„Durch die Gemeinschaft, für die Gemeinschaft“

ADZ-Reihe: Der Mensch hinter der Kulisse des Deutschen Forums – Erwin Josef }igla

Erwin Josef Țigla Fotos: George Dumitriu

Als „Blumenkavalier“ zum 60. Jubiläum des Schillerhauses

Auf einer Buchvorstellung mit der Dichterin Nora Iuga

Ob Treffen der Bukowinadeutschen oder Altreich-Forumstreffen, ob 60. Jubiläum des Schillerhauses oder 70-Jahrfeier der ADZ, man kann sicher sein, dass er nicht fehlt. Und oft gibt es dazu noch die ein oder andere Ausstellung, die er organisiert hat. Keine Reise ist ihm zu weit, kein Anlass zu gering, um seinen Heimatwinkel, das Banater Bergland, und die Kultur der dortigen deutschen Gemeinschaft in Erinnerung zu bringen. Gelegenheit dazu bieten auch eigene Buchvorstellungen, Gedenkveranstaltungen zum Thema Deportation, Schriftstellertagungen, Vorträge. Und noch etwas charakterisiert den Vorsitzenden des Regionalforums der Banater Berglanddeutschen: Der Schalk sitzt ihm ständig im Nacken!

„Ich bin am 19. September 1961 geboren – eine Jungfrau, das sagt schon alles“ verrät Erwin Josef Țigla augenzwinkernd. „Man kann schwierig mit einer Jungfrau auskommen, die sind sehr genau, bis ins kleinste Detail.“ In ihm spiegelt sich die multiethnische Gemeinschaft des Banater Berglands wider, setzt er seine Selbstbeschreibung fort: „Ich habe Vorfahren sowohl steirischer Abstammung, tschechischer, schwäbischer und slowakischer.“ In einer multikulturellen, multilinguistischen und multikonfessionellen Gemeinschaft aufgewachsen – ethnische Trennung gab es nicht im Banater Bergland und die verbindende Sprache für alle war in Reschitza bis in die 1920er Jahre Deutsch - charakterisiert er sich und seine Landsleute: „Wir im Banater Bergland haben, durch unsere Geschichte geprägt, eine ganz andere Natur als die Siebenbürger Sachsen oder die Banater und Sathmarer Schwaben.“

Warum Deutsch als verbindende Sprache? Weil dies die Fachsprache im Bergbau und Hüttenwesen war - in den „Werken“, um die sich alles drehte, erklärt Țigla. So haben auch die Ungarn, die Tschechen und Slowaken Deutsch gelernt. Mit der Zeit hat sich eine eigene Umgangssprache herausgebildet, mit Einflüssen aller Deutschsprachigen, die sich im Laufe der Zeit dort niedergelassen haben, hauptsächlich alpenländischer Prägung. „Wir haben sogar eigene Wörter“, erklärt Țigla. Ein Beispiel? Er denkt nach und schmunzelt: „Omatzen“ (Ameisen). „Ich persönlich habe Rumänisch erst im Kindergarten gelernt“, bekennt er.

Im Kampf gegen das Vergessen

Februar 2017. Wie jedes Jahr im Januar wird im Kulturhaus „Friedrich Schiller“ des traumatischen Ereignisses gegen Ende des Zweiten Weltkrieges gedacht, vor dem kaum eine deutsche Familie in Rumänien verschont geblieben ist: die geschlossene Deportation der deutschen Minderheit in die ehemalige UdSSR. Unter den Bildern, die im Hintergrund als Endlosschleife laufen – Zeichnungen und Fotos von Zeitzeugen, die der Vortragende aus Reschitza mitgebracht hat - taucht immer wieder das Bild eines jungen Mannes vor einem schlichten Holzhaus auf. „Mein Großvater“, erklärt Erwin Josef Țigla. Dass auch sein Großvater nach Russland verschleppt worden war, hatte er als Kind erfahren, als er zufällig einen Blick in dessen Arbeitsbuch warf. Erst in den 70er Jahren wurde die Zwangsarbeit, anfangs totgeschwiegen, dort mit dem Eintrag „1945-1949, Arbeitseinsatz UdSSR“ vermerkt. „Da habe ich dann gezielter nachgefragt.“ Zuvor wurde darüber nicht gesprochen. Nicht einmal im engsten Familienkreis, im Haus der Großeltern, wo der kleine Erwin seit seinem 9. Lebensjahr aufwuchs, nach dem frühen Tod seiner Mutter.„Ich hab mich bloß immer gefragt, warum er nicht gern Kartoffeln aß. Irgendwann ist er dann rausgerückt, dass er in Russland genug Kartoffeln – also, Kartoffelschalen – gegessen hat. Das hat ihm gereicht fürs ganze Leben.“

