„Die Siebenbürgisch-Sächsische Jugend in Deutschland stimmt uns zuversichtlich“

ADZ-Gespräch mit Herta Daniel, Bundesvorsitzende des Verbands der Siebenbürger Sachsen

Herta Daniel
Foto: George Dumitriu

Als außenstehender Beobachter einen Heimattag der Siebenbürger Sachsen in Dinkelsbühl mitzuerleben, ist aus vielerlei Hinsicht ein eindrucksvolles Erlebnis: Zu diesem Anlass treffen sich jährlich an Pfingsten Siebenbürger Sachsen aus Deutschland und aller Welt in der schmucken historischen Festung. Die meisten sind seit Jahrzehnten aus Siebenbürgen ausgewandert, ihre Nachkommen kennen die alte Heimat oft nur aus Erzählungen oder Urlaubsreisen. Was verbindet all diese Menschen heute noch miteinander? Und was mit Siebenbürgen? Denn der Heimattag ist mehr als nur ein gemeinsames Fest mit nostalgischer Trachtenparade: Er bietet Raum für Erinnerung und Gedenken, ist Plattform für Kultur- und Informationsveranstaltungen, Podiumsdiskussionen und politische Botschaften – und damit sozusagen krönender Höhepunkt der Aktivitäten des Verbands der Siebenbürger Sachsen in Deutschland. Im Nachgang zum diesjährigen Heimattag befragte Nina May die Bundesvorsitzende Herta Daniel (auch Mitglied des Beirats für Vertriebenen- und Spätaussiedlerfragen des Bayerischen Staatsministeriums für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen) über die Entwicklung der Gemeinschaft, Herausforderungen und Errungenschaften.

Frau Daniel, wie ist es dem Verband der Siebenbürger Sachsen gelungen, die über ganz Deutschland verstreute Gemeinschaft über all die Jahre zusammenzuhalten – welches sind die verbindenden Elemente?

Die Grundlagen der heutigen Verbandsstruktur wurden bereits einige Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg unter weitaus schwierigeren Kommunikations- und Verkehrsverbindungen als heute gelegt. Beim Lesen der ersten Ausgaben unserer Verbandszeitung stößt man immer wieder auf Gründungen der ersten Kreis- und Landesgruppen. Man erfährt auch von der Ungewissheit über die Möglichkeit einer Rückkehr nach Siebenbürgen derjenigen Landsleute, die infolge von Kriegsgefangenschaft, der Deportation in die Sowjetunion, Flucht aus Siebenbürgen etc. in Deutschland, wo Wohnungsnot herrschte und es wenig Arbeitsmöglichkeiten gab, gestrandet waren, und kann sich ein Bild über diese Schicksalsgemeinschaft verschaffen. In den darauf folgenden Jahren und während der Ausreisewelle ab den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts und auch nach der Wende waren es andere bindende Elemente, wie Neuorientierung, Neuanfang in einer fremden, ungewohnten Umgebung, die viele Landsleute zusammengeschweißt haben, die der Landsmannschaft bzw. unserem Verband beitraten. Heute haben wir eine Gemeinschaft, in die man gerne kommt. Man findet Gemeinsamkeiten, hat die gleiche Herkunft, ähnliche Lebenswege und ganz wichtig: die von unseren Vorfahren weitergegebenen Werte, die wir als unsichtbares Gepäck bei der Ausreise mitgenommen haben und die auch wir weitergeben.

Wie hat sich die Mitgliederzahl des Verbandes in den letzten Jahrzehnten verändert? Wird es den Verband in 25 Jahren noch geben?

Bis in die 90er Jahre gab es einen, dem ständigen Zuzug der Landsleute aus Siebenbürgen geschuldeten Anstieg der Mitgliederzahlen, danach folgte eine Zeit der Stagnation und letztendlich eine Abnahme. Es ist aber nicht so, dass unser Verband für Neumitglieder nicht attraktiv ist, im Gegenteil: Wir verzeichnen jedes Jahr eine beträchtliche Anzahl neuer Mitglieder jüngeren Alters. Allerdings reicht deren Anzahl nicht aus, um die der Sterbefälle numerisch zu kompensieren.
Die Werbung von neuen Mitgliedern ist uns ein wichtiges Anliegen und wird bei vielen Tagungen des Verbandes thematisiert. Wenn ich unsere Landsleute in den Vereinigten Staaten ansehe, die das 100-jährige Jubiläum ihrer Gemeinschaft 2002 feiern konnten, ist nicht einzusehen, weshalb unser Verband ein solches Jubiläum nicht auch begehen sollte! Die Siebenbürgisch-Sächsische Jugend in Deutschland (SJD) stimmt uns zuversichtlich: Hier steigen die Mitgliederzahlen ständig an, was auf ein wachsendes Interesse unserer Jugend schließen lässt.

