Die Phänomenologie des Fremdschämens

„Lost in Translation“ oder die Irrungen und Wirrungen des rumänischen Außenministeriums

Symbolfoto: freeimages.com

Man kann sich im Leben für vieles schämen: Eine unbedachte Antwort, eine Überreaktion, ein versäumtes Treffen, eine Kränkung, die man ungewollt verursacht hat, ein Misserfolg, schlampige Arbeit und einiges mehr. Das Gute dabei ist aber die Tatsache, dass man fast immer die Möglichkeit hat, Wiedergutmachung zu leisten. Denn man schämt sich in solchen Fällen für das eigene Fehlverhalten. Ganz anders ist aber das Fremdschämen. Hier muss man „sich stellvertretend für andere, für deren als peinlich empfundenes Auftreten“, wie es im Duden steht, schämen. Und weil man sich im Falle der Fremdscham nicht fürs Eigene geniert, tut man sich auch mit der Wiedergutmachung schwer, denn diese liegt in den Händen des Verursachers.

Das Gefühl des Fremdschämens überwältigte vor nicht so langer Zeit meinen in Deutschland lebenden Freund Remus Racolţa aus Temeswar, der auf den Internetseiten der rumänischen Botschaft nach Informationen zum Thema Passerneuerung suchte und auf die Nachrichtenrubrik gestoßen ist. Ich muss gestehen, mir erging es nicht anders, als ich diese Nachrichten las. Man lese und staune: „Der Terrorismus und die Terrorangriffe wirken und haben sehr schwere Folgen, nur wann die Antwort die Angst ist, hat der rumänischen Staatspräsident Klaus Iohannis am Mittwoch in Pressburg erklärt, und bejäht, dass Rumänien kein Ziel für die Flächtlinge war und ist.” So und nicht anders steht es auf der Internetseite der Botschaft von Rumänien in der Bundesrepublik Deutschland (www.berlin.mae.ro) unter der Rubrik „Neuigkeiten aus Rumänien“. Der Eintrag stammt vom 18. November und ist der vorläufig letzte.

Und es wird immer „besser“. Dieser buchstabengetreue Satz wurde am 30. Oktober dieses Jahres auf den Seiten der Rumänischen Botschaft in Berlin veröffentlicht: „Der rumänische Minister für auswärtige Angelegenheiten, Bogdan Aurescu, und seiner spanische Amtskolleg, Jose Manuel Garcia-Margallo, die Gastgeber der Veranstaltung zum Thema ‚Der Weg zu einem internationalen Gericht gegen den Terrorismus. Ideen und Herausforderungen‘, die Dienstag in New York am Rand der UN-Generalversammlung stattfand, wurden.” Eine Zumutung sondergleichen sind diese Texte, aus dem Rumänischen übersetzte Nachrichten der staatlichen Presseagentur Agerpres. Dasselbe holprige, kaum verständliche, fehlerhafte Deutsch erfreut auch die an Rumänien interessierten Leserinnen und Leser in Österreich, denn unter viena.mae.ro sind dieselben Texte zu finden. Dies lässt darauf schließen, dass die Übersetzung zentral geschieht, entweder im Bukarester „Ministerium für Aussengelegenheiten” (sic!), wie es an anderer Stelle heißt, oder in der Zentrale der Agerpres.

Die Frage, die sich hierzulande und in vielerlei Angelegenheiten stellt, ist, wie dies überhaupt möglich ist? Wie kommt es eigentlich dazu, dass solche Texte veröffentlicht werden? Dass es keine Überprüfung gibt, dass sich niemand daran stört, dass eine Botschaft, im Grunde die Visitenkarte eines Landes, solch kommunikationsfeindliches Geschwafel auf der offiziellen Homepage veröffentlicht. Dies kommt einer unglaublichen Schmach gleich, nicht nur für das Gastland, sei es nun Deutschland oder Österreich, sondern auch für die in Deutschland lebenden Rumänen. Manche sind der deutschen Sprache mächtig, so manch eine(r) ist als Promovend(in) der Philosophie getarnt, der oder die sogar Heidegger mühelos auf Deutsch lesen kann, manch anderer ist wiederum deutschen Ursprungs. Alle haben eine Gemeinsamkeit: den rumänischen Pass. Sie sind also an die Landesvertretungen Rumäniens nolens volens gebunden. Eines lässt sich gleich feststellen: Es fehlt nicht an qualifiziertem Personal, es gibt genügend Personen, sowohl im In- als auch im Ausland, die sehr gut Deutsch sprechen und schreiben können. Im Falle der rumänischen Botschaft fehlt es vor allem an Professionalität und Klasse. Es ist die Botschaft selbst, die bei den Lesern ein Gefühl der unverfälschten Fremdscham verursacht.

Man fragt sich auch, ob die Zuständigen sich überhaupt dessen bewusst sind, dass sie der benutzten Sprache eigentlich gar nicht mächtig sind. Schlimmer noch, ob sie vielleicht annehmen, dass sie diese Sprache perfekt beherrschen? Wurden die Texte mithilfe von Google übersetzt? Man könnte sie ja auf das Problem hinweisen, wie unlängst der besagte Freund Remus Racolţa es getan hat. Einen höflichen Brief hat er an Seine Exzellenz, den Botschafter Rumäniens in der Bundesrepublik Deutschland, gerichtet, und zwar irgendwann im November. Eine Antwort blieb bis heute aus. Die Texte waren auch Ende Dezember an gleicher Stelle. Gleich schlecht. Das wiederum zeugt von grober Achtlosigkeit und Gleichgültigkeit einer öffentlichen Behördenstelle, die aus Steuergeldern, also von den Bürgerinnen und Bürgern, finanziert wird und zu deren Diensten sie stehen sollte.

Und müsste das Außenministerium nicht über ein Team von Beamten (zumindest im gehobenen Dienst) verfügen, die nicht nur die wichtigsten Weltsprachen beherrschen, sondern sine qua non auch die Landessprache des Gastlandes? Zumindest für Europa scheint dies nicht ein Ding der Unmöglichkeit zu sein. War das nicht auch früher so? Es erinnert sich so mancher an die viel gelobten Dolmetscher vergangener Zeiten. An die ausgezeichnete und überall gepriesene Sprachen-Lernfähigkeit der Rumänen. Immerhin gibt es hierzulande noch genügend deutschsprachige Schulen, es gibt Germanistikabteilungen an den wichtigsten Philologiefakultäten, es gibt deutschsprachige Studiengänge in manchen Universitätsstädten. Das müsste auch in der Bukarester Aleea Alexandru bekannt sein. Und auch in der Berliner Dorotheenstraße. Fürwahr, in die Hintergründe der Bukarester Außenpolitik zu blicken ist nicht einfach. Zeugnis dafür legen die oben angeführten „Nachrichten“ ab. Man versucht, sie einmal zu lesen, man versucht es noch einmal, und man gibt es letzten Endes enttäuscht auf.

Seien wir jedoch modern, betrachten wir es positiv! Eigentlich müssten wir froh sein, dass die rumänischen Auslandsvertretungen des rumänischen Staates nicht wie in der Römischen Kurie des Heiligen Stuhls alle Texte in lateinischer Sprache, der alten lingua franca Europas, übersetzen und veröffentlichen müssen.
Bei aller Positivität bleibt trotzdem der Anschein, dass, zumindest für die Vertreter des rumänischen Staates im deutschsprachigen Raum, auch das Deutsche eine völlig unbekannte und tote Sprache ist.