Seit 29 Jahren setzt sich Erwin Josef }igla  mit dem Thema Vergangenheitsbewältigung auseinander, organisiert die Aufstellung von Denkmälern, gibt Bücher heraus, spricht auf Konferenzen. Ein emotionelles Thema, gesteht er. Den Zuhörern im Schillerhaus erzählte er auch, wie der Großvater am 24.12.1949, an Weihnachten, nach Hause zurückkam. Und seine Mutter, die zur Zeit der Verschleppung ihres Vaters gerade mal ein Jahr alt gewesen war, fragte: „Wer ist dieser Fremde, der jetzt bei uns wohnt?“

Frühe Begeisterung für Kultur

„Sechs Jahre nach der Mutter – sie war das einzige Kind ihrer Eltern, genau wie ich – starb auch die Großmutter und wir Männer sind alleine geblieben“, erzählt Erwin Josef Țigla weiter. Da war er gerade mal 15. Dieser Umstand trug dazu bei, dass er kein Studium absolvierte, sondern nach dem Gymnasium – wie alle seine Vorfahren – direkt eine Lehre in den „Werken“ antrat. Andererseits sei es auch selbstverständlich gewesen, dieser Familientradition zu folgen. „Die Werke, 1771 entstanden, Hüttenwesen und Maschinenbau, waren immer das Wichtigste in der Stadt. Alles drehte sich um sie, auch das Kulturleben.“

„Schon damals, Anfang der 80er Jahre, gab es die ersten Anzeichen, dass ich mich einmal mit Kultur befassen würde“, erklärt er, wie er zu seinem heutigen Beruf als Bibliothekar und Leiter der deutschen Abteilung der Kreisbibliothek von Karasch-Severin, der Alexander-Tietz-Bibliothek, gelangte.

In Reschitza war das Kulturleben der Deutschen damals von einer Laien-Operettengruppe geprägt, holt er weit aus. Das einzige Ensemble dieser Art in ganz Rumänien, sogar landesweit bekannt. Schon während der Schulzeit träumte er sehnlichst davon, selbst einmal Mitglied zu werden. Doch erst nach erfolgreichem Abschluss durfte man beitreten. „Ich war Mitglied der Tanzgruppe und Tenor – nicht der glänzendste, aber das Wichtigste war, mitzumachen, sich zu integrieren.“

Doch die Freude währte kurz. Mitte der 1980er Jahre läutete ein neues Gesetz das Ende des Ensembles ein: Wer den Antrag auf Ausreise gestellt hatte, durfte nicht mehr mitspielen. „Ich hatte nicht eingereicht, doch drei Viertel der anderen Mitglieder.“ Übrig blieb eine kleine, junge Gruppe, die nicht mehr in der Lage war, dies alles weiterzuführen und sich kurz darauf auflöste. „Dann hab ich begonnen, mit Freunden eine eigene Kulturgruppe zu bilden“, erinnert sich Țigla. „Ich war als Regisseur tätig, wir haben einige Aufführungen gemacht.“ Es gab jedoch noch eine Hürde zu nehmen: Kulturgruppen durften sich  im Kommunismus nur an Volkshochschulen treffen, die es zwar in jeder größeren Stadt gab – wo Deutsche lebten, auch mit deutschen Abteilungen – doch derjenige, der diese Abteilung in Reschitza geleitet hatte, war ebenfalls ausgewandert. „So hab ich 1987 im Herbst begonnen, die ersten Schritte einzuleiten, dass diese wieder aufgebaut wird.“ Es wurde genehmigt. Man plante schon den ersten Vortrag. Da hieß es auf einmal, man dürfe die Veranstaltungen doch nicht in deutscher Sprache abhalten. „Es muss einen Hinweis an das Kreiskomitee gegeben haben, nach dem Motto, wer weiß, was die da alles machen wollen!“ Nun war Vorsicht geboten. „Werner Kremm hat sofort Kontakt zu Breitenstein aufgenommen, dem damaligen Chefredakteur des Neuen Wegs, Mitglied im Zentralkomitee.“ So wurde alles, was im Neuen Weg jemals über deutsche Aktivitäten an Volkshochschulen in anderen Städten geschrieben worden war, auf Rumänisch übersetzt und an die Kreispartei weitergeleitet – um zu zeigen, dass die Idee nicht in Reschitza erfunden worden war. Die Strategie ging auf. „Und so feiern wir seither jedes Jahr den Gründungstag des Erwachsenenbildungsvereins  ‚Deutsche Vortragsreihe Reschitza‘ am 19. November 1987 - letztes Jahr zum 31. Mal“, freut sich dessen Gründer und Leiter.