Womit gelingt es, die Jugend anzuziehen, die Siebenbürgen höchstens aus Urlauben oder gar nicht kennt? Was bringt ihnen die Verbandsmitgliedschaft? Was motiviert sie, zum Heimattreffen zu kommen?

Darüber rätseln auch die anderen Landsmannschaften! Ich bin nicht unbedingt die geeignete Person, darauf zu antworten, da meine Jugend schon Jahrzehnte zurückliegt. Es ist die Familie, die es in der Hand hat, die Kinder zum Siebenbürger Sachsentum behutsam hinzuführen oder diesem zu entfremden. Der Verband kann die Rahmenbedingungen schaffen, die jungen Leute selbstständig agieren lassen, Unterstützung geben, sofern das gewünscht wird – aber ohne das Mitwirken der Familie durch Vorleben unserer Werte stünde der Verband auf verlorenem Posten! Junge Leute sind in dieser sich ständig und rasant verändernden Welt oft auf der Suche nach Orientierung, nach ihrer Identität, und finden in unserer Gemeinschaft den notwendigen Halt, fühlen sich angenommen und angekommen!
Es ist sicher auch so, dass jeder irgendwann über seine Wurzeln Bescheid wissen will, zumal die Erzählungen über Siebenbürgen aus der Familie in der Regel widersprüchlicher nicht sein können: einerseits rosige Verklärtheit über ein Gemeinschaftsleben, das seinesgleichen sucht und in der Form nicht mehr existiert, andererseits die vielen demütigenden und entbehrungsreichen Erfahrungen in einer Diktatur. Das weckt Neugier, man will darüber mehr wissen und findet sich plötzlich im brodelnden Festzelt am Heimattag der Siebenbürger Sachsen mit vielen gut gelaunten Gleichgesinnten wieder! Oder beim Trachtenumzug, der alle begeistert, oder beim traditionellen Tanz vor der Schranne!

Der Heimattag in Dinkelsbühl stand diesmal unter dem Motto „Verändern – Erneuern – Wiederfinden“. Auf welche Herausforderungen beziehen sich diese Schlagworte?

Das Motto wurde hauptsächlich aufgrund des Reformationsjubiläums gewählt. Es passt auch auf unseren Verband. Wir verändern uns ständig in allen Bereichen, um neuen Herausforderungen gerecht zu werden. Durch eine Satzungsänderung wurde zum Beispiel die Mitgliedschaft von Personenvereinigungen in unserem Verband möglich. Dadurch haben sich viele Vereine (z. B. der HOG Dachverband, einige HOGs, die Carl-Wolff-Gesellschaft (CWG), die Michael Schmidt Stiftung u. a.) unserem Verband angeschlossen.

In diesem Jahr findet das vielleicht größte Sachsentreffen aller Zeiten in Hermannstadt statt. Wie bereitet sich die Landsmannschaft in Deutschland darauf vor? Welche Erwartungen haben Sie persönlich?

Unser Verband war von Anfang an in die Organisation dieses Ereignisses, bei dem die Jugend eine tragende Rolle spielen soll, eingebunden und bei den Besprechungen vertreten. Dementsprechend bringen wir uns auch mit Programmpunkten ein. Meine Erwartungen gehen in Richtung einer Festigung des Zusammenhalts der Siebenbürger Sachsen, die aus aller Welt kommen werden, damit wir einen weiteren Schritt zum Ausbau unserer weltweiten Vernetzung tun. Ganz in diesem Sinne wird der Präsident der weltweiten Föderation der Siebenbürger Sachsen zu einer Föderations-Sitzung einladen.

Was ist der Unterschied zwischen den Heimattagen in Dinkelsbühl und den Sachsentreffen in Siebenbürgen?

