Die Deutsche Volksgruppe und die „Operation Regulus“

Ein Vortrag von Dr. Ottmar Traşcă über den Versuch, einen deutsch-freundlichen Widerstand in Rumänien zu gründen (I)

Dr. Ottmar Traşcă (links) und der Moderator des Vortragsabends, Architekt Ovidiu Taloş, in der Mansarde des Băiulescu-Hauses

„Oraşul Memorabil“ ist ein Kulturprojekt des Architektenordens Rumäniens, das von der Zweigstelle der Kreise Kronstadt/Braşov, Covasna und Harghita erarbeitet wurde und dessen Ziel darin besteht, die lokale Identität zu fördern. Das geschieht durch verschiedene Veranstaltungen: Ausstellungen, Kunstinstallationen oder Vorträge. Die seit mehreren Jahren stattfindende Vortragsreihe deckte von Anfang an eine breite Themenpalette ab. Dass auch die Deutsche Volksgruppe in Rumänien zum Thema der Vortragsreihe werden sollte, war wegen der engen Verbindungen zwischen Kronstadt und Andreas Schmidt, dem Leiter dieser Organisation, zu erwarten: Schmidt wurde am Abend des 27. September 1940 im Hotel „Krone“ in Kronstadt von der SS Reichsführung durch deren anwesende Vertreter zum Volksgruppenführer ernannt. Im August 1944 heiratete der zwischendurch verwitwete Schmidt die Tochter des Vizebürgermeisters der Stadt, Adele Kaufmes. Und die erste Beerdigung ohne Pfarrer veranstaltete in Kronstadt ebenfalls Andreas Schmidt – um den Abstand zur Kirche demonstrativ zu betonen – für seine erste Ehefrau Christa, die Tochter von Gottlob Berger, Chef des SS-Hauptamtes, SS-Obergruppenführer und General der Waffen-SS. Schmidt übersiedelte die Leitung der Volksgruppe von Hermannstadt nach Kronstadt und richtete 1942 ebenfalls in Kronstadt den sogenannten „völkischen Gerichtshof“ ein, ein selbständiges Rechtsamt zur Einschüchterung derer, die sich der „Gleichschaltung“ widersetzten.

Dr. Ottmar Traşcăs Vortrag beruht auf jahrelangen Forschungen für eine Monografie über die Tätigkeit der deutschen Geheimdienste in Rumänien in der Zeitspanne 1939-1945. In Săcele bei Kronstadt/Braşov geboren, studierte er Geschichte an der Babeş-Bolyai-Universität Klausenburg/Cluj. Seine Doktorarbeit schrieb er über „Die rumänisch-deutschen politischen und militärischen Beziehungen. September 1940 - August 1944“. Dafür forschte er in Budapest, München, Freiburg im Breisgau, Berlin (Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes und Bundesarchiv Berlin), Tübingen, u. a. Außerdem benutzte er Archivunterlagen aus Moskau. Das bisher wenig erforschte und noch weniger behandelte Thema, zu dem es bisher nur zwei veröffentlichte sachliche Beiträge gibt, ist die Vorbereitung eines bewaffneten Widerstandes in Rumänien, der zeitgleich mit einer großen Gegenoffensive der Wehrmacht zur Rückeroberung des Landes hätte führen sollen. Die Vorbereitungen dieses an sich völlig realitätsfremden Vorhabens wurden infolge der Ereignisse vom 23. August 1944 eingeleitet und fast bis Kriegsende betrieben.

Rumäniens Frontwechsel hatte für die Führung des Dritten Reiches verheerende Folgen, und zwar politische, militärische und wirtschaftliche. Politisch verlor Berlin am 23. August 1944 einen Verbündeten und bekam dafür einen Gegner. Der Austritt Rumäniens aus dem Waffenbündnis mit Deutschland erschütterte dabei auch das Vertrauen der anderen Verbündeten oder Mitläufer: Bulgarien, Ungarn, Finnland und die Slowakei. Wirtschaftlich führte der Verlust der Erdölfelder bei Ploieşti zu einem dramatischen Rückgang der Treibstoffversorgung der deutschen Kriegsmaschine, was als Folge die starke Einschränkung der Kampfhandlungen der Wehrmacht in den letzten Kriegsmonaten hatte. Militärisch bedeutete der Seitenwechsel Rumäniens praktisch ein zweites Stalingrad, denn die südukrainische Front verlor auf einen Schlag fünf Generalstäbe und 18 Divisionen, die vollständig ausgeschaltet wurden.

