Die ökologischen Helden der Großstadt

Umweltfreundliche Kurierdienste in Bukarest

Das Team Tribul

Ariel Constantinof hat Tribul in Bukarest gegründet.

So sehen Fahrradpisten in der Hauptstadt manchmal aus.
Fotos: Tribul (2), Optar (1)

Menschen, die sich mit eigener Körperkraft bewegen, anstatt laute und stinkende Motoren einzusetzen, emissionsfrei und lautlos: Radkuriere. Sie werden tagtäglich körperlich und geistig auf die Probe gestellt, und auch wenn das Fahrradfahren an sich zur Erhaltung der Gesundheit beiträgt, ist die Arbeit oft hart: Fahrradkuriere kämpfen sich jeden Tag durch die Stadt, immer im Wettlauf gegen die Zeit.  Jeder, der gesund und fit ist, die Verkehrsregeln kennt und zuverlässig ist, kann als Radkurier arbeiten. Egal ob das Wetter gut oder schlecht ist, fährt man bis zu 90 Kilometer pro Tag. Nicht alle können diesen Job körperlich bewältigen. Es sind daher meistens junge, dynamische Leute, die in dieser Branche arbeiten.

Der wirtschaftliche Kontext dafür ist günstig, besonders dank den Online-Geschäften. Man muss sich fragen: Gehört die Zukunft der Paketdienste im überfüllten städtischen Gebiet nicht vielleicht den Fahrradkurieren? Und: Bietet Bukarest die dafür notwendige Infrastruktur? Oder ist das Radfahren in Bukarest zu gefährlich?

Heimliche Helden des städtischen Dschungels

Fahrräder können Staus umfahren, sind schnell und tragen - durch den Verzicht auf Abgase produzierende Verkehrsmittel - indirekt zur Verbesserung der Luftqualität bei. Kunden und  Lieferanten haben ein gutes Gewissen, denn letztendlich „rettet man den Planeten“, wenn man umweltfreundliche Transportmittel benutzt. Eine Firma, die Radkurierdienste anbietet, kann man schnell starten. Dafür braucht man sehr wenig Geld als Investition. Die Kandidaten für den Job benötigen nur ein Fahrrad und ein Handy. In Bukarest und in anderen Großstädten hierzulande sind die kleinen Firmen Nischenanbieter auf dem Markt der Kurierdienste, die allerdings im Schritt mit den Onlineverkäufen wachsen. Der Markt hat sich geändert. Für Onlineläden sind Fahrradkurierdienste effizient, denn Radfahren ist schnell und billig – zum Beispiel, wenn man Essen oder kleine Pakete liefert. Außerdem gibt es keine raschere Methode, etwas durch die Stadt zu transportieren, besonders wenn man bedenkt, dass Bukarest als schlimme Staustadt gilt.

Ariels Liebe auf den ersten Blick

Tribul (dt. der Stamm) war die erste derartige NGO, die in der Hauptstadt gegründet wurde. Die Idee hatte der in Israel geborene Ariel Constantinof, ein junger Dreadlocksträger mit angenehmer Stimme, der schnell spricht. Er ist der Leiter von Tribul, wo eine Handvoll Menschen aus verschiedenen Ecken Rumäniens mit derselben Leidenschaft arbeiten. Für ihn war es eher ein Traum, der in die bekannteste Organisation für Fahrradkurierdienste in Bukarest verwandelt wurde: „Ich fuhr ins Gymnasium mit dem Rad. Eines Tages hat eine Klassenkameradin gefragt, ob ich für sie nicht eine Besorgung machen könnte - mit dem Fahrrad, weil ich schneller war. Danach bin ich nach Hause gefahren und habe im Youtube Informationen über Fahrradkuriere gesucht. Ich habe mich auf der Stelle in diese Idee verliebt, in die Lebensweise, in das, was in New York in dieser Hinsicht geschah. Das war’s, Liebe auf den ersten Blick. Die Idee ist nicht originell, aber sie wurde an Bukarest angepasst“, meint Constantinof.

Unlängst erzählte der Gründer von Tribul der rumänischen Presse, dass die einzige ursprüngliche Investition der Kauf einer Domain  für die Site war. Fahrradkuriere helfen, gleich mehrere Probleme zu lösen: Die Luftverschmutzung von Bukarest ist hoch, daher  wird auf der Seite von Tribul angezeigt, wie viel Kohlendioxid nicht produziert wurde. Der Service geht sehr schnell: Man bekommt einen Anruf, fährt mit Fahrrad und Rucksack los, um ein Paket abzuholen und zu liefern. „Wir sind ein relativ kleines Geschäft, das sich schnell anpassen muss: manchmal klappt es, manchmal nicht. Wir haben gerade einen neuen Kurier angestellt. Es passiert oft, dass wir neue Kuriere anstellen. Manche kommen, andere gehen, sehr wenige bleiben und machen Karriere aus diesem schweren Job“, sagt Constantinof.

Er macht sich keine Pläne, denn Tribul habe sich von alleine entwickelt und wurde stets im Team geleitet. Als es schwierige Situationen gab, haben die Kuriere gemeinsam entschieden. „Es wurde immer alles erledigt, auch wenn ich dachte, es gibt keine Chance. Ich habe keine Pläne für Tribul, aber Tribul hat bestimmt Pläne für Bukarest: Es wird weiter wachsen, einmal begonnene Veränderungen werden sich fortsetzen. Ich hoffe, das Projekt wird auch andere Leute begeistern“. Man kann schon von einer Gemeinschaft sprechen, die immer größer wird.

