Die Leute interessiert, wie es an einem normalen Tag in den Dörfern aussieht

ADZ-Gespräch mit Günter Czernetzky über sein Projekt der siebenbürgischen Dorfporträts

„Großkokler Botschaften – Bunte Kleinanzeigen“ ist der bereits neunte Teil der DVD-Serie „Siebenbürgische Dorfporträts“ des Filmemachers Günter Czernetzky.
Foto: Michael Mundt

Aufgewachsen ist der Filmemacher Günter Czernetzky in Schäßburg/Sighişoara. Sein Studium begann er im Herbst 1977 an der Filmhochschule in Bukarest. Doch schon bald darauf, im März 1978, wurde seinen Eltern die Ausreise in die Bundesrepublik Deutschland gestattet. Er ging mit, obwohl er seine Ausbildung an der Abteilung für Bildgestaltung und Kameratechnik gerne abgeschlossen hätte. Nach der Übersiedlung setzte er sein Studium an der Hochschule für Fernsehen und Film in München fort. Seit 1988 arbeitete Czernetzky abwechselnd als Film- und Theaterregisseur, Autor, Produzent, und Medienpädagoge.

Sein bekanntester Dokumentarfilm „Donbass-Sklaven – Verschleppte Deutsche erinnern sich“ lief 1992 auf dem Fernsehsender ARD. Seit 2006 arbeitet er an dem Langzeitprojekt „Siebenbürgische Dorfporträts“, einer DVD-Reihe, die sich den „ehemaligen“ Ortschaften der Siebenbürger Sachsen widmet. Unter seiner Anleitung nehmen Journalismus-Studenten der Lucian-Blaga-Universität in jedem Jahr eine ausgewählte Region unter die Lupe und erarbeiten eigene Kurzreportagen. Im Januar stellte Czernetzky nun den neuesten Teil, die „Großkokler Botschaften – Bunte Kleinanzeigen“, im Astra-Museum in Hermannstadt/Sibiu vor. Zum Gespräch traf ihn ADZ-Redakteur Michael Mundt.


Wie sind Sie zur Idee der „Siebenbürgischen Dorfporträts“ gekommen?

Im Jahr 2006 sind die Burzenländer Heimatortsgemeinschaften an mich herangetreten. Die Ortsvertreter planten eine Reise durch das Burzenland und fragten mich, ob ich sie nicht begleiten und dies auch dokumentieren wolle. Wir sind dann im Mai mit deren Ehefrauen und weiteren Begleitern in einem Bus von Kirchenburg zu Kirchenburg gefahren und am Ende stand der erste Episodenfilm „Lichtblicke und Schlagschatten“. Diese Reise hat quasi den Anstoß zu dem Projekt „Siebenbürgische Dorfporträts“ gegeben und als nächstes, 2008, ging es dann in das Nösnerland. In dem Jahr kam es in Bistritz auch zu dem verheerenden Brand des Stadtpfarrkirchturms, der schließlich zum Titel der DVD „Fanal. Finale Fragmente“ führte. Ohne Kommentierung habe ich dort einfach nur Bilder gezeigt.

Nach der Veröffentlichung kam es zu großer Empörung unter den ausgewanderten Siebenbürger Sachsen. Die Nösner waren sehr verärgert. In der „Siebenbürgischen Zeitung“ erschien ein Artikel von Horst Göbbel mit dem Titel „Günter, was hast Du uns hier geliefert?“ Jetzt, nach fast 10 Jahren, sehen sie es wahrscheinlich anders und nach dem Brand hat die Geschichte der Sachsen dort auch eine positive Wende genommen.
Nach dem Dreh im Nösnerland habe ich aber auch gesehen, dass ich die Finanzierung für eine Fortsetzung nicht mehr gewährleisten kann. Die einzige Möglichkeit, dem Projekt eine nachhaltige Zukunft zu geben, war die Zusammenarbeit mit einer Universität. Ich habe meine Fühler dann zunächst nach Klausenburg ausgestreckt, doch dort war man nicht so entgegenkommend wie hier in Hermannstadt.

Wie viel Arbeit steckt in einer DVD und wer sind die Abnehmer?

Das ist schwer zu sagen, da sich das Projekt über ein ganzes Jahr erstreckt. Es muss die Finanzierung eingeholt und Vorbereitungen müssen getroffen werden. In früheren Jahren war ich nur zweimal im Semester in Hermannstadt und habe dann im Blockunterricht den Studenten die absolut notwendigen Fertigkeiten vermittelt. Momentan lebe ich aber hier und dementsprechend findet der Kurs wöchentlich statt. Die Studenten lernen dabei drei verschiedene Bereiche: Recherche, Aufnahmetechnik und Schnitt. In den letzten beiden Jahren haben wir zudem eine Video-Sommerakademie durchgeführt, während der dann auch noch weiteres Material gedreht und geschnitten wurde.