Einen ebenso schweren Schlag bedeutete der Akt vom 23. August auch für das Los der deutschen Minderheit in Rumänien, da das rasche Vordringen der Roten Armee nach Siebenbürgen einerseits zu einem massiven Exodus der deutschen Bevölkerung führte und anderer-seits die Zurückgebliebenen den Übergriffen der rumänischen Behörden und der Roten Armee aussetzte. Die seitens der nationalsozialistischen Führung Deutschlands eingeleiteten Maßnahmen, die einen Wechsel der Führung in Bukarest und den Schutz der deutschen Minderheit in Rumänien bewirken sollten, waren von Anfang an zum Scheitern verurteilt. Sie kamen einerseits viel zu spät und andererseits fehlten die militärischen Kräfte, um sie umzusetzen. Als Lösung akzeptierte die Reichsführung den Vorschlag der Anführer der Legionäre (vollständige Bezeichnung: Legion des Erzengels Michael, 1927 von Corneliu Zelea Codreanu gegründete faschistische und antisemitische, paramilitärische und politische Organisation), einen „Gegenstreich“ zu führen. Mit anderen Worten: Es wurde die Rückführung Rumäniens an die Seite Deutschlands durch einen internen Aufstand zur Unterstützung einer deutschen militärischen Offensive verfolgt.

Die Führung und knapp über 400 Mitglieder der Legion befanden sich jedoch am 23. August 1944 nicht in Rumänien. Sie waren als Folge der „Rebellion“ von 1941/1942 in Deutschland, wohin sie mit Einwilligung der rumänischen Staatsführung gebracht worden waren, und zwar an zwei Standorte mit dem Status politischer Asylanten. Die Mehrheit der Legionäre befand sich bei Rostock, wo sie in der Heinkel Flugzeugfabrik arbeiteten. Sie stellten jedoch eine „auf Eis gelegte Reservekraft“ dar, welche, mangels anderer Optionen, nach dem 23. August 1944 die Rettung bringen sollte. Horia Sima, der Anführer der Legionäre, entwarf auch sofort nach seiner Freilassung aus der Internierung einen Plan, den er persönlich an Adolf Hitler schickte und der in den Memoiren von Sima ausführlich dargestellt wird: „Gleich nach meiner Ankunft in Wien (Sitz der „Nationalen Regierung Rumäniens“ von August 1944 bis Mai 1945) bekam ich einen Brief von Hitler und von ihm unterzeichnet – übrigens die einzige Verbindung, welche ich zum ihm gehabt habe –, in welchem er von mir verlangte, in Siebenbürgen Freiwilligenkontingente zu rekrutieren, mit welchen ich die Karpatenpässe gegen das bevorstehende Vorrücken der sowjetischen Armee sperren sollte.“
Dieser Vorschlag von Anfang September war jedoch völlig unrealistisch, da zu dem Datum die Legionäre über keine Kräfte verfügten, welche eine solche Handlung hätten durchführen können. Außerdem hatten die Entwicklungen an der Front selbst die Sperrung der Karpatenpässe unmöglich gemacht, da sich die Rote Armee schon jenseits dieser befand. Entgeistert über diesen Vorschlag, schlägt Sima etwas völlig anderes vor, keine militärischen Schritte, sondern „einen Umsturz von innen her, einen umgekehrten 23. August, welcher zugunsten Deutschlands und des rumänischen Volkes über die Staats- und Armeeführung erfolgen solle“.

