„Die Expertenregierung zeigt großes Engagement“

ADZ-Gespräch mit dem Botschafter Österreichs, Gerhard Reiweger

Mag. Gerhard Reiweger ist seit Oktober 2014 Botschafter der Republik Österreich in Rumänien.
Foto: Philipp Hochbaum

Rumänien und Österreich stehen kurz vor wichtigen Wahlen. Am 11. Dezember bestimmen die rumänischen Wähler ein neues Parlament, und in Österreich wird am 4. Dezember die Stichwahl des Bundespräsidenten wiederholt. Kann die Partnerschaft beider Länder eventuelle Kurswechsel überdauern und wie steht es um die bilaterale Kooperation? Können Rumänien und Österreich extremistischen Strömungen standhalten und welchen Einfluss hat die Flüchtlingskrise auf das Verhältnis beider Länder zueinander. Österreichs Botschafter Mag. Gerhard Reiweger tauschte sich mit ADZ-Redakteur Philipp Hochbaum zu diesen und weiteren Themen aus.

Sehr geehrter Herr Botschafter Reiweger, heute, am 26. Oktober, begeht Österreich seinen Nationalfeiertag – auch in Rumänien gedenken Sie mit Festveranstaltungen der Verabschiedung der Neutralität Ihres Landes vor 61 Jahren. Wie bewerten Sie die jüngere Zusammenarbeit beider Länder und den gegenwärtigen Stand der bilateralen Beziehungen?

Österreich und Rumänien sind durch vielfältige historische und kulturelle Beziehungen mitei-nander verbunden. Diese wurden nach dem Fall des Eisernen Vorhangs durch intensive  Wirtschaftsbeziehungen ergänzt und Österreich wurde zu einem der wichtigsten Herkunftsländer für Investitionen in Ihrem Land. Der EU-Beitritt Rumäniens gab dieser bereits engen Verbindung eine neue, besondere Qualität. Rumänien und Österreich gestalten nun gemeinsam an der weiteren Entwicklung des europäischen Einigungswerks mit, das zur Zeit vor besonderen Herausforderungen steht.

Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit Österreichs und Rumäniens, sowohl bilateral als auch im europäischen Kontext?

Ich würde sagen, dass die bilateralen Beziehungen unserer beiden Länder essentiell vom europäischen Kontext mitbestimmt werden. Sowohl in politischen Fragen wie in bilateralen Wirtschaftsfragen gibt das Regelwerk der Europäischen Union nicht nur die Grundlage für die Weiterentwicklung der Beziehungen, sondern auch die Richtschnur für die Bewertung mancher Diskussionspunkte, die u. a. in bestimmten Wirtschaftsfragen auftreten.

Rumänien steht kurz vor den Parlamentswahlen. Wie bewerten Sie die Maßnahmen der für ein Jahr amtierenden Technokratenregierung, und welche Hoffnungen und Erwartungen verbinden Sie mit dem nächsten Kabinett?

Es ist interessant zu beobachten, dass die gegenwärtige Expertenregierung trotz ihrer absehbar kurzen Amtszeit versucht, das Land nicht nur zu verwalten, sondern daran ist, in den verschiedensten Bereichen nachhaltige Initiativen zu setzen, die von großem Engagement zeugen. Ich freue mich, wenn wir bei manchen Projekten – wie beim weiteren Ausbau der dualen Berufsausbildung oder der Reform der Straßenbaubehörde – auch Expertise und Erfahrung aus Österreich einbringen können. Von der kommenden Regierung erwarten wir als vertrauensvoller Partner in der Europäischen Union eigentlich nur das Selbstverständliche: Die Beachtung und Erfüllung des europäischen Rechtsrahmens bei allen neuen Maßnahmen und eine Politik, die uns erlaubt, unsere wirtschaftlichen, wissenschaftlichen und kulturellen Verbindungen weiter zu vertiefen, woran wir großes Interesse haben.

Worin unterscheidet sich aus Ihrer Perspektive die politische Debattenkultur in Rumänien vom politischen Diskurs in Österreich?

Es gibt einige Unterschiede, die von Tradition und Temperament geprägt sind. Ein Aspekt, den viele ausländische Beobachter kommentieren, ist, dass die politische Debatte in Rumänien weniger von ideologischen oder weltanschaulichen Grundsätzen geprägt erscheint, als in manchen anderen Ländern, wie auch in Österreich, wo z. B. der Wechsel eines Abgeordneten zu einer anderen Partei eine Ausnahme darstellt.

Bleiben wir noch kurz bei der rumänischen Innenpolitik: Seit 2014 sind Sie Botschafter der Republik Österreich in Rumänien. Wie haben Sie die politischen Umbrüche während dieser Zeit wahrgenommen, insbesondere während der Präsidentschaftswahl 2014 und dem Regierungswechsel im vergangenen November?

