Ein Fest als Garant für den Frieden

Theologe Laurențiu Tănase: „ProEtnica ist eine interessante Plattform für den interethnischen, interreligiösen Dialog“

Gemischter Reigen auf dem Burgplatz

Die türkische Tanzgruppe „Delikanlilar“ aus Konstanza

Schwaben aus Arad vor der Pension „Casa Săsească“ (Sachsenhaus)

„Heimspiel“: das ungarische Ensemble „Kikerics“ aus Schäßburg
Fotos: George Dumitriu

Griechinnen in prachtvoller Tracht und kunstvoll geschlungenen Kopftüchern, Türken mit feschem Fez, die Mädchen in samtenen Pluderhosen, dann eine Touristin im Reise-Schlabberlook, ein tätowierter  Mann mit Rastalocken, dazwischen immer wieder Kinder. Sie halten sich an den Händen, hüpfen ausgelassen zur Musik im Kreis. Kameramänner filmen von ihren Podesten herunter, die abends von Zuschauern erklommen werden, mit Blick über die Köpfe der tosenden Menge lassen sich die Konzerte besser verfolgen. Der Stadttrommler von Schäßburg/Sighișoara, der auf keiner Veranstaltung fehlen darf, lächelt zufrieden. Und noch einer hat Grund dazu: Volker Reiter - doch ihn trifft man kaum auf dem Fest der Minderheiten, zu hektisch geht es für den Organisator der mittlerweile 16. Ausgabe von ProEtnica zu.

An die 600 Mitglieder aus 20 nationalen Ethnien - und erstmals eine Gruppe Sorben, die slawische Minderheit in Deutschland - sorgten vom 22. bis 26. August auf der Bühne am Burgplatz für ein fulminantes Spektakel. Kostbare Trachten, alte Volkstänze und  schmissige Musik - vom Sirtaki bis zu „Es klappert die Mühle am rauschenden Bach“ - ziehen die Besucher der mittelalterlichen Festung in den Bann. Vor 18 Jahren hat Volker Reiter das Fest der Minderheiten ins Leben gerufen. Der Deutsche, der 2001 als entsandter Kulturassistent nach Schäßburg kam und heute dort das Burghostel und das Interethnische Jugendbildungszentrum (IBZ) leitet, gesteht: „Es geht mir dabei gar nicht um den Erhalt von Brauchtum - sondern um Friedensförderung durch interkulturellen Dialog.“

Vielfältiges Programm

Die Bühne ist offen, zwischen Künstlern und Zuschauern soll wenig Trennendes stehen. Nach jeder Vorführung klettert die Gruppe auf den Platz hinunter und animiert die Leute zum Tanzen. Spontane Einlagen, etwa der Feuertanz einer jungen Frau, sind willkommen. Stadttrommler Dorin Stanciu bittet die Menge, einen Kreis freizumachen, und schon wirbelt sie mit wehender Mähne und einer fünfflammigen Fackel in jeder Hand barfuß über das Kopfsteinpflaster.

Jeden Abend endet das Programm mit einem Konzert hochkarätiger Künstler. Maia Morgenstern mit der großartigen Bukarester Klezmer Band, die Blechbläser von Cozmești mit feuriger Zigeunermusik oder die deutsche Gruppe Fanfarello mit dem begnadeten Rock-Violinisten Manni Neumann und dem vor allem in Rumänien bekannten Ovidiu Lipan „Țăndărică“, Schlagzeuger der ehemaligen Rockgruppe Phoenix, verwandelten den nächtlichen Burgplatz in einen tosenden Kessel. Die Filmvorführung, „Der geköpfte Hahn“ von Eginald Schlattner wird von der Tochter des verstorbenen Regisseurs Radu Gabrea, Magdalena Schubert, präsentiert. Für die Ausstellung mit Bildern von Minderheitenmalern rührt Dorin Stanciu die Trommel.

Das künstlerische Programm ergänzte eine dreitägige Konferenz mit Vorträgen, Diskussionen und Buchvorstellungen, simultan übersetzt ins Englische: Schritt für Schritt soll ProEtnica internationaler werden. Erstmals nahm eine Gruppe Sorben an der ProEtnica Sommerakademie für Jugendliche aus Rumänien und EU-Ländern teil, organisiert von Maria Korek (NGO „Divers“).  Lektoren waren Radu Carp ,Professor für Politik, Uni Bukarest, und Meto Nowak vom Brandenburgischen Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kultur.

