Ein Franke in der Harghita

Zu Besuch bei Jürgen Fink im Dorf Dealu

Jürgen Fink am Schaltpult seiner Modelleisenbahn

Ein repräsentativer Querschnitt durch die deutsche Eisenbahngeschichte. Fotos: Johannes Kravatzky

Auswandern ist immer mit Hoffnung verbunden. Meist erhofft man eine Verbesserung seiner Lebensverhältnisse, mehr Lebenserfüllung und ein gutes Leben. Selten denkt man daran, dass eine Auswanderung nicht immer von Erfolg gekrönt ist. Diese Erfahrung machte auch Jürgen Fink nach sechs Jahren seiner Auswanderung. Die Perspektivlosigkeit, die er in Deutschland verlassen hatte, holte ihn im Auswanderungsland ein. Woran liegt das?

Dem aufmerksamen Leser der ADZ ist in der Ausgabe vom 15. Februar dieses Jahres auf Seite 9 bestimmt der Artikel von und über Jürgen Fink aus der Harghita aufgefallen, da auch der Titel etwas provokant war: „Was will der hier?“. Der Untertitel klang versöhnlicher, aufklärender und hat mich tatsächlich auch neugierig gemacht: „Eindrücke eines deutschen Auswanderers in Harghita“. Wohin war Herr Fink ausgewandert? Die Harghita ist groß! Ein Deutscher in einer nur Ungarisch sprechenden Gegend? Sehr ungewöhnlich! Da ich zufällig diese Gegend kenne und man sagen kann, dass es in den Orten außer den Polizisten keine Rumänen, aber auch keine Deutschen gibt, hatte ich mich auch gefragt: Was sucht der dort? Der Ort Dealu/Oroszhegy liegt nicht weit von Odorhellen/Odorheiul Secuiesc/Székelyudvarhely, aber etwas ‚abseits der Heeresstraße‘, und somit ist nicht zu erwarten, dass ein Deutscher dort große Beschäftigungsmöglichkeiten findet. Ein Mann in den besten Jahren, Akademiker, Wirtschaftswissenschaftler, Englischlehrer, Buchhändler mit 25-jähriger Erfahrung, deutscher Franke – wie man aus dem Artikel über ihn erfahren konnte –, was hat ihn nach Dealu verschlagen? Laut Wikipedia ist Dealu eine aus sieben Dörfern bestehende Gemeinde mit 3900 Einwohnern, die zu 99 Prozent ungarisch und katholisch oder reformiert-unitarisch sind. Also nahm ich eine Postkarte, frankierte sie entsprechend und schickte sie nach Dealu, mit meiner E-Mail-Adresse und der Frage, ob ich ihn besuchen dürfte. Die Postleitzahl hatte ich aus dem Internet und den Rest dachte ich, wird der Postträger schon wissen. Nach einiger Zeit kam die freudige Antwort per E-Mail: Mein Besuch ist willkommen! Anschrift, Telefonnummer, E-Mail-Adresse waren auch dabei. Groß war die Spannung, als ich in Begleitung von Gerlinde Schuller am Mittwoch vor Ostern d. J. von Korund aus nach Dealu gefahren bin.

Im Dorf Sâncrai/Székelyszentkirály ist uns bereits aufgefallen, dass es sich nicht um eine ‚gottverlassene‘ Gegend handelt, sondern saubere, stattliche Häuser entlang der Straße standen. Ein paar Kilometer weiter waren wir am Ziel. Das Dorf Dealu/Oroszhegy, ebenfalls ein stattliches Dorf, mit ebenso schönen und großen Häusern entlang der Hauptstraße und einer stattlichen Dorfkirche. An einer Weggabelung fragte ich einen jungen Mann nach „dem Deutschen“ im Ort – wo wohnt er? Da keine Hausnummer zu erkennen war, hatte ich die Adresse um ein paar Häuser verfehlt. Als wir nun pünktlich vor dem Haus hielten, stand ein hochgewachsener, schlanker Mann, mit kurzem Haarschnitt und sportlicher Figur, bei offenem Tor im Hof und empfing uns freudig auf seinem Grundstück. Es war Herr Jürgen Fink. Sein Haus ist nicht, wie im Ort üblich, an der Straße gebaut, sondern zurückgezogen, sodass vor und hinter dem Haus noch Garten ist. Das Haus ist auch kein Stein- oder Ziegelbau, wie die andern Häuser im Dorf, sondern ganz aus Holz und nicht verputzt. Es ist auf seinen Eigentümer ‚zugeschnitten‘.

