Die deutschen Wurzeln Bukarests

Im Schillerhaus vorgestellt: Deutsche Architekten im Bukarest des 19. Jahrhunderts / Im Kommunismus verfolgte deutsche Architekten

Oana Marinache und Dr. Vlad Mitric-Ciupe im Kulturhaus Friedrich Schiller
Foto: George Dumitriu

„Im Bukarest der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts arbeiteten unzählige walachische Meister, Tischler und Maurer, doch für das Pflastern der Straßen wurden fremde Fachleute angeheuert“, zitiert Dossier Nr. 1189 des Rumänischen Nationalarchivs (ANR) den Architekten Petre Tabai. Auch für die ersten Pläne der heutigen Hauptstadt und die Gestaltung der Anwesen der Bojaren Alexandru Ghica, Gheorghe Bibescu und Barbu Stirbey wurden Experten für Wege- und Brückenbau, Ingenieure und Architekten aus dem Ausland engagiert, erklärt Tabai weiter und führt dies auf die „mangelnde Erfahrung der Walachen in der praktischen Umsetzung von Kunst“ zurück. 

Tatsächlich geht ein großer Teil der Architektur Bukarests auf deutsche, armenische, kroatische, italienische, tschechische, polnische und jüdische Baumeister zurück, wie das Projekt Architekturarchiv (www.arhivade arhitectura.ro) in den kürzlich erschienenen Broschüren „Stadtführer Bukarest: Häuser der Architekten“ und „Multikulturelles Bukarest: 10 architektonische Stadttouren“, Band 1 und 2 , ans Licht bringt. Die Herausgeberin und Koordinatorin des Projekts, Oana Marinache, stellte diese am 5. November im Kulturhaus Friedrich Schiller vor, als vierte Veranstaltung zur Reihe „Das Architekturarchiv“ und als zweiter Teil der von Aurora Fabritius organisierten Konferenzdebatte „Deutsche Architekten und Ingenieure“. Das Architekturarchiv wurde 2013 vom Verein und Verlag für Kunstgeschichte (Asociaţia şi Editura Istoria Artei) ins Leben gerufen, mit dem Ziel, Dokumente, Pläne und Skizzen aus den Anfängen der Hauptstadt aufzubereiten und der Öffentlichkeit zu präsentieren. Als Gastredner bot Dr. Vlad Mitric-Ciupe anschließend Einblicke in die Schicksale der zwischen 1944-1964 aus politischen Gründen vom kommunistischen Regime verhafteten deutschen Architekten anhand dreier Beispiele: Helmut Zeidner, Helmuth Wenzel und Jean Schafhütl.

Auf den Spuren deutscher Architekten in der Hauptstadt

Zwölf Namen muss man sich merken bei der Erkundung der deutschen Wurzeln Bukarests: Josef Hartl, auch als Harten, Hartin oder Hart bekannt (geb. um 1780), Joseph Weltz (geb. 1784), Ioan Sperl (geb. 1814), Carl Friedrich Wilhelm Meyer (1817-1852), Alexander von Montbach (1821-1855), Rudolph von Borroczyn (?-1859), Frederich Scheller (1821-1883), Oskar Maugsch (1857-?), Johann Storck (1866-?), Maximilian Tonolla, Vater und Sohn, sowie Karl Weyrach (1813-?). Schicksal und Lebenswerk dieser zwölf Männer – fast alle aus dem deutschsprachigen Ausland zugewandert – beschreibt Band 1 der Broschüre „Multikulturelles Bukarest“, mit einer Dokumentation ihrer wichtigsten Bauwerke in Bildern.
Oana Marinache rückt in ihrem Vortrag die Tour um die Gebäude von Scheller, Maugsch und Storck in den Mittelpunkt: Sie führt zunächst vom Theodor Amman Haus in der Strada Rosetti Nr.8, realisiert von Frederich Scheller nach den Ideen des Malers , zu den Bauwerken von Oskar Maugsch: die Banca de Credit Român (Str. Stavropoleos 6-8), die Banca de Scont (Ecke Str. Lipscani mit E. Carada), das BCR-Gebäude (Universitätsplatz), Casa Elena G. Cantacuzino (Str. Polonă 7), das Haus der Direktorin der Şcoala Centrală de Fete (Ecke Str. Polonă mit Icoanei), Casa Olănescu (Boulevard Dacia 77), Casa Sabba Ştefănescu (Piaţa. Romană 8) und sein eigenes Wohnhaus in der Str. Schitu Măgureanu Nr. 47.

