Ein Besuch auf dem „Bauernmarkt“ oder das Spiel mit der Realität

Wie deutschen Touristen rumänische Traditionen vorgegaukelt werden

Ein Mittwoch im Juli, 16 Uhr. Der Temeswarer Heumarkt, die „Piața Badea Cârțan“ in der Fabrikstadt. Einige Verkäufer sind schon weg, es gibt nur noch wenige Käufer, die in der Sommerhitze nach Tomaten, Gurken, Pfirsichen oder Wassermelonen suchen. Vielleicht auch nach Käse, denn einige Milchhändler sind noch da, stehen kurz vor dem Räumen ihrer Stände, doch wenn sie den verirrten Kunden sehen, bieten sie ihm gleich ihre Ware an. Zugegeben, der Mittwochnachmittag ist kein besonders guter Zeitpunkt für einen Marktbesuch, aber was soll´s, wenn man Gäste zum Abendessen erwartet, will man ihnen eine Kleinigkeit auftischen: oltenische Tomaten, ein bisschen Käse, und ein Stück frischer „lubenița“, die Wassermelone, ohne der kein rumänischer Sommer denkbar ist.


Wer sich zu dieser Stunde hierher begeben hat, wer die üblen Gerüche, den Dreck, die toten Tauben auf der Straße hinter dem Markt, Opfer rasender Autofahrer, also das wenig anziehende Ambiente eines Temeswarer Bauernmarktes in Kauf genommen hat, will wenigstens voll bepackt nach Hause gehen. Weil sich eine Überzeugung hartnäckig hält, nämlich jene, dass das Angebot auf dem Bauernmarkt doch besser ist als jenes im Supermarkt, wenigstens wenn es um Gemüse, Obst oder Käse geht. Weil ein Markteinkauf immer mehr Spaß gemacht hat als der Besuch der Kaufland- oder Lidl-Filiale, weil ein Gespräch mit den Fratschlerinnen oft eine lustige Angelegenheit sein kann, weil die oltenischen Melonenverkäufer seit eh und je gerne ein kleines Dreieck in die großen Früchte hineinschneiden, den sie „Korken“ nennen, weil die „vânzarea pe gustate“, der Kauf nach Probe, zu den Eigenständigkeiten dieses Landes gehört und selbst im rumänischen „Cod civil“ geregelt ist.


Ähnliches dürften sich auch jene gedacht haben, die just am selben Mittwoch im Juli eine Gruppe deutscher Touristen zum Josefstädter Markt gekarrt haben, um ihnen die rumänische Wirklichkeit zu präsentieren, in ihrer vollen Pracht. Die Deutschen, die angeblich einen in Osteuropa üblichen Markt nicht kennen oder, wie im Falle der älteren Semester, nur noch Kindheitserinnerungen damit verknüpfen, sollten eben sehen, wie der Durchschnittsrumäne lebt, wie er seinen täglichen Einkauf erledigt.


Im Grunde, eine schöne Idee, vor allem wenn westeuropäische Touristen, die wenigstens die halbe Welt bereist haben, nicht nur Kirchen, Plätze oder Museen sehen wollen, wenn sie verzweifelt nach einem Hauch Authentizität suchen. Doch was hat man in Temeswar daraus gemacht? Eine Lachnummer, ein Trauerspiel, eine weitere Groteske in der langen Reihe der Peinlichkeiten im Temeswarer Tourismus, eine Kitsch-Veranstaltung, die der Stadt und ihren Bürgern keine Ehre macht. Die Lokalpolizei wurde hingeschickt, lange vor der Ankunft der Reisegruppe, damit die Schmuggler, die Bettler, die Obdachlosen verschwinden. Damit ein bisschen gekehrt wird und der Markt, zwar vor ein paar Jahren neugebaut, aber weiterhin dreckig und kaum einladend, wie alle anderen Bauernmärkte dieser Stadt eben, sich zumindest halbwegs sehen lässt.


Und dann tanzten sie an: Zunächst der Vorsitzende des Verwaltungsrates der Piețe S.A., dem städtischen Unternehmen, in dessen Obhut sich die Bauernmärkte befinden, der ominöse Ionu] Nasleu, ein gescheiterter Politiker der dritten Reihe, ursprünglich Mitglied der untergegangenen PRM und jetzt Berater von Bürgermeister Nicolae Robu, über dessen Verbindungen zur Temeswarer Unterwelt des öfteren berichtet wurde. Und dann der Bürgermeister selbst. Beide faselten über Traditionen, über einheimische Lebensmittel, über die Ehre, von deutschen Touristen besucht zu werden, und über die Möglichkeit, diese bizarre Initiative weiter zu verfolgen. Dann wurde den Gästen, deutschen Durchschnittstouristen, die in keiner Großstadt Europas und wahrscheinlich auch in keiner rumänischen vom Bürgermeister selbst empfangen worden wären, eine Platte mit Schinken, Käse, Zwiebeln und Tomaten aufgetischt, es gab Volkstänze und angeblich gute Laune. Authentizität? Fehlanzeige. Kitsch? Eindeutig, bis zum Übelwerden. Dummheit, Oberflächlichkeit, Ignoranz und Hohn? Bis zur Grenze der Belastbarkeit. Man sah es in den veröffentlichten Fotos: einige Anwesende, auch die Lokaljournalisten, merkten sofort, dass sie im Grunde einer weiteren Bankrotterklärung dieser Stadtverwaltung beiwohnten.


