„Die Siebenbürger Sachsen müssen sich jetzt in einem europäischen Kontext bewegen“

ADZ-Gespräch mit dem Bischofsvikar der Evangelischen Kirche A.B. in Rumänien und Bukarester Stadtpfarrer, Dr. Daniel Zikeli (II)

Foto: Aida Ivan

Fortsetzung vom 23. Januar

Dr. Daniel Zikeli, Stadtpfarrer in Bukarest und Bischofsvikar, spricht über die neuesten Entwicklungen in der evangelischen Kirche in Rumänien. Was ist das Verhältnis der Siebenbürgen Sachsen zu Deutschland? Welche Position haben sie in der Konstellation Deutschland-Rumänien-Europa? Das Gespräch führte Aida Ivan. 


Wie kann man die Vergangenheit bewältigen?


Nur wenn man die eigene Geschichte kennt, kann man auch für die Zukunft Schlüsse ziehen. Warum sage ich das? Die Siebenbürger Sachsen sind eine Gemeinschaft gewesen, die immer respektiert wurde. Aber sie waren nicht eine ideale Gesellschaft. Ich denke an die Ernüchterung aus dem Roman von Eginald Schlattner. Man muss zu der jüngsten Vergangenheit stehen, denn sie hat zu dieser Katastrophe geführt: die Auswanderung aus Siebenbürgen. Das Volk Israel musste aus Ägypten wegziehen. Es hat 40 Jahre lang gedauert, bis sich dieses Volk wiedergefunden hat. Die Siebenbürger Sachsen brauchen eine Zeit, bis sie sich wiederfinden. Wenn sie sich überhaupt noch finden. Sie sind an eine gewisse Herkunft gebunden: Das, was Siebenbürger Sachsen sind, sind sie in Siebenbürgen geworden.

 

Siebenbürger Sachsen gibt es mehrere im Ausland als im Inland.

Es ist schon richtig, dass es eine Brückenfunktion gibt, aber es gibt nach wie vor das Bewusstsein, dass einige hier geblieben sind und andere ausgewandert sind. Diejenigen, die hier geblieben sind, meinen von den Ausgewanderten, dass sie einen Punkt gesetzt haben, dass es sie nicht mehr interessiert, was in Rumänien geschieht. Sie denken, sie sind mit der Last geblieben. Dieser Dialog ist erst am Anfang. Es gibt ihn und die Kirche hat auch hier eine wichtige Rolle übernommen.

Sie meinen, es gibt eine Trennung.

Sicher gibt es eine Trennung, auch meinen Kameraden sage ich das. Wenn wir uns treffen, sind wir genauso lebendig und offen wie vor 30 Jahren, aber da hat sich trotzdem was geändert. Sie sind ausgewandert. Die Eltern haben sie mitgenommen, aber dadurch ist schon eine Entscheidung gefallen. Sie können nicht mehr das wahrnehmen und verstehen, was hier läuft, auch wenn sie sich bemühen. Die Siebenbürger Sachsen in Deutschland haben eine andere Entwicklung als diejenige, die hier geblieben sind.

Aber halten sie zusammen?

Sie halten schon zusammen.

Können sie vielleicht einen neuen Aufschwung für die Gemeinschaft herbeiführen?
Das bezweifle ich. Die Leute, die kommen, sind emotional verbunden. Aber auf Emotion kann man keine Gemeinschaft und keine Zukunft aufbauen. Gefühl bringt nicht viel. Denn es kommt die Ernüchterung nachher. Auch wenn es solche gibt, die sich entschieden haben, zurückzukehren, ist es noch lange nicht genug, um wieder alles aufzubauen. Die sächsischen Dörfer sind kaputt. Aber ein großer Teil will auch nicht kommen. Psychologen sagen, man muss zwei Orte aufsuchen: Das Meer, weil wir als Menschen im Gebärwasser, im Urwasser aufgewachsen sind, und den Herkunftsort. Wir erleben das auch hier: Leute kommen und wollen noch einmal die Kirche sehen, den Ort, wo sie getauft worden sind. Der Herkunftsort ist verbunden mit der Identität.

Gibt es eine Verbindung zu dem immateriellen Kulturgut der Gemeinschaft?

Das Gemeinschaftsgefühl gibt es auch in Deutschland. Das wird auch gepflegt und die Heimatortsgemeinschaften kümmern sich darum. Das, was sie hier in Siebenbürgen hatten, ist zusammengebrochen, zum Beispiel die Bruderschaften oder die Schwesterschaften. Das, was sie eigentlich definiert hat, gibt es nicht mehr. Sie kommen in ein Vakuum zurück. Und einige kommen nicht mehr zurück. Viele Pfarrer sind auch ausgewandert. Mir hat ein Kollege gesagt, dass es seiner Seele nicht gut tut, wenn er zurückkehrt – die Gemeinde gibt es nicht mehr und das, was diese Leute damals hatten, ist eine Ruine.

