„Du lernst etwas neues über andere, aber auch über dich selbst“

Interview mit den Organisatoren des Cinecultura Filmfestivals in Temeswar

Es werden preisgekrönte Filme gezeigt: Die Tragikkomödie „La Grande Belleza“, eine italienisch-französische Koproduktion, erhielt im vergangenen Jahr den Oscar als Bester fremdsprachiger Film. Er ist nur einer von insgesamt elf Filmen, die während den sechs Tagen in der Aula Magna der West-Universität gezeigt werden.

Das internationale Filmfestival Cinecultura vom 9. bis 14. März zeigt einige der besten fremdsprachigen Filme der letzten Jahre für eine Woche in der West-Universität. Veranstalter des inzwischen zur Tradition avancierten Festivals sind die Auslandslektoren der Temeswarer Universitäten. ADZ-Redakteur Robert Tari sprach mit drei von ihnen über die diesjährige Auflage. Die DAAD-Lektorin Anne Schröder, die OeAD-Lektorin Christiane Wittmer und die für Portugal zuständige Lektorin Iolanda Vasile erzählen im Gespräch, was man sich von Cinecultura erhoffen kann und wieso es für Temeswar/Timişoara wichtig ist.


Cinecultura wird zum sechsten Mal veranstaltet, was ist dieses Jahr neu?

Anne Schröder: Besonders in diesem Jahr ist, dass wir zum ersten Mal das Festival auf sechs Tage ausgelegt haben. In den vorangegangenen Jahren dauerte Cinecultura fünf Tage, obwohl auch mehrere Filme gezeigt wurden. In einem Jahr waren es 15 Filme und um alle zeigen zu können, fand das Festival parallel an zwei Veranstaltungsorten statt. Auch zum ersten Mal dabei sind ein Film aus Angola, es handelt sich um den preisgekrönten Dokumentarfilm „Oxalá Cresçam Pitangas“, und  das Drama „Un homme qui crie“  aus der Republik Tschad. Hinzu kommen neun weitere Filme aus Ländern, die auch in den letzten Jahren im Festival vertreten waren.

Das Festival ist inzwischen ein traditionelles Ereignis für Temeswar. Wie erklärt man sich seine Langlebigkeit?

Anne Schröder: Die Idee ist einfach gut und das Festival ist mit der Zeit gegangen. In den ersten Jahren war eines der Auswahlkriterien für die Filme, dass sie noch nie in Rumänien gezeigt wurden. Es waren also meist Filme dabei, die in vielen Fällen nicht älter als zwei Jahre alt waren. In diesem Jahr haben wir eine spanische Produktion aus dem Jahr 1999, die bestimmt schon mal in Rumänien vorgeführt wurde.

Die Grundidee ist aber die Gleiche geblieben: Es werden Filme aus den Ländern gezeigt, aus denen Lektoren bzw. Freiwillige von den Universitäten Temeswars stammen. Darum bleibt das Festival bestehen, obwohl sich das Organisationsteam über die Jahre geändert hat. Auch wenn die ursprünglichen Initiatoren längst abgesprungen sind. Es kommen immer neue Personen dazu und die, die länger dabei sind, üben eine Brückenfunktion aus. Sie geben die ursprüngliche Idee weiter. Cinecultura ist inzwischen ein Event für die Stadt.

Wenn das Plakat erscheint, wissen die Leute schon Bescheid: „Aha, es ist wieder Zeit für Cinecultura.“
Wichtig ist auch, dass wir jedes Mal Studenten miteinbeziehen. Die Übersetzungswerkstätten sind inzwischen eine feste Tradition. Anfangs haben die Studenten immer die Untertitel für den deutschen Film gemacht. Dieses Jahr wurde auch der italienische und französische Film von den Studierenden übersetzt. Diese Untertitel sind vielleicht nicht perfekt, aber sie wurden eben von den Studenten über mehrere Wochen gemacht. Sie haben die Möglichkeit gehabt, sich an ein praktisches Projekt zu wagen und nicht immer nur theoretisch zu übersetzen, sondern wirklich ihre Arbeit auch mal auf den großen Bildschirm zu sehen.

Christiane Wittmer: Wichtig finde ich auch, dass die Kultureinrichtungen und Konsulate das Projekt mit Ressourcen oder finanziell unterstützen. Ich finde es schön, weil die Studenten und  die Temeswarer Bürger dadurch keinen Eintritt zahlen müssen. Es steckt also kein wirtschaftlicher Gedanke dahinter, sondern es geht einfach um den kulturellen Gedanken. Ich weiß nicht, ob es das oft gibt, aber ich finde es auf jeden Fall etwas besonderes. Das es in einem so großen Rahmen stattfindet und gemeinnützig ist.

Temeswar hat kein Programmkino. Es gibt nur ein Cineplex, wo kommerzielle Filme, meistens aus den USA, gezeigt werden. Füllt Cinecultura hier eine Lücke?

Iolanda Vasile: Absolut. Denn obwohl Cinecultura ein Festival ist, das in der Universität stattfindet, richtet es sich nicht ausschließlich an Studenten oder Akademiker. Jeder Filmbegeisterte  ist zu den Vorführungen eingeladen. Das Französische Kulturinstitut und das Deutsche Kulturzentrum halten regelmäßig Filmabende. Diese richten sich aber eher an ein gebildetes Publikum. Cinecultura möchte für viele zugänglich sein. Und inzwischen hat sich ja auch ein Stammpublikum gebildet, das nicht ausschließlich aus Studenten besteht, obwohl das anfangs die Idee war.

