„Dramatisch niedrige Sprachbindung“

Bundesinnenministerium und Auswärtiges Amt organisierten „Sprachkonferenz der Deutschen Minderheiten“ in Hermannstadt

Der DFDR-Landesvorsitzende, Dr. Paul-Jürgen Porr (Mitte), moderierte die Diskussion zu politischen Aspekten der Minderheitenförderung (v. l. Dr. Christoph Bergner, Andreas Meitzner, Porr, Prof. Rainer Hofmann, Ovidiu Ganţ).

Der Aussiedlerbeauftragte der Bundesregierung, Dr. Christoph Bergner, organisierte die Sprachkonferenz.

Der Spiegelsaal des Hermannstädter Forumshauses war zur Konferenzeröffnung bis auf den letzten Platz besetzt, darunter Hermannstadts Bürgermeister Klaus Johannis (4. v. l.) oder der DFDR-Landesvorsitzende, Dr. Paul-Jürgen Porr (2. v. r.).
Fotos: Holger Wermke

Dr. Christoph Bergner zeigte sich zufrieden: „Die Entscheidung für Hermannstadt war günstig, denn wir haben hier eine deutsche Minderheit mit einer lebendigen und kraftvollen Weitergabe der Sprachtradition“. Zum dritten Mal seit 2008 organisierte der Bundesbeauftragte der deutschen Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten eine Konferenz, heuer zum Thema „Deutsch als Identitätssprache der deutschen Minderheiten in Ost-, Ostmittel- und Südosteuropa sowie in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion“. Am 16. und 18. Juni diskutierten  rund 90 Vertreter von Minderheitenverbänden, deutscher Behörden und Mittlerorganisationen sowie rumäniendeutscher Landsmannschaften im Spiegelsaal des Hermannstädter Forums über politische Rahmenbedingungen, Ansätze zur Sprachbildung sowie Wünsche von Minderheitenvertretern an deutsche Behörden und Mittlerorganisationen. Partner der Konferenz waren das Auswärtige Amt, die Hanns-Seidel-Stiftung und das Demokratische Forum der Deutschen in Rumänien (DFDR).

Warum diese Konzentration der Konferenz auf das östliche Europa und das Gebiet der GUS-Staaten mit Teilnehmern aus Polen, der Slowakei, der Tschechischen Republik, Serbien, Kroatien, der Ukraine, Russland, Kasachstan, Usbekistan, Kirgistan und Rumänien? Während im westlichen Europa die deutschen Minderheiten nach dem Zweiten Weltkrieg relativ unbehindert ihre Sprache und Identität pflegen konnten, wurden die Minderheiten im Osten erst durch Flucht und Vertreibung geschwächt sowie später durch Verbot des Gebrauchs der deutschen Sprache und Wegfall des muttersprachlichen Unterrichts einem enormen Assimilationsdruck ausgesetzt. Auf 1 bis 1,5 Millionen schätzt Dr. Koloman Brenner, Vorsitzender der Arbeitsgruppe Deutscher Minderheiten innerhalb der Föderalen Union der Europäischen Nationalitäten (FUEN), die Zahl der Menschen, die sich zu deutschen Minderheiten bekennen. In vielen Ländern Mittel- und Osteuropas konnten die deutschen Minderheiten Ostmitteleuropas ihre Lage schrittweise verbessern, konstatierte Brenner. Nur die Situation der Deutschen in Russland sowie den Nachfolgestaaten der Sowjetunion sei nach wie vor sehr prekär.

Vermittlung von Deutsch als Fremdsprache

Trotz örtlicher Verbesserungen ist Deutsch weit von einstiger Bedeutung entfernt. In vielen Familien wird die jeweilige Landessprache gesprochen, die Sprachbindung ist laut Bergner außer in Rumänien und Ungarn „dramatisch niedrig“. Das schulische Deutsch wird heute weitgehend als Fremdsprache vermittelt, muttersprachlichen Unterricht gibt es nur in Ausnahmefällen, beispielsweise in Rumänien, Ungarn und vereinzelt in Polen. Der trotz allem vorhandenen Nachfrage nach Deutschlernangeboten wird vielerorts durch nichtstaatliche Initiativen begegnet. In Kasachstan werden laut Swetlana Dowschenko Kinder in Zentren für Vorschulbildung und Sonntagsschulen an die Sprache herangeführt.

Mit der Gründung von Vereinsschulen möchte man im polnischen Oberschlesien die Versorgung mit bilingualem oder einsprachigem Unterricht verbessern, berichtete Bernard Gaida. Durch den Wettbewerb „Freunde der deutschen Sprache“ weckt man in Russland und sogar über die Landesgrenzen hinaus Interesse für Deutsch, informierte Olga Martens von der „Moskauer Deutschen Zeitung“. Zusammen mit dem Goethe-Institut wurde 2012 in Tschechien das Projekt „Schaufenster Enkelgeneration“ durchgeführt, so Martin Dzingel, das der Frage nachgeht, ob und welche Rolle Deutsch als Teil der Identität junger Tschechen spielt. In Ungarn wiederum erarbeitete die Landesselbstverwaltung mit deutschen Partnern eine Bildungsstrategie, in deren Mittelpunkt regionale Schulzentren mit Kindergärten, Grundschulen und Gymnasium stehen, beispiels-weise das von Ibolya Englender-Hock geleitete Valeria-Koch-Schulzentrum in Fünfkirchen/Pécs.