Konkret sah Simas Gegenvorschlag vor, auf geschickte Weise die negative Stimmung im Land zu nutzen, die Unzufriedenheit in den Reihen der Bevölkerung aber auch in der rumänischen Armee, hervorgerufen durch die Übergriffe der Roten Armee. Ein Teil der rumänischen Armee sollte überzeugt werden, auf die Seite der deutschen Wehrmacht zu wechseln. Dafür sollte ein Gesandter von Sima in Bukarest mit Persönlichkeiten des politischen Lebens und der Armee Verbindung aufnehmen. Dazu sollten auch die deutschen Agenten, die nach dem 23. August auf dem Gebiet Rumäniens zurückgeblieben waren, beitragen. Ziel der ganzen Aktion war, wie gesagt, das Auslösen eines Aufstands gegen die sowjetische Besatzung. Sima selbst hoffte auf den Seitenwechsel von zumindest einem Teil der rumänischen Armee, der, koordiniert mit einer deutschen Offensive an der Front in Ungarn, den Kollaps der sowjetischen Truppen in Rumänien herbeiführen sollte. Mangels anderer Lösungen wurde dieser Plan von der deutschen Führung angenommen, die eine sofortige Zusammenarbeit der deutschen Nachrichtendienste mit der Führung der Legionäre und der Leitung der Deutschen Volksgruppe in Rumänien verfügte. Eben mit Andreas Schmidt – siebenbürgisch-sächsischer Politiker, geboren am 24. Mai 1912 in Donnersmarkt/Mânărade, Kreis Alba, verstorben im Frühling 1948 im Lager Workuta in der Sowjetunion. Er war maßgeblich verantwortlich für die Gleichschaltung der rumäniendeutschen Organisationen sowie die Rekrutierung volksdeutscher Männer in Einheiten der Waffen-SS.

Andreas Schmidt befand sich am 23. August 1944 in Berlin und ihm wurde auch sofort vorgeworfen, den Ereignissen nicht vorgebeugt zu haben, obwohl er über die Entwicklungen schon im Vorfeld gewarnt und berichtet hatte. Dabei war er ironischerweise einer der Wenigen gewesen, der, aufgrund genauer Kenntnisse, die Wende vom 23. August vorausgesehen hatte. Doch ihm wurde kein Gehör geschenkt. Nun schloss sich auch Schmidt dem Vorschlag an, eine neue Wende herbeizuführen, und zeigte sich auf Anhieb bereit, mit der Legion zusammenzuarbeiten. Inzwischen hatten die deutschen Geheimdienste begonnen, Ablenkungsmanöver und Sabotageakte in den von der Roten Armee besetzten Gebieten durchzuführen. Im Oktober 1944 fand in Ungarn ein Treffen zwischen Andreas Schmidt und Heinrich Himmler statt, dem auch Walter Schellenberg und Otto Skorzeny beiwohnten. Skorzeny war zu der Zeit Leiter einer der Dienste, welche an den Vorbereitungen beteiligt waren.

Bekannt ist er vor allem durch die kühne und mutige Befreiungsaktion von Benito Mussolini 1943. SS Brigadeführer Walter Schellenberg leitete 1944 die zusammengeführten deutschen Nachrichten- und Geheimdienste. Entgegen anderer Behauptungen waren während des Zweiten Weltkrieges in Rumänien zwei deutsche Nachrichtendienste tätig: die Abwehr, der militärische Geheimdienst unter Leitung des Admirals Wilhelm Canaris, und der SD Auslandsnachrichtendienst. Nach dem misslungenen Attentat gegen Hitler von 1944 wurde Wilhelm Canaris verhaftet und die Abwehr dem Auslandsnachrichtendienst unterstellt. Schellenberg war also im Oktober 1944 Leiter der vereinigten Geheimdienste, des Sicherheitsdienstes des Reichsführers SS (SD) und der Abwehr innerhalb des Reichssicherheitshauptamtes (RSHA), das von Heinrich Himmler geleitet wurde. Seitens der deutschen Dienststellen sollten Himmler, Schellenberg und Skorzeny die Hauptbeteiligten an dieser Aktion bleiben.