Heuer stand ProEtnica im Zeichen des Europäischen Kulturerbe-Jahres, aber auch des 100-jährigen Jubiläums der Vereinigung Großrumäniens (1918).

Minderheiten im Wandel

Die Diskussionsveranstaltung über den Beitrag nationaler Minderheiten zur Entwicklung Rumäniens seit der großen Vereinigung moderierte Dr. Aurel Vainer,  Vorsitzender der Jüdischen Gemeinschaften Rumäniens (FCER). Mit im Panel: die Abgeordnete der Mazedonier, Mariana-Venera Popescu, der tatarische Unterstaatssekretär Aledin Amet (DRI), Unterstaatssekretärin Irina Cajal Marin (Kulturministerium) und Carol König (Berater im Kulturministerium).

Seit der Vereinigung hat Rumänien, aber auch jede Minderheit, tiefgreifende Transformationsprozesse durchgemacht. Die Zahl der Einwohner stieg von 7.235.000 (1912) auf 14.300.000 (1930). Die Anzahl der Juden und der orthodoxen Christen hatte sich jeweils verdoppelt. Die wichtigsten Minderheitenrechte datieren aus dieser Zeit. Allen Einwohnern wurde das Recht auf Staatsbürgerschaft zuerkannt. „Man fragt uns oft, wieso die Juden im Altreich vor dem Ersten Weltkrieg keine Landwirtschaft betrieben“, bemerkt Vainer und erklärt, dass ohne Staatsbürgerschaft kein Landkauf möglich war. Anders in der Maramuresch, wo im österreichisch-ungarischen Einflussraum Juden seit 1867 die Staatsbürgerschaft besaßen, dort gab es auch jüdische Bauern. Auch der Zugang zu Universitäten und bestimmten Berufen war zuvor für Minderheiten eingeschränkt. Die Vereinigung eröffnete ihnen ganz neue Chancen. Die Intellektualität stieg – und damit auch ihr Beitrag zur Entwicklung des Landes.

Die Tataren, setzt Aledin Amet fort, nutzten den Zugang zu Bildung gezielt als Strategie gegen den Verlust ihrer Identität. Anfangs vorwiegend Bauern, ist der Anteil an Akademikern unter ihnen heute überdurchschnittlich hoch.

Im Kommunismus spielte Religion eine wichtige Rolle für die Kohäsion der Minderheitengruppen. Im Fall der Türken und Tataren haben die Imame die Gemeinschaft zusammengehalten, so Amet. „Der Islam war in Rumänien übrigens nie Ursache von Konflikten“, ergänzt Vainer. „Wir unterstützen uns und haben die besten Beziehungen.“ Mit Blick auf Aledin Amet fährt er lächelnd fort: „Eigentlich sollten wir uns öfter treffen, nicht nur einmal im Jahr, zu ProEtnica.“

Wie junge Leute Traditionen leben

Der sorbische Musikologe Gregor Kliem stellt ein transkulturelles Experiment zur Wiederbelebung sorbischer Volkstänze vor. Anstelle wie üblich die Zuschauer von der Bühne herab passiv mit Vorführungen zu konfrontieren, setzt die Musikgruppe „Serbska reja“ (sorbische Tänze) aus Leipzig/Cottbus auf teilnehmende Performance. Das Publikum wird zum Mitmachen angeregt. Dabei kommt es weniger auf die korrekten Schritte an als auf das gemeinsame Erleben. Sorbische Tänze angucken oder sorbisch tanzen ist eben nicht dasselbe. Gemeinsamkeiten mit Tänzen oder Melodien anderer Ethnien werden bewusst herausgestrichen: „Tanzt einfach Brașoveancă“, ruft die Animateurin von der Bühne herunter. Die Sorben beginnen zu spielen – und die Leute auf dem Burgplatz wissen, was sie zu tun haben, denn die Schritte des sorbischen Tanzes sind mit dieser fast identisch. „Das Potenzial der teilnehmenden Performance ist sehr hoch“, meint Kliem und empfiehlt auch anderen Minderheiten, auf diese Art zu probieren, Interesse für ihr Kulturerbe zu wecken.