Zum Abschluss folgt noch der Feinschnitt und die Präsentation der geleisteten Arbeit. Ich bin jedoch sehr daran interessiert, diesen Aufwand immer mehr zu verdichten und in kompakten Blöcken zu arbeiten, denn ein lukratives Geschäft ist die liebe Arbeit nicht. Die Abnehmer sind zunächst einmal die Heimatortsgemeinschaften oder Leute, die an Siebenbürgen abseits der Eventpräsentation und Hofberichterstattung interessiert sind. Diese Kreise interessiert, wie es in den Ortschaften aussieht, wenn gerade keine große Veranstaltung stattfindet.

Wie entscheiden Sie über den Drehort und Arbeitstitel?

Das hängt von vielen Faktoren ab. Meine eigenen Lebensumstände spielen eine Rolle genau wie meine Erlebnisse, aber eben auch Zufälle. Gewiss lasse ich mich auch von der Wirklichkeit einholen. Ich versuche Themen aufzugreifen, von denen ich meine, dass sie in der Luft liegen. Also zum Beispiel die Tendenz, dass Rumänien versucht, neue Wege zu gehen, um sich selbst zu reinigen, beziehungsweise versucht, einen Reinigungsprozess hervorzurufen, sodass die Korruption nachhaltig bekämpft wird. Die Planungen zu „Schmutzige Händen, weiße Westen“ begannen beispielsweise vor dem ernstzunehmenden Kampf gegen die Korruption. Manche Themen liegen einfach in der Luft und müssen von möglichst vielen Leuten so aufgegriffen werden, dass sie perspektivisch auch eine Rolle spielen.

Warum entscheiden sich rumänische Studenten, Kurzreportagen über die Siebenbürger Sachsen zu drehen, und welchen Zugang haben die Studenten zu den Sachsen und Siebenbürgen?

Zu Beginn häufig gar keinen. Sie fangen dann an, sich zu informieren, über ein bestimmtes Dorf und die Realität vor Ort. Bevor wir im Sommer drehen, müssen sie sach- und ortskundig sein. Einige Studenten suchen auch spontan ihre Interviewpartner und Geschichten, aber natürlich sind mir diejenigen lieber, die sich richtiggehend auf die einzelnen Personen eingestellt und auch schon vorher die Kontakte geknüpft haben, zum Beispiel in Form einer Recherchereise. Über die Jahre hat sich so auch der Ruf eingestellt, dass das Projekt effizient ist und dass es den Studenten ermöglicht, Erfahrungen im praktischen Bereich zu erwerben. Und natürlich hat es sich auch herumgesprochen, dass es Spaß macht, zwar kostenlos, aber auch mit viel Arbeit verbunden ist. Gewiss hat auch jeder Student seine eigene Motivation. Es gibt aber auch die, die bereits zum dritten oder vierten Mal dabei sind. Die haben Feuer gefangen und wollen auch noch beim nächsten Projekt mitmachen. Sie übernehmen dann auch die Rolle der Tutoren.

Nehmen Sie während der Produktion Einfluss auf den Inhalt?

Einfluss auf den Inhalt nehme ich nur dann, wenn jemand etwas bewusst unter den Tisch fallen lässt. Es war zum Beispiel der Fall, dass die Studenten Rücksicht auf mich genommen haben, weil ich Sachse bin. Sie wollten dann kritische Aussagen weglassen. Lobhudelei oder Selbstbeweihräucherung der Siebenbürger Sachsen versuche ich jedoch zu unterbinden. Aber auch wenn sich jemand zu kompliziert oder nicht vorteilhaft ausdrückt, neigen die Studenten dazu, diese Person einfach wegzulassen. Wenn mir der Gesprächspartner aber wichtig erscheint, dann weise ich darauf hin und biete den Studenten dafür einen Kunstgriff an. Ich versuche auch mit sanftem Druck, die Filme zu kürzen, aber die Liebe der Studenten zu ihrem Material ist oft so groß, dass es mir nur selten gelingt.

Wie sollte man mit dem Thema Siebenbürger Sachsen denn heute umgehen?

Bei meinem ersten Film „Hoffnungsschimmer im Alten Land“ (Anmerkung: Nach Beginn der Kooperation mit der ULBS im Studienjahr 2009-10) wurde mir gesagt, ich solle die Studenten doch mehr zu einem kritischeren Blick erziehen. Dann kam im nächsten Jahr die DVD „Die gute alte Zeit im Unterwald“, die auch nicht besonders kritisch war, aber im folgenden Jahr kam aufgrund der wiederholten Forderung, ich solle mich kritisch mit den Themen auseinandersetzen, der Film „Oh Jammer im Harbachtal – Fetzen und Farben“, der war dann aber doch zu kritisch! Man möchte also doch nicht so gerne mit der schrecklichen Wahrheit konfrontiert werden.