Brücke zum Forum

„Vielleicht fragen Sie sich, warum wir in Reschitza kulturell so bis zum heutigen Tag arbeiten können?“ Er beantwortet seine Frage selbst: „Weil wir keine Pause gemacht haben. Wir haben Kontinuität gehabt!“ Während bei den Siebenbürger Sachsen, Banater und Sathmarer Schwaben gleich nach der Wende der Exodus einsetzte, kam die Abwanderung bei den Berglanddeutschen erst 8 bis 12 Jahre später - und auch nur aus wirtschaftlichen Gründen, weil mit der Schließung der Werke die Arbeitsplätze wegbrachen. So konnte man schon im Januar 1990 nach der Wende beginnen, massiv weiterzuarbeiten, erklärt }igla. „Wir hatten ja seit 1987 genug Mitglieder, auf denen wir aufbauen konnten. Mit dieser Basis  haben wir dann am 9. Januar das Forum gegründet.“

Deutsche Kultur in Reschitza

Wie es im Banater Bergland weitergehen wird? Diese Frage stellt sich dort nicht nur für die Deutschen. Denn auch andere wandern mit ihren Familien aus. Wenn der Nachwuchs für die deutschen Schulen wegbricht, werden die leeren Plätze dort nicht, wie in anderen Regionen, mit Rumänen aufgefüllt. Auch gibt es keine Zuwanderung durch deutsche Investoren. „Während sich Temeswar oder Hermannstadt nicht retten können vor rumänischen Kindern, fehlt bei uns die Anziehungskraft für Andersnationale“, erläutert Țigla, warum die Lage der deutschen Schulen dort prekärer wird. Auch sein eigener Sohn lebt heute als Arzt in Bayern.

Wie er die Zukunft sieht? „In diesem Augenblick mache ich mir keine großen Sorgen“, meint Țigla. „Das Kulturleben vor Ort ist aktiv, es gibt diese Vorträge.“ Herzstück vieler seiner Aktivitäten ist die Alexander-Tietz-Bibliothek, die er seit 1995 hauptberuflich leitet. „Es gibt HOGs und Treffen mit Leuten aus Deutschland. Letztes Jahr hatten wir eine große Ausstellung im Donauschwäbischen Zentralmuseum in Ulm. Wir haben auch sehr gute Beziehungen zu andersnationalen Vereinen, zum Alpenverein, zu  deutschen Vereinen landesweit, auch zu einzelnen Ortsforen im ganzen Land. Wir versuchen, ein Bindeglied zu sein, alle einzubinden, auch in kultureller Sicht.“

Die deutsche Kultur „brummt“ in Reschitza, dank Erwin Josef Țigla: Jährlich wird der „Alexander-Tietz-Preis“ des Demokratischen Forums der Deutschen in Karasch-Severin und des Kultur- und Erwachsenenbildungsvereins für die Bewahrung und Förderung der deutschen Sprache und Kultur vergeben. „Eine der wichtigsten deutschen Auszeichnungen“, betont er. Alle zwei Jahre findet der Wettbewerb „Kinder malen ihre Heimat“ statt. Seit 1991 gibt es die „Deutschen Literaturtage in Reschitza“, seit 1995 das „Reschitzaer deutsche Trachtenfest“, seit 2003 den „Reschitzaer deutschen Frühling“ und „- Herbst“ - und mehr. Muss man sich wundern, dass Țigla – neben unzähligen anderen Auszeichnungen – 2007 die Ehrenbürgerschaft seiner Geburtsstadt erhielt? Auf die Frage nach seinem Lebensmotto kommt wie aus der Pistole geschossen: „Durch die Gemeinschaft, für die Gemeinschaft.“

Auf seiner letzten Buchvorstellung im Schillerhaus im März bemerkte Nora Iuga: „Erwin versucht mit aller Kraft, den deutschen Geist von einst fortzusetzen. Ich glaube, er wünscht sich heimlich, dass alle weggegangenen Deutschen zurückkommen werden – was wohl nie passieren wird. Aber bei unseren jährlichen literarischen Treffen in Reschitza mit den deutschen Minderheiten aus Rumänien und den Nachbarländern – merkwürdig, da nimmt die Teilnehmerzahl nie ab!“