Ich möchte zunächst einige Gemeinsamkeiten beleuchten: Beide Ereignisse sind für uns wichtig, es sind Möglichkeiten, nicht nur Bekannte, Freunde und Verwandte zu treffen, sondern sich auch unserer Kultur und unserer Traditionen zu erinnern und diese zu pflegen. Ein Unterschied besteht sicher in der Entstehungsgeschichte des Heimattags und des Sachsentreffens. Versetzen wir uns in die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, die ich anfangs beschrieben habe. Eine Rückkehr nach Siebenbürgen war aufgrund der damaligen politischen Situation nicht möglich oder zumindest nicht ratsam, gleichwohl war die Sehnsucht nach der Heimat präsent. Man wollte sich einige Augenblicke nah (fast wie in) der Heimat fühlen, die Tracht tragen, unsere Kultur und Traditionen in Erinnerung rufen, Bekannte und Verwandte mit ähnlichem Schicksal aus ganz Deutschland und anderen Ländern jenseits des „Eisernen Vorhangs“ treffen. Daraus entwickelte sich im Laufe der Jahrzehnte unser Heimattag, so wie wir ihn heute kennen, mit seinen charakteristischen Elementen, wie Trachtenumzug, Kulturpreisverleihung, Fackelzug, Gedenkstunde, Podiumsdiskussion und vieles mehr. Sehr wichtig finde ich die Kundgebung als Möglichkeit, unsere Forderungen und Botschaften an die politischen Entscheidungsträger in Deutschland, aber auch in Rumänien, zu richten.

Die Siebenbürger Sachsen hier und dort gelten als Brückenbauer zwischen Rumänien und Deutschland. Siebenbürgen ist zudem ein historisches Musterbeispiel für friedliches interethnisches Zusammenleben und religiöse Toleranz. Das sind sehr moderne Werte, gerade in Europa. Welche Rolle spielt der Verband, diese intern zu fördern oder nach außen zu transportieren?

In unserer Arbeit ist das Brückenbauen zwischen Ost und West, aber auch zwischen Alt und Jung, ein bemerkenswerter Nebeneffekt, der sich immer dann automatisch einstellt, wenn es notwendig wird. Wichtig finde ich für den Fortbestand unseres Verbandes, die Brücke zwischen Alt und Jung in unseren eigenen Reihen zu festigen. Da gibt es einerseits die SJD, die sich völlig unabhängig selbst „regiert“, und andererseits die Arbeit an der Basis vor Ort, wo mehrere Generationen voneinander lernend Verantwortung in den Vorständen übernehmen. Es gibt aber auch eine europäische Dimension unseres Wirkens: Unser Verband fördert seit Jahrzehnten die Teilnahme von jungen Leuten aus vielen Kreisgruppen an der alljährlich in einem anderen europäischen Land stattfindenden Trachten-Europeade, eine der Völkerverständigung dienenden Veranstaltung mit Tausenden von Jugendlichen aus den verschiedenen Regionen Europas. Zu den angesprochenen modernen Werten in Europa: Diese formten sich bei den Siebenbürger  Sachsen im Laufe der Jahrhunderte. Unsere Vorfahren haben in Siebenbürgen, wo mehrere Nationalitäten wohnten, das Verbindende respektiert und sich nicht auf das Trennende fokussiert. Diese tolerante Einstellung wurde an uns weitergegeben.
 
Gibt es eine koordinierte Vorgehensweise zwischen Verband und dem DFDR?

Die Verantwortungsträger unseres Verbandes treffen sich mit den Vertretern des DFDR nicht nur bei Heimattagen oder bei Sachsentreffen, sondern auch bei Besprechungen, wo ein konstruktiver Gedankenaustausch stattfindet, bei dem auf die gegenseitige Unterstützung auf politischer Ebene fokussiert wird. So zum Beispiel anlässlich der Sitzungen der Deutsch-Rumänischen Regierungskommission, wo wir als landsmannschaftliche Gemeinschaft wahrgenommen werden und wo wir uns im Vorfeld über die vorzubringenden Punkte absprechen (ausstehendes Statement der rumänischen Regierung zu der Hetzkampagne in einigen rumänischen Medien gegen die deutsche Minderheit, Restitution, Entschädigung für die in die Sowjetunion zur Zwangsarbeit Deportierten etc.) Eine besonders gute Beziehung hat unser Verband mit dem Siebenbürgenforum, das Mitglied in der weltweiten Föderation der Siebenbürger Sachsen ist. In die Sitzungen des Siebenbürgenforums werden regelmäßig Teilnehmer unseres Vorstands eingeladen und umgekehrt. Das Sachsentreffen 2017 ist ein gutes Beispiel für diese enge Zusammenarbeit zwischen den beiden Organisationen.