Den Touristen, die diese Stadt angeblich so dringend braucht, wurde nicht die Wirklichkeit vorgeführt, sondern eine fingierte Realität. Ein kleines Paralleluniversum, das es so nicht gibt. Die Realität des Josefstädter Marktes ist eine andere, als jene, die nun eine Seniorengruppe aus Nordrhein-Westfalen nach Hause nimmt. Sie ist dreckig, schmutzig, übelriechend. Sie ist von Schmugglern, Bettlern, Obdachlosen und zweifelhaften Verkäufern bewohnt, die den angeblich naiven Städtern Kirschen verkaufen, die aus Teregova kommen, wo kein Kirschbaum wächst, oder Pfirsiche, die unbedingt in Perjamosch gereift sind, Aprikosen aus Großsanktnikolaus und Melonen aus dem südrumänischen D²buleni. Dieses D²buleni muss über eine Melonenanbaufläche verfügen, die mindestens die ganze südrumänische Tiefebene umfasst, denn dort wird eine Melonenproduktion erzielt, die wahrscheinlich doppelt so hoch ist wie jene der Türkei. Jede zweite Melone, die von Konstanza bis Temeswar und von Sathmar bis Giurgiu verkauft wird, stammt natürlich aus D²buleni. In Perjamosch werden mehr Pfirsiche geerntet als in Griechenland, die Kirschbauern von Teregova haben ihre süditalienischen Konkurrenten längst hinter sich gelassen. So ist das auf den einheimischen Bauernmärkten: Die meisten der sogenannten Bauern, die im 9. Stock im Plattenbau wohnen, kaufen beim Großhändler türkische Tomaten ein und verkaufen auf dem Josefstädter Markt „Paradeiser“ aus Großsanktpeter. Nur wer als Kunde seit Jahren vom selben Händler kauft, ihn inzwischen gut kennt und zu ihm Vertrauen aufgebaut hat, kann davon ausgehen, dass er Tomaten aus Ineu und nicht aus Izmir auf den Tisch hat. Denn in der großen Menge der Händler versteckt sich der eine oder andere Opa, der nachts um zwei in Ineu aufsteht und um sechs bereits auf dem 700er Markt ist, oder die Oma, die Jahr für Jahr die selben kleinen, knorrigen Äpfel aus Vârciorova bei Karansebesch auf dem Heumarkt anbietet. Man muss diese wenigen Leute suchen, mit ihnen sprechen, ihre Aussprache und ihre Wortwahl erkennen, ein Markteinkauf ist inzwischen ein kleines soziologisches Unterfangen. Wie dagegen das große Geschäft der Betrüger läuft, wissen inzwischen alle, auch der ehrenwerte Herr Nasleu, vielleicht auch sein entrückter Chef, Bürgermeister Robu. Der wieder einmal von der Würde eines Amtsträgers nichts versteht und sich für eine solche Lächerlichkeit hergibt.


Glaubt der Bürgermeister in der Tat, dass die Zukunft des Temeswarer Tourismus auf dem Bauernmarkt liegt? Wenn es so ist, dann sollte er, aus Respekt für uns, alte Nostalgiker, deren Auto oft vor dem Heumarkt und selten vor der Lidl-Filiale parkt, zusehen, dass auf den Märkten Ordnung herrscht, dass regelmäßig geputzt wird, dass die Lokalpolizei täglich einschreitet und den Bettlern und Betrügern, den Anbietern von geschmuggelten Zigaretten einen Riegel vorschiebt. Dass die Baustelle des Heumarktes nicht einfach aufgegeben wird, weil der Planer und die Baufirma über eine Detailfrage streiten, als würde man meinen, dass in der Temeswarer Fabrikstadt Deutschland den Berliner Flughafen oder wenigstens den Stuttgarter Bahnhof baut. Flughafen hin, Bahnhof her, die Temeswarer Stadtverwaltung konnte bislang keinen einzigen Markt zufriedenstellend sanieren und neugestalten. Der Josefstädter Markt wurde zwar abgerissen und neu gebaut, aber die dreistöckige Konstruktion ist ein Unikum weit und breit. Denn mehrstöckige Bauernmärkte gibt es nicht, weil kein normaler Mensch mit Einkaufstüten in der Hand bis in den 3. Stock hinaufsteigen will, um Käse und Fleisch zu kaufen. Rolltreppe gibt es keine und in den engen Fahrstuhl haben keine zwei Leute Platz. So kommt es, dass ab dem 1. Stock fast alle Verkaufsstände leer sind, dafür aber im 3. Stock eine sehr traditionelle „Food-Court“ eingerichtet wurde, wo NRW-Touristen nun rumänischen Speck kosten durften.


Nun, man lebt weiterhin mit dem falschen Glauben, dass die Realität verschönert werden muss, wenn deutschen Touristen der rumänische Alltag präsentiert werden soll. Wenn der Bürgermeister begreifen könnte, dass man die Realität verschönern sollte, auch wenn keine Gäste aus dem Westen angesagt sind, dürfte sich auch der widerliche Kitsch erübrigen, der zurzeit in den Köpfen seiner Untergeordneten kreist, und die dürftigen Plastiktische, die hässlichen Sonnenschirme und die billige Pseudo-Folklore dürften dann in die Abstellkammer verschwinden. Und es würde der Stadtverwaltung auch das gelingen, was keinem gegönnt ist, nämlich zwei Hasen auf einmal zu jagen. Zum einen, würden die Bauernmärkte in Temeswar wieder an das erinnern, was sie früher mal waren. Zum anderen, würden dann deutsche Touristen den Weg dorthin vielleicht auch selbst finden