Rekordzahl: 1000 Lieferungen im Monat

Im Moment gibt es bei Tribul sieben Kuriere, die Vollzeit arbeiten, hinzu kommen viele andere bei Bedarf - sogar Constantinof liefert selbst, wenn es der Fall erfordert. Die Kunden sind meist Onlineläden oder Leute, die etwas zu Hause vergessen haben, zum Beispiel das Kabel für den Laptop. Kein Tag ähnelt dem anderen. „Klar ist, dass die Kunden die Geschwindigkeit schätzen, die wir ihnen anbieten können“, sagt Constantinof. Auf der Seite von Tribul gibt es eine App, wo man einen Auftrag erteilen kann - man muss hierfür nur die Adressen von Absender und Empfänger eingeben. Um den Rest kümmern sich die Mitglieder von Tribul, die den Auftrag übernehmen und den Verbleib des Pakets online aktualisieren, damit der Kunde Bescheid weiß, wo es sich befindet, ohne die Firma anrufen zu müssen. Einen festen Lohn für die Kuriere gibt es nicht, für jede Lieferung bekommen sie 10 Lei bezahlt. Wenn ein Kurier täglich 10 Lieferungen übernimmt, verdient er 2000 Lei pro Monat. Es ist kein normaler Job mit nur acht Stunden pro Tag. Dafür arbeitet man flexibel und jeder darf sich mal freinehmen, meint Constantinof. Der Schlüssel des Erfolgs ist die Kommunikation im Team.

„Tribul ist eine Nichtregierungsorganisation und wurde als soziales Geschäft gegründet. Auch wenn Geld gemacht wird (um die Löhne zu bezahlen), hat es als Ziel, das Fahrradfahren in Bukarest bekannter zu machen“, erklärt der Gründer. Doch das Geschäft wird immer größer, von einem Jahr zum anderen 50 Prozent Wachstum oder mehr. Ein Rekord wurde mit 1000 Lieferungen in einem Monat erreicht. Das Minimum schätzt Constantinof auf 400 und der Durchschnitt liegt bei 600-800 Lieferungen. Aber auch der Durchschnitt steigt stetig. Am meistens beschäftigt sind die Kuriere im Juni und im Dezember. Zu den Kunden von Tribul zählen heute u.a. L’Oréal, Aqua Carpatica, Mio Bio, RAL Communications.

Mit der Schildkröte zum Tierarzt

Durch das „Door-to-door“-System dauert die Fahrt im Durchschnitt 30 Minuten. Geliefert wird alles, was man in einen Rucksack packen kann, hieß es anfangs. Nachdem ein Kunde wollte, dass ein Fahrradkurier seine Schildkröte zum Tierarzt bringt, haben sich die Geschäftsbedingungen geändert: „Alles, was man in einem Rucksack tragen kann, was nicht lebendig oder tot ist. Und es muss auch legal sein.“ Nach diesem Modell wurden auch Sinapseria und Kyklos gestartet. Die Kunden sind Großfirmen, denen neben der Lieferung ihrer Pakete auch der Umweltschutz am Herzen liegt. Sinapseria, eine Firma, die seit zwei Jahren Fahrradkurierdienste anbietet, arbeitet mit dem Onlineladen der Cărtureşti-Buchhandlungen zusammen. Für 12 Lei können bestellte Bücher am selben Tag in ganz Bukarest ausgeliefert werden. Fahrradkurierdienste bieten auch Velo Express in Klausenburg/Cluj Napoca und Curier pe bicicletă in Temeswar/Timişoara und Arad. Die Preise sind dort niedriger als in der Hauptstadt, weil der Markt schwächer ist.

Der Verkehr in Bukarest

In Bukarest gibt es insgesamt acht Kilometer Radwege, aber nur zwei davon haben einen angemessenen Standard, erklärt Marian Ivan von der Nichtregierungsorganisation Optar (Organisation für die Förderung des alternativen Transports Rumäniens). Die Radfahrer gelten als reguläre Verkehrsteilnehmer und fahren auf der Straße wie Autofahrer. Die Situation der Fahrradwege in Bukarest wurde nicht verbessert: „Auch nach der Suspendierung von Oberbürgermeister Oprescu, einem unnachgiebigen Gegner des Radfahrens in Bukarest, ist die lokale Verwaltung engstirnig geblieben und hat gar kein Interesse, einen Dialog zu führen“, klagt Ivan. Das Problem ist ein allgemeines, nicht nur in Bezug auf die Infrastruktur der Fahrradpisten. „Es gab keinen Plan für die Entwicklung der Stadt, denn jeder Bürgermeister hatte nur die Vision des eigenen Mandates. Unter diesen Bedingungen wurden die Probleme von einem Mandat zum anderen immer größer – in allen Bereichen“, meint er.

Für Radfahrer ohne Erfahrung sei es gefährlich, in der Hauptstadt Rad zu fahren. Deshalb ist die Wahrscheinlichkeit klein, dass neue Fahrradfahrer hinzukommen. Für diejenigen, die einen Führerschein und Erfahrung beim Fahrradfahren haben, ist die Anpassung an den Bukarester  Verkehr leichter. Die Einstellung der Autofahrer gegenüber den Fahrradfahrern habe sich aber geändert: „Die Autofahrer haben sich an die immer größere Anzahl von Radfahrern gewöhnt und die meisten sind aufmerksam im Verkehr. Die Anzahl der Unfälle muss aber noch wesentlich sinken, damit man von Verkehrssicherheit sprechen kann.“