Viele dieser Angebote werden von deutscher Seite unterstützt, sei es von verschiedenen Bund- und Länderbehörden, Mittlerorganisationen wie dem erwähnten Goethe-Institut, der Donauschwäbischen Kulturstiftung oder dem Institut für Auslandsbeziehungen (ifa), sowie den Landsmannschaften. Das Auswärtige Amt etwa stellt jährlich rund 4 Millionen Euro für Sprachkurse, Lehrerfortbildung, Lehrmaterialien, wissenschaftliche Projekte oder Schüleraustausche zur Verfügung, informierte Andreas Meitzner. Über die Förderprogramme der Bundesländer sprach Frank Altrichter vom Bayerischen Staatsministerium für Arbeit und Soziales. Stärkere Unterstützung für die deutschsprachige Bildung versprach mit Dr. Bernd Fabritius auch der Vorsitzende des Verbandes der Siebenbürger Sachsen in Deutschland, sogar finanzielle. Gebraucht würden nicht nur finanzielle Hilfe, sondern auch moralische Unterstützung und politische Wahrnehmung. Diesen Wunsch äußerten mehrere Teilnehmer aus jenen Ländern, in denen staatlicherseits die deutsche Minderheit bzw. die deutsche Sprache benachteiligt werden.

Kann Deutsch revitalisiert werden?

Intensiv diskutiert wurde auch die Frage, ob man eine verlorengegangene Muttersprache revitalisieren kann? Kann Deutsch noch als Identifikationssprache herhalten, wenn zwei Generationen Sprecher fehlen oder die heutige Generation in Mischehen aufwächst? Wenn überhaupt, dann ist dies nur durch systematische und langfristig angelegte Anstrengungen möglich, lautete die einhellige Meinung. Doch welche deutsche Sprache soll heutzutage gelehrt werden? Traditionelle regionale Dialekte oder die deutsche Hochsprache? Der Germanist Dr. Brenner plädierte für regionale Varietäten des Hochdeutschen, in Ungarn beispielsweise der Wiener Varietät, wobei gleichzeitig die Mundarten dokumentiert und digital für den Unterricht bereitgestellt werden sollten. Ebenso betonte Brenner die Bedeutung der vorschulischen Bildung in Kindergärten, in denen Nachfrager des schulischen Deutsch-Angebotes herangezogen werden.

In diesem Zusammenhang merkte etwa Hans Beerstecher, Vorsitzender der Donauschwäbischen Kulturstiftung, die Bedeutung der mehrheitssprachlichen Lehrkräfte des jeweiligen Landes an, ohne die nirgendwo ein deutschsprachiges Bildungssystem möglich ist. In Rumänien beispielsweise tragen diese Erzieher und Lehrer – die Deutsch in vielen Fällen auf muttersprachlichem Niveau beherrschen – einen wesentlichen Teil des Unterrichts in deutscher Sprache. Vorbildlich in Rumänien ist auch die Aus- und Weiterbildung von Erziehern und Lehrern – beispielsweise über das Zentrum für Lehrerfortbildung in Mediasch. Das Beispiel zeigt auch, dass erfolgreiches Sprachlernen nicht zwangsläufig mit Identität zusammen hängt. Dennoch muss die Sprachkompetenz durch gezielte – und nicht immer teure – Maßnahmen gefördert werden. Ovidiu Ganţ, der Abgeordnete des DFDR, lobte das deutsche Lehrerentsendeprogramm als „eine der effektivsten Maßnahmen“ zur Unterstützung des deutschsprachigen Bildungsangebots.

Rumänische Situation ist vorbildlich

Im Verlauf der Konferenz wurde vor allem eines deutlich: Zwischen Oppeln und Bischkek gibt es vielerorts kleinere und größere Initiativen, Deutsch als Identitätssprache wiederzubeleben, insbesondere auch dort, wo seit zwei oder mehr Generationen die Sprache verloren gegangen ist. Die Probleme der deutschen Sprach- und auch Identitätsbildung sind jedoch vielfältig und Lösungen müssen für jedes Land individuell gefunden werden. Die Situation in Rumänien ist in dieser Hinsicht vorbildlich und könne die Teilnehmer aus anderen Ländern ermutigen, hoffte Bergner. Nicht vergessen werden darf in diesem Kontext die Bedeutung der Attraktivität der deutschen Sprache für die Nachfrage nach deutschsprachigen Bildungsangeboten – gerade dort, wo die Identifikationsfunktion fehlt. In Rumänien beispielsweise „hat das Potenzial der deutschen Sprache unsere Schulen gerettet“, erinnerte Ganţ. Organisator Bergner hoffte, dass die Konferenz zu einer stärkeren Vernetzung der vorhandenen Initiativen beitrage und die deutschen Förderer die Bedürfnisse der Menschen vor Ort besser kennenlernten.

In den vergangenen Jahren organisierte der Bundesbeauftragte bereits zwei weitere Konferenzen zu Themen der deutschen Minderheiten im Osten: „Zwei Jahrzehnte Politik für Aussiedler und nationale Minderheiten - Bilanz und Perspektiven“ im Jahr 2008 sowie zum „70. Jahrestag der Deportation der Russlanddeutschen“. Erstmals findet eine solche Konferenz im Ausland statt. „Wir dachten, es ist besser, wenn die Probleme im Umfeld der deutschen Minderheit diskutiert werden“, erklärte Bergner.