Wir wurden hineingebeten und staunten nicht schlecht, als Herr Fink uns als erstes seinen „Hobbyraum“ zeigte. In einem großen Raum war auf einem großen Tisch eine Modelleisenbahn aufgebaut. An den Steckdosen am Fußboden und am Tisch, an der Kabelführung und dem Schaltpult konnte man erkennen, dass dieser Raum für diese Modelleisenbahn – bzw. Bahnen – konzipiert und gebaut wurde. Wuau! Das war beeindruckend. Auch an den Nebentischen und in den Wandvitrinen, überall Eisenbahnen. Waggons, Lokomotiven, Schalt- und Gleiselemente, und viel, viel Leidenschaft. Freilich musste ich nachhaken und fragen, wie er zu dieser Anlage gekommen ist. Wie so oft, war es der Vater, der seinen Söhnen etwas Gutes tun wollte und dann selbst dem Hobby verfallen war. Die Söhne hatten damals wenig Interesse – da es sich um Wertsachen handelte, durften sie entsprechend selten selbstständig mit den Bahnen spielen. Nachdem Herr Fink seine Berufs- und Familienplanung abgeschlossen hatte, erwachte bei ihm wieder das Interesse an den Eisenbahnen. In Dealu/Oroszhegy steht nun die dritte, in ihren Ausmaßen größte Anlage (ca. 2 x 7 m), mit sieben Fahrpulten, 120 m verlegten Schienen, 67 Weichen, 13 Signalen, je 3 Bahnhöfen und Stellwerken, 1 Drehscheibe mit Ringlokschuppen, 7 Lokschuppen und 58 Abstellgleisen. Von der ersten deutschen Eisenbahn („Adler“) bis zum ICE ist ein repräsentativer Querschnitt durch die deutsche, insbesondere die bayerische Eisenbahngeschichte vorhanden: 112 Lokomotiven und Triebzüge und 340 Personen-/Güter-/Pack- und Postwagen können eingesetzt werden. Der Aufbau zog sich über drei Jahre hin, und am Ende sind wohl an die 1000 Arbeitsstunden zusammengekommen.

Andere Hobbys sind Musik, Kochen und Literatur. Herr Fink spielt Geige, Cello und Querflöte. Alles Beschäftigungen und Fähigkeiten, die in der frühen Schulzeit ermöglicht und gefördert wurden. Kochen ist freilich erst etwas später dazugekommen, da war der Lebensweg auch Lehrmeister. Bei der Musik hingegen war das Gymnasium die Förderstätte, wo er es im Schulorchester bis zum Konzertmeister gebracht hatte. Später, während des Studiums, hat er sogar Geigenunterricht an einer Schule gegeben. Heute ist das Musizieren eine seiner Leidenschaften. Täglich wird minimum zwei Stunden an den verschiedenen Instrumenten gespielt.

Nochmal ein „Wuau“! Unsere Hochachtung! Und wieder stellt sich die Frage: Was macht ein Mann mit derartigen Fähigkeiten in Dealu/Oroszhegy? Alle seine Bemühungen, sein Wissen und Können sowie Erfahrungen an andere Menschen zu vermitteln und damit Geld zu verdienen, sind bisher nur von kurzer Dauer gewesen. Er hat auch nicht den Weg nach Gheorgheni/Gyergyószentmiklós/Niklasmarkt gescheut und hat dort Deutsch für Erwachsene unterrichtet. Ebenso an seinem Wohnort Dealu/Oroszhegy, aber die Nachfrage war schnell erschöpft und der Frust darüber, „nicht gebraucht zu werden“, gewachsen. Auch die „Sehenswürdigkeiten“ der Umgebung, wie die Narzissenwiese, der Aussichtsturm auf dem Hausberg oder die umliegenden Orte mit Odorhei/Székelyudvarhely/Odorhellen als Hauptort hat er erkundet. Sein Können hat er auch dort angeboten, doch leider auch keine Interessenten gefunden. Als guter Gastgeber hatte uns Herr Fink im Nachbarort Sâncrai/Székelyszentkirály in die Gastwirtschaft „Sziklakert“ eingeladen, weil hier die mit Marillenmus gefüllten Pfannkuchen/Palacsinta authentisch ungarisch und von hoher Qualität sind. Wir haben uns lange über allerhand unterhalten, nur die Frage, wieso sich Herr Fink den Ort Dealu als zweite Heimat ausgewählt hat, wurde nicht abschließend geklärt. Hier könnte man fast mit dem Kindervers schließen: „Ich stehe hier und schneide Speck (habe keine Aufgabe) und wer mich lieb hat (wer Interesse an meinen Fähigkeiten hat), holt mich weg!“