunsch der Teilnehmer, an eine der 13 eingeschriebenen Organisationen und ihr Projekt. Da hatte man zu wählen, unter anderen, zwischen: „Millionen von Freunden“ (Tierschutz), „Happy Moms“ (Chancengleichheit und Infos zu richtiger Erziehung an alle Mütter), dem Sportverein „Cumpără Responsabil“ (Unterstützung für die Teilnahme eines rumänischen Sportlers mit Behinderung – Petru Pungă, Tischtennis - bei den „Paralympics“ 2016 in Rio de Janeiro), „On/Off, Jules Verne“ (Kinder weg vom Computer zu Freizeitaktivitäten); der „Rafael-Stiftung“ aus Zeiden (Musik als Brücke zu Personen mit Behinderungen) und weitere Projekte in Bereichen wie Naturschutz, Jugendarbeit, Wiederbelebung der Musik und Lebensstil vergangener Jahrzehnte usw.

Was es sonst noch gibt: Unterstützung für Museen und museal-pädagogische Projekte, Einsatz für Radfahrer und Fahrbahnen in Stadt und Natur, Erhalt alter Traditionen und Handwerke, Mittelalter-Revival, Kinderschutz, Unterstützung für Hospizarbeit, Einrichtung von Spielplätzen und Parks und viel, viel mehr.

In den letzten Jahren wird, außer dem freiwilligen Einsatz an und für sich, auch dessen Förderung viel besser unterstützt. Firmen oder multinationale Konzerne spenden Geld, Werkzeug, Anlagen, Transportmittel, Baumaterial … oder Experten und Arbeitskräfte für gemeinnützige oder karitative Projekte und werben mit ihrem Namen dafür. Denn die Förderung einer guten Tat kommt oft besser an als nervende Werbung. Lokalbehörden wenden sich an die Bevölkerung und bitten um Unterstützung – nicht nur moralischer Natur, sondern auch als freiwilliger Einsatz mit der Begründung, es handle sich um allgemeines Interesse - und selbstbewusste Bürger der Zivilgesellschaft beschränken sich nicht nur auf Proteste, sondern packen ab und zu auch selbst zu. Parteien entdecken nicht nur ihre Mitglieder und Sympathisanten, sondern auch die Leute auf der Straße als Partner um zum Beispiel den Müll auf der Zinne einzusammeln oder eine Schule, einen Kindergarten zu sanieren. Alles ist freiwillig, also kostenlos – aber gut fürs öffentliche Image.