Wenn mich mein Eindruck nicht trügt, dann ist die politische Landschaft durch das stärkere Engagement der Zivilgesellschaft lebendiger geworden, was ich für eine gute Entwicklung halte. Jede Gesellschaft braucht Hoffnung und Vertrauen in die Zukunft, um positive Veränderungen herbeizuführen.

Halten Sie beide Gesellschaften – die rumänische und die österreichische – für fähig, langfristig politische Extremismen auszuhalten? Bestehen aus Ihrer Sicht Unterschiede im Umgang mit nationalistischen/populistischen Inhalten zwischen beiden Ländern, und wenn ja, worin?

Ich denke, dass sowohl Österreich wie Rumänien stabile und sichere Demokratien sind. Wir sehen seit der Wirtschafts- und Finanzkrise in vielen Ländern Europas – und darüber hinaus – ein Erstarken nationalistischer und populistischer Strömungen. In Rumänien scheinen solche erfreuli-cherweise bisher ver-gleichsweise geringen Zulauf zu finden.

Seit über einem Jahr dominiert das Thema Flüchtlinge die Medien in beiden Ländern. Rumänien stand – und steht – einer verbindlichen Aufnahmeregelung nach einem Quotensystem äußerst reserviert gegenüber. Wie könnte eine Lösung auf gesamteuropäischer Ebene aussehen?

Der Europäische Rat hat im September dieses Jahres Ziele für die kommenden Monate festgelegt. Diese beinhalten die Wiederherstellung der vollständigen Kontrolle über die Außengrenzen der EU und die Gewährleistung der inneren Sicherheit. Bei einem Flüchtlingsgipfel in Wien am 24. September, an dem auch Rumänien teilgenommen hat, wurde die Notwendigkeit festgestellt, der EU-Grenzschutzagentur Frontex mehr Ressourcen zur Verfügung zu stellen, den von der Flüchtlings- und Migrationsbewegung besonders betroffenen Ländern stärker zu helfen, Asylverfahren rascher durchzuführen und Rückführungsabkommen mit bestimmten Ländern abzuschließen. Ein wichtiges Element zur Lösung der Flüchtlingsfrage wird sein, dass die EU auch stärker als bisher dazu beiträgt, die Ursachen für die Migrationsbewegungen in den Herkunftsländern zu bekämpfen.

Österreich hat unter dem damaligen Bundeskanzler Werner Fayman eine Kehrtwende in der Flüchtlings- und Aufnahmepolitik vollzogen. Auch die Schließung von Grenzen, etwa am Brenner, stand zwischenzeitlich im Raum. Welche Grundzüge in der Flüchtlingspolitik erwarten Sie für die kommenden Monate unter Ihrem neuen Kanzler Christian Kern?

Eine wesentliche Grundlage der österreichischen Flüchtlingspolitik ist die gemeinsam von Bund Ländern, Städten und Gemeinden beschlossene Festlegung eines Richtwerts bei der Zulassung von Asylanträgen von maximal 1,5 Prozent der Bevölkerung. Nachdem Österreich 2015 fast 90.000 Asylsuchende aufgenommen hat, wurde für 2016 ein Richtwert von 37.500 festgelegt. Die Bereitschaft Österreichs, weiter einen signifikanten Beitrag zur Bewältigung der durch die Flucht- und Migrationsbewegungen entstehenden Herausforderungen zu leisten, wird durch intensive Integrationsarbeit begleitet. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf der Sprach- und Wertevermittlung in speziell geschaffenen Orientierungskursen. Die vorgesehenen Maßnahmen wurden in einem 50- Punkte-Plan zur Integration von Asyl- und subsidiär Schutzberechtigten in Österreich zusammengefasst.

Kommen wir zur Wirtschaft: Mitte des Monats besuchte eine österreichische Handelsdelegation Rumänien. Was macht Rumänien, abgesehen von vergleichsweise niedrigen Löhnen, für ausländische Investoren attraktiv?

Rumänien hat weiter ein großes Entwicklungspotenzial in vielen Wirtschaftssektoren, unterstützt durch die hohen finanziellen Mittel, die Rumänien über die verschiedenen EU-Programme zufließen. In Rumänien gibt es auch weiterhin gut ausgebildete, mehrsprachige Arbeitskräfte, die allerdings in manchen Bereichen immer knapper werden.

Und wo sehen Sie noch Nachholbedarf?

Ein zentrales Thema für unsere Unternehmen ist die Rechtssicherheit. Investoren müssen darauf vertrauen können, dass gesetzliche Rahmenbedingungen nicht kurzfristig oder sogar rückwirkend geändert werden.

Herr Botschafter Reiweger, herzlichen Dank für Ihre Ausführungen!