Es gab auch im Herbst 2015 wieder Diskussionen an der Universität über einen Beitrag aus dem Film „Gottes Mühlen mahlen im Haferland“ über Anhänger der Sekte „Nazarener Kirche“ in Deutsch-Weißkirch. Ein Professor hat mir vorgeworfen, dass dies Propaganda, eine Selbstdarstellung von „Neoprotestanten“ sei und die Position der orthodoxen Kirche zu kurz gekommen ist. Ich halte mich aber – wie gesagt – bei den Aussagen der Reportagen möglichst heraus. Wenn die Studenten Vertrauen in ihr Material haben, dann bestärke ich sie, es so, wie sie es für richtig erachten, auch zu präsentieren.

Der ehemalige ADZ-Redakteur Holger Wermke bezeichnete „Oh Jammer im Harbachtal – Fetzen und Farben“ als einen Film voller Klischees.

Es ging mir darum, der Armut ein Gesicht zugeben und sie genau so zu zeigen, wie sie einem entgegensticht. Das ist den Studenten auch hervorragend gelungen. Das Bild, das über das Harbachtal entstanden ist, war zwar nicht durchgehend ein negatives, aber mit Sicherheit auch kein positives. Es war damals aber auch mehr ein Schattenboxen, denn wir alle waren der Meinung, dass man mehr im und für das Harbachtal tun müsse. Das ist ja dann auch geschehen, aber es braucht eben alles seine Zeit. Sicher wäre es interessant zu zeigen, wie es zehn Jahre später dort aussieht. Ich bin überzeugt, das Bildmosaik wird ein anderes sein.

Im vergangenen Jahr haben Sie auf dem Gebiet des ehemaligen Komitats Groß-Kokelburg gedreht. Waren die Dreharbeiten im letzten Sommer etwas Besonderes, da sie selbst in Schäßburg aufgewachsen sind?

Ja natürlich, denn ich kannte zwar viele der Gemeinden, aber nicht ihre Protagonisten. Es war allerdings auch aus einem ganz anderen Grund etwas Besonderes, denn in dieser aktuellen Ausgabe der Dorfporträts haben wir Werbefilme angefertigt. Werbefilme – oder neudeutsch Imagefilme – für Menschen, die auf dem Land in den einzelnen Dörfern etwas leisten. Sei es Gemeinschaftsinitiativen, Einzelleistungen oder Kleingewerbe.

Das heißt, das Konzept war dieses Mal ein anders?

Wir haben, um uns von früheren Produktionen abzuheben, ein großes Gewicht auf die Authentizität und die Glaubwürdigkeit der einzelnen Personen, Szenen und Darstellungen gelegt. Die Studenten sollten gezielt nach Werbeträgern suchen und ein Konzept entwerfen, welches diese Person in einem positiven Licht darstellt. Mein Gedanke war: Wie kann man etwas für die Leute auf dem Land tun, das für ihre Tätigkeit und ihre Einnahmequelle sinnvoll ist. Daraus sind sehr interessante Arbeiten entstanden, ob über Projektinitiativen, bereits laufende Projekte, gemeinnützige Tätigkeiten, Künstler oder Lebensmittelproduzenten.

Das hört sich nach bezahlter Arbeit an.

Nein, keinesfalls, es ging mir darum, den Studenten das Genre des Imagefilms beziehungsweise social commercials näherzubringen und darum, dass die interviewte Person aus der Gemeinschaft positiv heraussticht. Werbefilm meint in diesem Sinn keine durch Unternehmen finanzierte Werbung, sondern einen Film, der für die Region und insbesondere die einzelnen Personen wirbt. Die Leute waren dementsprechend auch meist überglücklich. Endlich kommt mal jemand, der weder Geld verlangt noch sonst irgendwas fordert.

Wo wird der Film als nächstes gezeigt?

Vorerst mal in Freiburg und grundsätzlich überall dort, wohin ich eingeladen werde. Oft mache ich auch ein Art Jukebox, ein Wunschkonzert. Ich habe dann alle Filme dabei und frage, aus welchem Ort denn jemand etwas sehen möchte. Meistens kann ich gar nicht alle der viel zu vielen Wünsche erfüllen!

Gibt es denn auch wichtige Dörfer ohne Ortsporträt?

Anfangs wollte ich möglichst jeder Gemeinde Siebenbürgens ein kleines Filmchen schenken und ihnen damit Anerkennung, Bedeutung, Ehrfurcht oder eine Provokation signalisieren, aber es gibt auch sehr interessante Dörfer, die einfach unter die Räder gekommen sind, die aber ein Ortsporträt verdient hätten. Wurmloch zum Beispiel, aber auch Eibesdorf oder Magarei. Diese Nachzügler beziehungsweise zu kurz gekommenen Gemeinden möchte ich gerne 2019-20 mit Studenten besuchen. Wer dann mitmachen möchte oder mit Vorschlägen, Ideen und Konzepten dazu beitragen kann, für den habe ich stets ein offenes Ohr.