Die Wohn-Handtasche

Foto: Freeimages.com

Es gibt Frauen, die einen Monat lang hungern, um sich eine schicke Handtasche kaufen zu können. Bei mir ist sowas vergebens! Nicht etwa, weil mir die Disziplin zum Hungern fehlt oder der Geldbeutel so locker sitzt, dass dies nicht nötig wäre. Nötig wär’s dringend, doch dies wiederum nicht aus Mangel an Handtaschen... Denn eigentlich bin ich stolze Besitzerin von mindestens vier ebensolchen, von sportlich-schick bis elegant, alle allerliebst klein, mit Ausnahme der einen, robusten, aus knautschigem braunem Leder, die so groß ist, dass man gemütlich darin wohnen kann. So sieht sie auch mittlerweile aus: ein wenig abgewohnt. Denn egal bei welcher Tätigkeit, beim Rudern durchs Donaudelta oder auf der Pressekonferenz im Viersternehotel, baumelt stets der gleiche Ranzen zentnerschwer von meinem Arm. Zu Camouflage Overall und Gummistiefeln passt der so gut wie zu Highheels und dem kleinen Schwarzen: nämlich gar nicht. Sind es sentimentale Gründe, die mich mit dieser Handtasche verbinden? Von wegen!

„Hast du denn nichts anderes“, meckert mein Mann, während wir uns für einen Konzertabend stylen. Wortlos reicht er mir ein entzückendes Täschchen vom Kleiderständer und bläst den Staub herunter. Ich verstaue Ausweis, Führerschein, Kugelschreiber, Handy,... viel weiter komme ich nicht. Den dicken Schlüsselbund will sie nicht mehr schlucken. Soll George ihn doch einstecken! Dass Frauen in Handtaschen auch noch Lippenstift und Parfüm mitführen, halte ich für ein Gerücht. Mit ein wenig Gewaltanwendung geht das Täschchen sogar zu, was man ihm allerdings auch ansieht.
Huch, das Aufzeichnungsgerät! Soll ich es etwa dalassen? Man weiß ja nie, auf welche Informationen man stößt. Zögernd hänge ich es um den Hals. Sehr elegant zur Perlenkette... Na dann eben in die Hosentasche. Ach so, ein Kleid hat ja keine Hosentaschen. An die Kleinkamera kein Hindenken mehr. Vielleicht sollte ich einfach mal nur den Abend genießen, ohne an die ADZ zu denken? „Kannst du das noch einstecken?“ tönt es da plötzlich hilflos neben mir. Mein Göttergatte hat die ausgeblichene Fotoweste gegen ein Sakko getauscht, dessen Taschen sich verdächtig ausbeulen. Dasselbe Problem – nur schlimmer: Denn unter Männern gilt es als verpönt, ein Täschchen mitzuführen. Nur meine Wohn-Handtasche kann uns beide jetzt noch retten!

Kleine Tasche oder keine Tasche – was ist das für menschenfeindliches Modediktat? Wohin mit dem ganzen Kram, den man zum täglichen Überleben braucht? Dem Taschenmesser zum Obstschälen und heimlichen Abschneiden von Pflanzenstecklingen, das bei jedem der – seltenen – Parlamentsbesuche bei der Eingangskontrolle zu peinlichen Momenten führt. Dem Deoroller, der einen rettet, wenn man mal wieder viel zu spät aus der Redaktion gehetzt ist. Dem Sandwich in der zerknüddelten Serviette, denn wer weiß, ob’s auf der Konferenz diesmal was zu Mümmeln gibt? Dem Kalender-Notizbuch in Buchformat, das man selbst in die große Handtasche nur mit Gewalt reinpressen kann. Handy, Ladegerät, Knipsi, Transferkabel, Memostick-Kollektion... Klopapier, ein Muss in diesem Land! Und neuerdings auch noch die Brille im sperrigen Schalenetui. Ganz zu schweigen von Lesestoff für Busfahrten und Wartezeiten, dem Halstüchlein oder Handschuhen im Winter. Wo tut man(n) das alles hin, wenn nicht in die gute, alte, dickbauchige Wohn-Handtasche? Liebe Modeschöpfer, seit Jahren warte ich übrigens auf das Modell mit Rädern und Leine zum Nachziehen! Und die aufgesetzte Außentasche, in die zumindest ein klitzekleiner Lippenstift passt.