Die „Liste der Schande“ erregt die Gemüter

Steuerbehörde ANAF riskiert 180.000 Prozesse

Wie schon im Februar angekündigt (kurz danach auch mit der erforderlichen gesetzlichen Unterstützung im Amtsblatt), hat die rumänische Steuerbehörde ANAF ernst gemacht, bzw. die Liste der Steuersünder veröffentlicht. Wie erwartet, ist diese „Liste der Schande“ für zu viele Leute hierzulande eine unangenehme Sache. Obwohl die auf Anordnung von ANAF-Chef Gelu Diaconu angefertigte und publik gemachte Liste sich an die Bestimmungen des neuen, ab dem 1. Januar 2016 in Kraft getretenen Steuergesetzes hält, hat diese Initiative sofort heftige Kritik und Gegner aus allen Reihen der Steuerzahler und -sünder hervorgebracht.

Die Steuerbehörde hat eine Liste der Privatpersonen mit einer Steuerschuld von über 1500 Lei (am 31. März 2016) veröffentlicht. Diese enthält 187.230 Steuerschuldner, die dem Staat insgesamt zirka 3,4 Milliarden Lei schulden würden. ANAF befindet jedoch, dass nur 2,3 Milliarden Lei einzutreiben wären.
Auf dieser Liste sind zahlreiche bekannte Namen aus allen Bereichen unserer Gesellschaft, vor allem der Wirtschaft und der Politik, wiederzufinden: Ganz vorne rangiert Sorin Robert Negoiţă, ein bekannter PSD-Politiker und gerade wiedergewählter Bürgermeister des dritten Stadtbezirks Bukarest mit einer Steuerschuld von 232 Millionen Lei. Auf Platz zwei ist ein Quasi-Unbekannter, Florin Mateiu aus Viktoria-Stadt, mit 94 Millionen Lei zu finden. Die bekannten Geschäftsleute und Politiker George Becali und Silviu Prigoană stehen jeweils mit 3,9 Millionen Lei bei ANAF in der Kreide. Auf der „Liste der Schande“ erscheinen außerdem der bekannte Rechtsanwalt Pavel Abraham (218.184 Lei). Wenige der Angeführten bekennen sich zu ihrer Schuld. Der Fernsehjournalist Mircea Badea (34.000 Lei) besteht felsenfest darauf, dass es sich um einen groben ANAF-Fehler handeln würde.

Einerseits ist diese ehrgeizige ANAF-Initiative im Rahmen des viele Jahre erfolglosen Kampfes gegen Steuerhinterziehung und Schattenwirtschaft in unserem Land als positiv zu werten und zu begrüßen. Andererseits hat die Steuerbehörde das Problem ungeschickt und am falschen Ende angepackt: Die auf dieser Liste der öffentlichen Schande preisgegebenen Privatpersonen machen den kleinsten Teil der Steuerschuldner aus. Laut eines Berichts des Rechnungshofes von 2014 sind das sage und schreibe 3,5 Prozent der rumänischen Steuerschuldner. Die von diesen einzutreibenden Steuerschulden machen lediglich 2,88 Milliarden Lei (640 Millionen Euro) aus. Der Rest bis zu 78,8 Milliarden Lei Steuerschulden macht die Schuld der Unternehmen aus, davon sind nach ANAF-Schätzungen 76 Prozent gar nicht mehr einzutreiben und demnach für den Staatshaushalt für immer verloren.
Es erscheint auch mehr als logisch, dass der Rechnungshof der Steuerbehörde etwas mehr Klarsicht und praktischen Sinn empfiehlt und ernsthaft ans Herz legt, sich doch nicht mit der aufreibenden und wenig einbringenden Jagd auf die kleinen Steuersünder zu beschäftigen, sondern besser mutig und konzentriert gegen die Großschuldner vorzugehen. Das wäre jedoch eine ganz andere Sache, nicht wahr.

Außerdem hätte sich ANAF mit der Veröffentlichung der Liste selbst ins Fettnäpfchen gesetzt: Die Steuerbehörde riskiert, gemäß der Ansicht von Rechtsanwälten, damit 180.000 Prozesse auszulösen. Gemäß Gesetz 677/2001 ist die Veröffentlichung persönlicher Daten und Informationen von Privatpersonen illegal. Und ANAF veröffentlichte Name, Vorname, die genaue Steuerschuld und den Wohnort der jeweiligen Steuerschuldner. Mit ersten Prozessen drohen u. a. Elena Băsescu, die jüngere Tochter des Ex-Präsidenten, und Cătălin Predoiu, der unterlegene PNL-Kandidat für das Bukarester Bürgermeisteramt, die angeben, dass ANAF nicht in Betracht gezogen hätte, dass sie ihre Steuerschuld inzwischen getilgt hätten. Als Belege für ihre Unschuld präsentierten sie die entsprechenden Quittungen. Unterdessen hat auch die Landesbehörde für den Schutz von persönlichen Daten eingegriffen: Am 17. Mai wurde eine Untersuchung bei der Steuerbehörde eingeleitet. ANAF erhielt am 23. Mai für die Veröffentlichung dieser Liste eine Geldstrafe von 16.000 Lei wegen Missachtung des Gesetzes 677/2001.

Nun hat auch Finanzministerin Anca Dragu öffentlich eingestanden, dass ANAF eine gute und vom neuen Steuergesetz vollauf gedeckte Aktion schlecht vorbereitet und übereilt gestartet hätte: Ein Teil der veröffentlichten Daten wären eben inkorrekt, weil die in der Zeitspanne 1. bis 15. Mai getilgten Steuerschulden dabei nicht in Betracht gezogen worden wären. Eines ist sonnenklar: Die Steuerbehörde ist wohl auf dem richtigen Weg, doch mit solcher Pfuscharbeit erreicht sie nur das Gegenteil, vor allem einen beträchtlichen Imageverlust. Die lange Liste der kleinen Steuerschuldner kann es nicht richten, sie verweist vielmehr auf die jahrelange und chronische Ineffizienz dieser Institution hin. Was die Steuerzahler seit Jahren und wirklich mit Sehnsucht erwarten, ist die Veröffentlichung einer wahren Liste der großen Steuerschuldner dieses Landes, die sicher vom Staat selbst und von den großen Staatsbetrieben angeführt werden würde.