Bei einer Beerdigung gab es früher den Toten und den engsten Kreis der Familie beim Abschied. Der Sarg wurde dann zugemacht, weil die anderen ein gewisses Bild vom Toten haben sollten. Das ist etwas, was Menschen geprägt hat. Ehemalige Lehrer wollen nicht sehen, dass die Schule eine Ruine ist. Es ist ein Grund von vielen anderen möglichen Gründen.

Es gibt Sachsentreffen auch in Deutschland.

Ja, da gibt es ein großes Sachsentreffen. Ich war auch dabei. Das bundesweite traditionelle Sachsentreffen ist in Dinkelsbühl.

Sind Leute nostalgisch?

Nostalgisch sind sie schon. Viele wurden hellhörig und ihr Gesicht strahlte, nachdem sie ihren Pfarrer gesehen haben. Für die Siebenbürger Sachsen ist die evangelische Kirche wesensbedingt. Der Siebenbürger Sachse kann sich seine Identität ohne kirchlichen Bezug nicht vorstellen. Die Kirche hat alles begleitet, von der Wiege bis zur Bahre. Es war alles geregelt und der Bezug zu der Kirche gab dem einzelnen Menschen, Mann und Frau, jung und alt, eine gewisse Prägung und Orientierung.
Ich fand die Begegnung in Dinkelsbühl äußerst positiv, das Zusammengehörigkeitsgefühl wird dort ins Extreme geführt. Die Leute bilden da tatsächlich eine Gemeinschaft. Das Zusammengehörigkeitsgefühl bei den Siebenbürgen Sachsen war sehr groß, aber es hat sie nicht vor der Auswanderung gerettet.

In Bezug auf die Auswanderung: Hatte man eine Wahl oder nicht?

Wahl hatte man schon, aber man war gebunden an die Eltern. Das war eine Massenpsychose. Man hat die Folgen in der Bundesrepublik gesehen – viele konnten sich nicht einleben. Für sie war Deutschland eine Ernüchterung. Man war da nicht mehr ein Siebenbürger Sachse, sondern ein Rumäniendeutscher, ein Aussiedler.

Und trotzdem sind sie nicht zurückgekommen.

Sie sagen, einer muss zurückkommen. Eine Schwalbe bringt noch keinen Sommer. Aber sie zeigt, dass der Sommer kommt. Die Siebenbürger Sachsen sind ein stolzes Volk gewesen und ich glaube, man muss das alles überwinden. Wenn man zurückkommen sollte, dann sind es nicht die Massen, die zurückkommen. Man lebt in zwei Welten, in der Bundesrepublik Deutschland, aber seelisch sind viele mit Siebenbürgen verbunden. Wenn man die Leute in Deutschland besucht, findet man sächsische Teller, Krüge und Aquarelle so wie hier.

Wie sehen Sie die Zukunft für die Gemeinschaft in Rumänien?

Als evangelischer Theologe weiß ich, dass die Zukunft Gottes ist.

Aber als Mensch?

Als Mensch bin ich Geschöpf Gottes und ich weiß, die Zukunft gehört Gott. Jesus Christus hatte in der Bergpredigt gesagt, kümmert euch nur um den heutigen Tag, lass die Sorgen von morgen sein. Und ich denke, aus dieser Sicht konzentriere ich mich darauf.

Wie sehen Sie die deutsche Minderheit zukünftig?

Auch sie liegt in Gottes Händen. Unsere Kirche hat eine soziologische Analyse in Auftrag gegeben. Diese Studie war hilfreich für die Bukarester Gemeinde, damit ich für die Zukunft weiß, welche Schwerpunkte ich in der pastoralen Arbeit setzen kann. Völlig unerwartet erfahre ich, dass ich mehr Gemeindemitglieder zwischen dem 31. und 40. Lebensjahr als Leute über 80 Jahre habe. Wir sehen hier, wir haben eine Alterung, aber ich habe sehr viele 31- bis 50-Jährige. Und wir dachten immer, die Mitte fehlt uns hier in Bukarest.

Wie sieht die Gemeinde aus?

Menschen zwischen 31 und 50 Jahren sind sehr viele. Die 51- bis 60-Jährigen gehen relativ zurück und ich habe sehr viele zwischen 71 und über 80 Jahren. Aber das gleicht sich aus. Die zahlreichste Gruppe ist zwischen 31 und 40 Jahren. Seit zwei-drei Jahren ist der Generationswechsel im Kurs. Und plötzlich erscheinen total neue Leute im Gottesdienst und bei den Veranstaltungen. Da haben wir hauptsächlich junge Leute vor uns, die wir nicht kennen. Wir hatten die Sorge, wir werden einen Kollaps erleben. Aber jetzt merken wir tatsächlich, dass es anders läuft.

Vielen Dank für das Gespräch!

 

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Dieser Artikel ist im Rahmen des Programms Europäische Journalisten-Fellowships der Freien Universität Berlin entstanden.