Anne Schröder: Wir versuchen immer Filme zu finden, die ein breites Publikum anspricht. Vielleicht treffen diese in Rumänien nicht den Massengeschmack, weil sie eben fremdsprachige Filme sind. Aber in den Ländern, aus denen sie stammen, sind sie sehr bekannt. Wir haben zum Beispiel in diesem Jahr den italienisch-französischen Spielfilm „La Grande Belleza“ von Paolo Sorrentino. Die Tragikkomödie wurde mit dem Oscar  ausgezeichnet. Der Film ist sehr bekannt. Das Gleiche trifft auf den deutschen Film „Im Winter ein Jahr“ zu. Das Drama hat zahlreiche Preise erhalten und ist in Deutschland auf jeden Fall ein Begriff. In Rumänien sind sie vielleicht Nischenfilme, nicht aber in ihren Herkunftsländern. Wir wählen auch gezielt Filme aus, bei denen wir uns sicher sein können, dass sie das Publikum mögen wird.

Iolanda Vasile: Der Film aus Angola zum Beispiel dürfte wenigen bekannt sein. Aber der Dokumentarfilm wurde von zwei Regisseuren gedreht, von denen Ondjaki, ein äußerst erfolgreicher angolanischer Schriftsteller ist, der  im gesamten portugiesischen Sprachraum bekannt ist. Vor zwei Jahren erhielt er den bedeutenden portugiesischen José Saramago- Literaturpreis. Von dem  Literaturnobelpreisträger, José Saramago, handelt der portugiesische Film „José e Pilar“. Sie gelten als Nischenfilme, weil wir gewohnt sind, nur bestimmte Filme aus bestimmen Ländern zu schauen.

Anne Schröder: Hollywood...

Hollywood-Filme prägen heutzutage auch unser Weltbild. Viele wissen oft mehr über die Vereinigen Staaten, als über ihre eigenen Länder. Macht gerade das den Reiz dieser fremdsprachigen Filme aus, dass sie ein anderes Weltbild vermitteln?  

Christiane Wittmer: Diese Filme greifen auch wichtige Themen aus ihren Herkunftsländern auf. Schwierige Themen, die in der Gesellschaft diskutiert werden, die den Alltag prägen. Zum Beispiel handelt der österreichische Film „Deine Schönheit ist nichts wert“ von der Integration türkisch-kurdischer Flüchtlinge in die österreichische Gesellschaft. Und mir gefällt es besonders, dass diese Filme auch Städteporträts sind. Der italienische Film hat wundervolle Aufnahmen der römischen Architektur und des römischen Stadtbildes und der österreichische Film spielt in Wien und er hilft auch dabei, sich einen Eindruck vom Wiener Alltag zu machen.

Anne Schröder: Wir sind heutzutage an amerikanischen Filmen gewöhnt, wenn wir ins Kino gehen und an ihre Art Geschichte zu erzählen. Es gibt immer ein Happy End, es findet sich für alles eine Lösung, es sind beruhigende Filme und es sind teure Filme. In Europa aber nicht nur findet man Filmemacher, die anders arbeiten, mit weniger finanziellen Mitteln, die ihre Geschichten anders erzählen. Der armenische Film erzählt zum Beispiel vom Bürgerkrieg in Armenien. Welcher amerikanische Film behandelt dieses Thema? Wenn es in amerikanischen Filmen um Kriege geht, dann wird meistens der Zweite Weltkrieg oder den Irak Krieg thematisiert.

Iolanda Vasile: Wir versuchen keinen Kontinent zu repräsentieren. Wir möchten Vielfalt ausdrücken.

Anne Schröder: Ich glaube, als Zuschauer wird man mit der Zeit faul. Man möchte sich einen Film anschauen, der dir Unterhaltung bietet und dir Sachen zeigt, an die du gewöhnt bist. Wenn du dich auf diese Film einlässt, verlässt du deine Komfortzone und lernst etwas neues über andere, aber auch über dich selbst.

Christiane Wittmer: Der österreichische Film ist eine türkisch-österreichische Koproduktion eines in Deutschland aufgewachsenen türkischen Regisseurs und dieser Film hat beim Antalya Filmfestival in der Türkei mehrere Preise gewonnen. Es hat größere Diskussionen darüber gegeben, was das jetzt für ein Film ist. Ob es ein türkischer oder ein österreichischer Film ist. Und an welchen Kriterien man das festmacht. Die Lösung kenne ich auch nicht. Der Film ist mehrsprachig. Die Schauspieler sind zum Teil türkisch, zum Teil österreichisch.

Iolanda Vasile: Die Filme, die wir im Festival vorstellen, sind sehr verschieden. Es sind Dokumentarfilme, Komödien, Dramen und wir haben uns auf kein Thema festgelegt. Aber eigentlich sprechen die meisten der Filme über Identität. Viele der Filme, der armenische, serbische, der Film aus Tschad sprechen über nationale Identität, während der französische, deutsche, portugiesische Film von individueller Identität handelt.