Die Nostalgie der Straßenbahnen

Symbolfoto: pixabay.de

Als ich San Francisco besuchte und in einem Hotel auf der Market Street wohnte, fuhr ich oft mit der historischen Straßenbahn der F-Linie durch die Stadt, über den Financial District bis Fisherman‘s Wharf. Immer wieder benutzte ich auch das uralte und nostalgische Cable Car, die Kabelstraßenbahn, um mich durch die kalifornische Metropole fortzubewegen. Und so reiste ich nicht nur durch die hügeligen Stadtstraßen, sondern ich kurvte auch durch die verwinkelten Alleen der Vergangenheit. Das Gleiche erfuhr ich in der moldauischen Stadt Jassy, als ich auch dort mit der bezaubernden historischen Straßenbahn, die eigentlich bloß aus einem einzigen weiß-grünen Wägelchen bestand, auf dem mit riesigen Lettern die Bezeichnung Tramvai electric prangte, den Copou-Berg hinauffuhr. Vor allem die offene hintere Plattform, auf der man als Passagier verweilen konnte, wie auch die vordere, auf der der stolze Straßenbahnfahrer wie anno dazumal ordentlich zupackte, um den Schalthebel zu bewegen, erinnerten mich an die Elektrische, die Straßenbahn der 60er Jahre im Temeswar.

Nun las ich in der Bukarester Zeitschrift “Dilema veche” einen schönen Bericht meiner jungen Freundin Adina Popescu über die Linie 7 der Straßenbahn aus Leipzig. Adina war kürzlich auf der Leipziger Buchmesse, wo ich sie dem deutschen Publikum als eine prima rumänische Schriftstellerin und Journalistin vorstellen durfte. Aber nicht über Schriftsteller, sondern über Straßenbahnen wollte ich nun schreiben. In Leipzig, so Adina in ihrem Bericht, sei sie des Öfteren mit der Linie 7 vom Hotel Ramada-Paunsdorf, wo sie wohnte, um die 15 Haltestellen, bis in die Stadtmitte gefahren. Adina zeigt sich vom perfekten Funktionieren der Linie 7 und der Leipziger Verkehrsmittel im Allgemeinen sehr beeindruckt. Sie bewundert die elektronischen Anzeigetafeln, die an jeder Haltestelle aufleuchten, und auf welchen die Zeiten, an denen die Straßenbahnen eintreffen, angegeben werden. Diese Zeiten würde man auch rigoros einhalten, so Adina. Alles funktioniere nach Plan, mit der Präzision eines Schweizer Uhrwerks.

Liebe Adina, ich kann gut verstehen, dass du, gerade aus Bukarest eingetroffen, dich über diese Dinge gewundert hast. Auch ich habe mich Ende der 70er, als ich, aus Rumänien kommend, in Düsseldorf landete, über die Pünktlichkeit der deutschen Straßenbahnen gewundert, und tue es auch heute noch. Aber nicht nur die deutschen Straßenbahnen sind pünktlich, sondern auch die anderen öffentlichen Verkehrsmittel. Okay, es gibt natürlich auch Ausnahmen, und zwar immer nur dann, wenn ich unterwegs bin. Und ich bin täglich mit der Straßenbahn oder mit dem Bus unterwegs, so auch gestern, als mir Folgendes passierte:
Ich hatte in der Düsseldorfer Altstadt zu tun, und wollte danach mit dem Bus 726 zurück nach Hause, also nach Bilk fahren. Ich begab mich zur Endstation an der Maxkirche. Laut Plan in der Haltestelle musste der Bus um 17.01 Uhr losfahren. Der Bus steht aber menschenleer vor mir, ohne Fahrer und ohne Fahrgäste. Ich bin der einzige Wartende. Die Türen sind geschlossen. Ich sehe auf die Uhr, es ist punkt 17 Uhr. 17. 01 Uhr, 17.02 Uhr, 17.03 Uhr. Immer noch kein Fahrer. Hm, wer weiß, vielleicht fährt dieser Bus heute gar nicht, sage ich mir.

Um 17.04 Uhr erscheint plötzlich der Busfahrer, man merkt, dass er gerannt ist, er keucht wie nach einem 100m-Lauf. Er öffnet die Türen, ich steige ein.
„Sorry“, sagt er mit einem schweren slawischen Akzent, „man kann nicht fassen!“
Ich: „Was ist denn passiert?“
Er: „Hier Endstation, ich Pause machen müssen 15 Minuten. Gehe schnell zu Italiener drüben, bestellen Spaghetti. Kein Mensch bei Italiener, nur ich. Spaghetti aber dauert hundert Jahre. Mega schnell geschluckt, Mund verbrannt.“
Er schaltet den Motor ein. „Schlimm Italiener, was los mit Italiener?“, sagt er.
Es ist 17.05 Uhr, aus heiterem Himmel kommt ein Mann mittleren Alters mit einem dunkelgrauen Hut auf den Bus zugerannt, steigt ein. Er keucht, fast ist ihm die Puste ausgegangen.
„Ist das der Bus, der um 17.01 Uhr hätte losfahren müssen?“
Der Fahrer: „Ja, das ist Bus.“
Anstatt erleichtert aufzuatmen, meint der keuchende Mann in einem Ton, der mich an Militärmarschmusik erinnert: „Sie sind aber viel zu spät dran, oder? So entsteht das Chaos.“
Der Fahrer: „Sorry, war Italiener.“
Aber, um auf die Nostalgie der Straßenbahnen zurückzukommen, hier noch eine kleine Straßenbahngeschichte aus Zeiten des Kommunismus:
„Rücken Sie bitte nach vorne, meine Damen und Herren!“, ruft der Fahrer.
„Heute gibt es keine Damen und Herren mehr“, weist ihn ein Fahrgast, der ein überzeugter Kommunist ist, zurecht.
Bei der nächsten Haltestelle ruft der Fahrer: „Arbeiter und Bauern, bitte alle aussteigen. Endstation.“