Bei diesem Treffen im Oktober 1944 betonte Himmler ausdrücklich die Notwendigkeit, eine breite Widerstandsbewegung in den besetzten Gebieten zu organisieren: Hinter den Sowjets müssen militärische Handlungen, Terroranschläge und Ablenkungsmanöver organisiert werden, wofür man sich der nationalen Gruppierungen zu bedienen habe, hieß es. Himmler schlug Andreas Schmidt vor, nach Rumänien zu gehen, wo er die Vorbereitungen überwachen und den bewaffneten Aufstand im Rücken der Roten Armee einleiten sollte. Die praktischen Möglichkeiten, diesen Plan umzusetzen, besprach Andreas Schmidt ebenfalls bei diesem Treffen gesondert mit Walter Schellenberg und Otto Skorzeny. Dabei kamen sie zur Schlussforderung, dass Andreas Schmidt sich zusammen mit der Führung der Legionäre nach Rumänien begeben musste, da die Aktion ja gemeinsam mit den Mitgliedern der Legion durchgeführt werden sollte. Da befürchtet wurde, dass dieses Vorhaben ein Vorgehen der Roten Armee gegen die deutsche Minderheit in Rumänien zur Folge haben könnte, wurde beschlossen, dass die ersten Einsatzgruppen, bestehend aus Mitgliedern der deutschen Minderheit und Legionären, erstmals nur als Kundschafter dienen sollten, und nur die Legionäre die Sabotage- und Terrorakte ausführen sollten. Diese Befürchtungen gehen eindeutig aus einem Brief von Walter Schellenberg hervor, den dieser im Oktober 1944 verfasste.

Es folgte ebenfalls in Wien, im Oktober, ein anderes Treffen, und zwar zwischen Andreas Schmidt und Horia Sima, bei welchem Schmidt Horia Sima über den Inhalt der Besprechung mit Himmler in Kenntnis setzte und die Entsendung nach Rumänien von Anführern der Legionäre mit Autorität forderte. Diese sollten die Überzeugungskraft besitzen, die Mitglieder der Legion zum Handeln zu bewegen, ebenso die oberen Ränge der Armee und die führenden Politiker. Die zu diesem Zweck entsandten Gruppen sollten nur aus Mitgliedern der Legion bestehen. Die Koordinierung der gesamten Aktion hätten selbstverständlich die deutschen Geheimdienste übernommen. In Wien hätte es eine direkte Koordinierung geben sollen, für die einer der wenigen aus der Abwehr kommenden Nachrichtenoffiziere zuständig war, der nach Kriegsende, von 1946 bis 1956, Leiter des österreichischen Nachrichtendienstes war.

In den Geschichtsbüchern wurde diese Aktion als jene der „Fallschirmspringer“ bekannt, doch die Bezeichnung ist falsch, der richtige Name, unter welchem sie lief, war „Unternehmen Regulus“.  Das geht aus den Verhörprotokollen hervor, die sich in Washington befinden und bei der Befragung der an der Aktion Beteiligten aufgenommen wurden. In diesen Protokollen sind auch die genau geplanten Abläufe und Ziele angegeben: Der Absprung von gemischten Agentengruppen bestehend aus Legionären und Mitgliedern der Volksgruppe mit den konkreten Aufgaben: 1) Kontaktaufnahme mit dem antisowjetischen Widerstand und den Agenten der nach dem 23. August 1944 in Rumänien verbliebenen deutschen Nachrichtennetze; 2) Sammeln und Übermitteln von Informationen über die Rote Armee und die Stimmung im Land; 3) Vorbereitung einer internen Revolte gegen die sowjetische Besatzung. Es sollte die wichtigste Aktion der deutschen Nachrichtendienste in den letzten Monaten des Krieges werden.

Zum Unterschied von Andreas Schmidt beteiligte sich Horia Sima nicht direkt an der Aktion, sondern blieb in Wien, wo sich die Nationalregierung befand (ein Marionettenkabinett im Exil, welches in den von der Sowjetunion noch nicht besetzen Teilen Rumäniens aktiv werden sollte, doch als dieses am 10. Dezember 1944 endlich stand, da zog sich die Frontlinie schon längst durch Ungarn). Seine beiden engsten Mitarbeiter, der Generalsekretär der Bewegung, Nicolae Petra{cu, und der Kommandant der Legion für Siebenbürgen, Nistor Chioreanu, gehörten zu den Gruppen der Fallschirmspringer. Für diese Aktion hat es auch vollständig irrsinnige Vorschläge gegeben, darunter einer, die Agentengruppe in einer Aluminiumkapsel abzuwerfen, ein völlig undurchführbares Vorhaben.

Übersetzt von Hans Butmaloiu