Die Rumänien-Zeitreise des Robert D. Kaplan

Ein US-amerikanischer Journalist entdeckt ein Land im Schatten Europas

Robert D. Kaplan: „În umbra Europei. Două războaie reci şi trei decenii de călătorie prin România şi dincolo de ea”, Editura Humanitas, Bucureşti 2016, pp. 349, ISBN 978-973-50-5148-8, 42 Lei.

Jung und unentschlossen ist der amerikanische Jude Robert D. Kaplan, als er Anfang der 1980er Jahre in Israel seinen Militärdienst abschließt, sich mit dem Gedanken herumplagt, Pressekorrespondent des Westens im Orient zu werden, in einem Antiquariat das Buch eines kanadischen Autors über die kommunistischen Regierungen in Osteuropa findet, dieses sofort verschlingt und seine Koffer Richtung Bukarest packt. Bereits Anfang der 1970er hatte er einen Teil Osteuropas bereist, gekommen war er auch nach Rumänien, das ihm im Vergleich zum Nachbarland Ungarn arm und unfreundlich vorkam. Mit keinem konnte er sich damals in Rumänien anfreunden. Schlimmer war es nur noch in Bulgarien, für den damals sehr jungen zukünftigen Journalisten ein Stück Mittlerer Orient.

Doch 1981, nachdem er das zehn Jahre zuvor erschienene Buch von H. Gordon Skilling, „The Governments of Communist East Europe”, rein zufällig in Jerusalem entdeckt, ist er in Bukarest. Unverzüglich. Die Eindrücke der ersten Reise sind inzwischen abgeklungen. Nun spricht er bei der amerikanischen Botschaft vor, dann bei der israelischen. Denn er ist Staatsbürger beider Länder und inzwischen ein angehender Journalist, der sich für internationale Politik interessiert und nach einem Gebiet sucht, das es ihm ermöglicht, sich als Fachjournalist einen Namen zu machen. So beginnt das osteuropäische, insbesondere das rumänische Abenteuer des Robert D. Kaplan, dessen neuestes Buch, „In Europe´s Shadow: Two Cold Wars and a Thirty-Year Journey Through Romania and Beyond”, im Februar 2016 im amerikanischen Original erschienen ist und sofort vom Bukarester Humanitas Verlag in rumänischer Übersetzung veröffentlicht wurde.

Ein Buch, das selbstverständlich nicht für das rumänische Publikum geschrieben wurde, und dennoch auch für die hiesige Leserschaft Interessantes zu bieten hat. Es beeindruckt die Belesenheit des Autors, seine ausgezeichnete Kenntnis der Geschichte Rumäniens, seiner Nachbarn und der gesamten Region Mittel- und Osteuropas. Er kennt wie kaum ein anderer die rumänische Kultur, ihre Größen und Schwächen, er weiß um Vergangenheit und Gegenwart dieses Landes wie nur wenige Inländer. Dafür liest er und erzählt seinen Lesern das Gelesene, besser gesagt, er lässt den Leser teilhaben an seinen Gedanken beim Lesen einer durchaus umfangreichen Reiseliteratur. Aber nicht nur. Denn Kaplan, ein vollblütiger Journalist der alten Schule, sucht das Gespräch. Immer. Er fragt nach, er lässt sich informieren, er hört zu, merkt sich das ihm Erzählte und analysiert es. Konnte er 1981 nur mit dem Personal ausländischer Botschaften in einen engeren Gedankenaustausch treten, so spricht er nach 1990 mit vielen.

Zu Wort kommen, unter anderen, Ion Iliescu, Silviu Brucan, Traian Băsescu und seine Berater, Horia Roman Patapievici, Mircea Geoană, Neagu Djuvara, Victor Ponta, der ehemalige Premier der Republik Moldau, Iurie Leancă, ein Neffe Elena Ceauşescus, sodann Klausenburger, Jassyer und Bukarester Professoren, Soziologen, Ökonomen, Sicherheitsexperten, aber auch Vertreter der deutschen Minderheit in Siebenbürgen, zum Beispiel Paul Philippi und Wolfgang Wittstock.

Kaplans Zeitreise durch Rumänien beginnt 1981 und endet 2013. Sie startet in Bukarest, setzt sich fort über die byzantinischen Ursprünge des rumänischen Geistes, über die Bărăgansteppe und die Schwarzmeerküste, sie macht einen Zwischenhalt in Jassy und einen Abstecher östlich des Pruth, nach Chişinău, überquert schließlich die Karpaten in Richtung Westen. Denn die beiden vorletzten Kapitel handeln von Siebenbürgen, bevor Kaplan seine Reise in der ungarischen Hauptstadt, die Fischerbastei und der Budaer Burgberg im Hintergrund, abschließt.

Dabei beschäftigen den Journalisten Robert D. Kaplan ständig Fragen der internationalen Politik, der Beziehungen Rumäniens und Ost-europas zu Russland und zu West-europa. Er untersucht das alte Sicherheitsbedürfnis der Rumänen und deren Angst vor Russland, er analysiert die Ukrainekrise und das autoritäre Gehabe des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán. Als Journalist bleibt Kaplan vor allem der Gegenwart verbunden, aber er sucht Erklärungen, Lösungsansätze, Hintergründe in der Vergangenheit. Und findet sie auch. Im Byzantinischen Reich, bei den Osmanen, unter den Fanarioten, im zaristischen Russland, in der Doppelmonarchie, in Mircea Eliades Schriften, in Eminescus Gedichten, in den Anfängen des Kommunismus in Rumänien, in der Persönlichkeit Ion Antonescus, in einem berühmten Satz Silviu Brucans. Oder während eines Spaziergangs durch Bârlad, weil er – ist es verwunderlich? – den Geburtsort von Gheorghe Gheorghiu-Dej aufspüren will.

Nie bleibt Kaplans Analyse oberflächlich, nie lässt er sich in die Irre führen. Seine Bibliothek, seine Bücher, über die er am Anfang mit besonderer Wehmut schreibt, verschonen ihn vor Illusionen. Und auch vor allzu starken Emotionen. Der Ton bleibt sachlich, mitunter kühl: Am Werk ist ein US-amerikanischer Journalist, der für „The New York Times“, „Foreign Affairs“ und „Wall Street Journal“ schreibt. Doch das Land lässt ihn nicht los. Er gesteht dies zwar kaum ein, der Leser spürt es aber. Kaplan hält es mit Robert Musil. Dessen Satz „Wahrheit entsteht bei kaltem Blut” hat er sich gemerkt. Seinen Wert überprüft er während langer Spaziergänge durch das gespenstische Bukarest des Jahres 1981. Doch es geschieht, was geschehen muss: Von journalistischer Neugierde getrieben, entdeckt Kaplan ein Land, das ihn mehr und mehr beschäftigt. Er will es kennenlernen, er will es begreifen, er will es sich und anderen erklären können. Er tut es und es gelingt ihm ausgezeichnet. Denn „In Europe´s Shadow“ kann der Nicht-Rumäne als Reiseführer, Polit-Analyse, Geschichtsbuch, Reportagensammlung und Autobiografie lesen. Der einheimischen Leserschaft liefert Kaplan darüber hinaus dann noch die Antwort auf eine Frage, die Volk und Eliten hierzulande immer wieder geplagt hat: „Wie sehen uns die anderen?”, „Was halten sie von uns?” Der Spiegel, den uns Robert D. Kaplan vorhält, ist ein akkurater. Man sollte deshalb genau hinschauen.