Über die Person Frederich (Fritz) Scheller weiß man nur, dass er aus Deutschland zugewandert ist und mit der in Bukarest wohnhaften Carolina Kelner verheiratet war. Maugsch hingegen entstammt einer deutschen evangelischen Familie aus Jassy/Iaşi. Oskar studierte in Dresden Architektur, zu dreien seiner Brüder sind ebenfalls Spuren überliefert: Victor Maugsch hatte im Unabhängigkeitskrieg gekämpft und wurde später Apotheker, Gustav war Beamter bei der Eisenbahn CFR und Emil diente in der rumänischen Armee. Oskar Maugsch hatte bereits 1879 um die rumänische Staatsbürgerschaft angesucht, diese jedoch erst 1894 erhalten, wie ein von König Karl I. unterzeichnetes Dokument beweist. Die Bauwerke von Johann Storck hingegen liegen in der Strada Vasile Alecsandri, wo er das Haus seines berühmteren Bruders, des Bildhauers Frederick (Fritz) Storck – heute ein Museum, das dessen Werke beinhaltet – umbaute. Des weiteren stammen Casa Zehender in der Str. Mântuleasa 46 von ihm, ein Gewölbekeller im Haus von Dr. G. Gerota am Boulevard Ferdinand Nr.48 und die Erweiterung des Hauses von Oskar Mueller in der Calea Victoriei Nr. 91. Johann Storck entstammt einer deutschen evangelischen Familie und stand zeitlebens im Schatten seiner berühmteren Bildhauer-Brüder Karl und Frederick. In Bukarest wohnte er in der Str. Matei Voievod Nr. 12. 1898 erhielt auch Storck die rumänische Einbürgerungsurkunde, unterzeichnet von König Karl I.

Deutsche Architekten, im kommunistischen Regime verfolgt

Vlad Mitric-Ciupe stellte exemplarisch drei deutsche Schicksale aus seinem Buch „Die rumänischen Architekten und die politische Haft 1944-1964“ vor: Helmuth Wenzel, 1906 in Zeiden/Codlea geboren, studierte Architektur an der Technischen Hochschule in München (TU), kehrte jedoch 1932 nach Rumänien zurück, um das Geschäft seines Vaters zu übernehmen. 1945 wurde er nach Russland deportiert und zuerst im Bergbau in Workuta, später in einer Schreinerei eingesetzt. Er überlebte, kehrte zurück, wurde 1952 erneut verhaftet, ohne Gerichtsurteil eingekerkert und zur Zwangsarbeit am Donaukanal eingesetzt. 1954 kam er frei, schwerkrank, und starb 1963 nur 57-jährig. Seine Nachfahren wandern in den 80er Jahren vollständig nach Deutschland aus. Helmut Zeidner stammt aus Kronstadt/Braşov und studierte ebenfalls an der TU München. 1940 wurde er Unterkreisleiter in Kronstadt, was ihm später eine Haftstrafe in Jilava als „Hitlerist“ einbrachte, von der er 1955 frei kam. Im selben Jahr wurde Zeidner in die Vereinigung der rumänischen Architekten eingeschrieben und wirkte fortan in seinem Beruf. 1973 wanderte er nach Deutschland aus.

Dem bewegenden Schicksal von Jean Schafhütl kam Vlad Mitric-Ciupe nur schwer auf die Spur: 1923 wurde Schafhütl in Bukarest geboren, seine Vorfahren stammen aus Baden-Württemberg. In Bukarest studierte er Architektur, bis er 1945 in den Donbass deportiert wurde. 1949 kehrte er zurück und setzte sein Studium fort. Seine Eltern waren jedoch inzwischen verstorben und so musste der junge Student auch für seine schwerkranke Schwester sorgen, die aus gesundheitlichen Gründen nicht mit ihm deportiert worden war. 1951 kam Schafhütl aus politischen Gründen für drei Jahre ins Gefängnis. Anschließend arbeitete er als Architekt für Industrieanlagen, wurde Mitglied in der Vereinigung der rumänischen Architekten und sogar prämiert. Bis 1989 verfolgte ihn die Securitate und er durfte das Land nicht verlassen. 1990, nach der Revolution, sprach er dann über seine Erinnerungen während der Deportation auf einem Symposium in Sighetu Marmaţiei. Schafhütl hatte diese auch niedergeschrieben, ins Deutsche übersetzt und das Manuskript zur Publikation nach Deutschland geschickt, doch er hörte nie wieder etwas davon. Schafhütl verstarb 2006, doch Mitric-Ciupe war es nach langwierigen Nachforschungen gelungen, die noch lebende Schwester ausfindig zu machen. Über das in Deutschland verschollene Manuskript konnte sie keine Angaben machen, doch sie besaß noch eine rumänische Version, die sie dem Forscher zur Verfügung stellte. So entstand das Buch „Anii pierduţi – amintirile unui arhitect deportat in URSS“ (Verlorene Jahre – Erinnerungen eines in die UdSSR deportierten Architekten; Herausgeber: Vlad Mitric-Ciupe, Verlag Vremea), das am 22. November auf der Buchmesse Gaudeamus – und anschließend auch im Kulturhaus Friedrich Schiller – präsentiert werden soll.