Von der „überkorrekten“ Pflege der Bräuche hält der junge Mann nicht viel: „Meine Großmutter war sehr um die ‘richtige’ Einhaltung der Traditionen besorgt, aber sie bestimmten damals auch ihren Alltag. Ich bin in der Stadt aufgewachsen. Ich bin Sorbe – aber eben anders.“ Ohnehin sind von den alten Liedern und Tänzen oft nur Fragmente erhalten. Er spielt sie auf einem alten schwedischen Instrument - trotzdem sei es sorbische Musik, betont Kliem.

Auch Meto Nowak kennt den Konflikt zwischen „vorschriftsmäßiger“ Pflege von Bräuchen und kreativer Interpretation. Bei den Sorben überwachen die alten Männer die strenge Ordnung der Tracht, erzählt er. Doch mit ihrer Kritik nehmen sie den jungen Leuten oft das Interesse. Volker Reiter, der Organisator des Festivals, provoziert gerne: „Auch Bräuche haben sich entwickelt. Irgendwann in der Vergangenheit waren die Traditionen von heute Innovation.“

Zwei sorbische Teilnehmerinnen der Sommerakademie erhalten die Aufgabe, sich eine Minderheit aus Rumänien auszusuchen und zu interviewen. Ihre Wahl fällt auf die Gruppe „Holuboc“ der Ruthenen aus Peregu Mare (Arad). „Eine kleine slawische Minderheit, genau wie wir – und sie waren uns völlig unbekannt“, motivieren sie ihre Wahl. Die Frage, ob sie zum ersten Mal an ProEtnica teilnehmen, verneinen die Ruthenen. „Sie finden ProEtnica phantastisch und sind stolz, dabeisein zu dürfen. Seit sie sich erstmals in Schäßburg mit den anderen Minderheiten trafen, blieben sie über Facebook in Kontakt“, berichten die Sorbinnen.

Früher waren Minderheitengruppen relativ in sich geschlossen, das Prinzip der Trennung und des Ausschlusses herrschte vor. Heute sind sie offen, kommunikativ, inklusiv,  beobachtet Gregor Kliem und erklärt: „Wir sind gegen das Prinzip der kulturellen Reinheit.“

Dialog für den Frieden

Im Vortrag „Religiöse Landschaft der nationalen Minderheiten“ von Lauren]iu T²nase, Lektor für Soziologie der Religionen an der Fakultät für orthodoxe Theologie an der Uni Bukarest,  erfahren wir, warum ausgerechnet diese Haltung friedensstiftend ist. In Rumänien gibt es 18 anerkannte religiöse Kulte – ein enormes Konfliktpotenzial, postulieren Soziologen, denn für jeden ist seine Religion die „einzige Wahrheit“, erklärt Tănase.

Dennoch erzeugt zum Beispiel der Islam vor allem in der Dobrudscha, wo er seit Jahrhunderten ansässig ist, im Gegensatz zu Westeuropa keine Konflikte. Zum einen liegt dies daran, dass der Islam in der Dobrudscha anders ist,  Jihadismus und Fundamentalismus wird man dort vergeblich suchen. Zum anderen hat sich in der modernen Gesellschaft die ethnische und religiöse Identität generell gelockert. Nicht mehr alle Türken und Tataren sind Muslime. So haben sich in den Minderheiten „Mikro-Minderheiten“ gebildet - Menschen mit einer anderen Religion. „Dies wiederum ist gut für den Dialog und die Vermeidung von Konflikt“, verrät der Lektor. Das zweite ausgleichende Element sei die moderne Gesellschaft: „Globalisierung schafft gemeinsame Interessen für alle.“

Um Spannungen zu vermeiden, besteht die Notwendigkeit eines interkulturellen, interreligiösen Dialogs. „Allerdings haben Worte darin die geringste Wirkung“, überrascht  der Theologe. „Insofern ist ProEtnica eine interessante Plattform für diesen Dialog.“