Wie ist heute die Beziehung zwischen den Ausgewanderten und den in der alten Heimat verbliebenen Siebenbürger Sachsen? Was hat sich im Laufe der letzten Jahre verändert?

Die Zeiten, in denen das Thema „gehen oder bleiben“ die Siebenbürger  Sachsen gespalten hat, sind längst vorbei. Bischof Reinhart Guib brachte das mit seinen versöhnenden Worten in der Predigt am Pfingstsonntag ganz klar zum Ausdruck: Die Siebenbürger Sachsen seien verschiedene Wege gegangen. Wir hätten in der großen evangelischen Freiheit und im heutigen geeinten freien Europa die Chance, als evangelische Gemeinschaft über Grenzen hinweg in versöhnter Verschiedenheit nicht gegeneinander, sondern miteinander zusammenzuwachsen. Diese Botschaft, die unser Heimatbischof in der Podiumsdiskussion am Pfingstmontag bekräftigte, ist Richtungsweisung zum Zusammenfinden und Verpflichtung zugleich. Dazu habe ich ein konkretes Beispiel: Anlässlich des Bayerischen Gedenktages für die Opfer von Flucht und Vertreibung am 25. Juni 2017 beeindruckte eine junge Siebenbürger Sächsin in einer Interviewrunde mit der Feststellung, dass sie jedes Jahr nach Siebenbürgen fahren müsse! Diese Aussage macht deutlich, dass das Miteinander unserer jungen Landsleute, ganz gleich in welchen Teilen der Welt sie ihren Lebensmittelpunkt haben, ein völlig ungezwungenes und natürliches ist!

Für den Kauf von Schloss Horneck in Gundelsheim, Sitz des Siebenbürgischen Museums und des Siebenbürgen-Instituts mit Bibliothek und Archiv, wurden in nur drei Monaten 1,4 Millionen Euro unter den Verbandsmitgliedern gesammelt. Das ist ein gigantischer Beweis an Solidarität! Wie lässt sich dies erklären?

Diese schwierige Herausforderung des Ankaufs der Schlossimmobilie wurde 2015, im Schicksalsjahr unserer Kultureinrichtungen in Gundelsheim, zu einem guten Abschluss gebracht! In dieser Spendenaktion brachte unsere siebenbürgisch-sächsische Gemeinschaft (aus Siebenbürgen, Österreich, USA, Kanada und Deutschland) ihren Willen deutlich zum Ausdruck, die Einheit dieser Kultureinrichtungen zu bewahren und für künftige Generationen lebendig zu erhalten. Beeindruckend waren die Spenden über beträchtliche Summen auch aus nicht siebenbürgischen Kreisen, wie z. B. die der VR Bank Dinkelsbühl! Das macht Mut, insbesondere vor dem Hintergrund, dass dies „nur“ ein guter Anfang war, da bekanntlich umfangreiche Sanierungs- und Umbauarbeiten durchgeführt werden müssen, bevor dieses siebenbürgische Kultur- und Begegnungszentrum mit Leben erfüllt werden kann.

Bei einigen in Deutschland lebenden Siebenbürger Sachsen kann man wieder eine gewisse Sehnsucht nach Siebenbürgen spüren. Manche spielen sogar mit dem Gedanken, einen Neuanfang dort zu wagen. Ist es ein Randphänomen – oder glauben Sie, dass das zunehmen wird?

In den letzten Jahren haben Mitglieder unseres Verbandes eine Verlegung ihrer Adresse von Deutschland nach Siebenbürgen mitgeteilt. Allerdings war das nur für wenige Monate gültig, dann kam die Ummeldung. Ich kann die Zukunft nicht voraussagen, stufe aber derzeit dieses Phänomen als Randerscheinung und keineswegs als beginnenden Trend ein.

Wenn Sie jetzt einen Wunsch frei hätten, wie würde dieser lauten?

…dass den Siebenbürger Sachsen etwas Ähnliches wie der Zweite Weltkrieg mit all seinen Folgen nie mehr widerfahren möge!

Vielen Dank für die interessanten Ausführungen.