Ein heißer Sommer auf dem Narrenschiff Rumänien

Über den rumänisch-rumänischen Krieg in Zeiten allgemeiner Verwirrung

Die hemmungslose Gewaltanwendung der Ordnungskräfte am 10. August in Bukarest gegen die friedlich Demonstrierenden – mit einigen Ausnahmen, die man leicht hätte isolieren können, hätte man denn gewollt – lässt noch viele Fragen offen. Foto: Agerpress

In Endlosschleife zeigten rumänische Fernsehsender die Bilder von der Großdemo der Auslandsrumänen, die am 10. August stattfand und von kruder Polizeigewalt überschattet worden ist. 1999 hatte es zum letzten Mal solche Bilder im Fernsehen gegeben. Damals wollten die Bergarbeiter des Schiltals wieder nach Bukarest marschieren und die damalige Staatsgewalt unter Präsident Emil Constantinescu und dem inzwischen verstorbenen Premierminister Radu Vasile reagierte zunächst nur zögerlich, dann jedoch relativ hart, sodass schließlich der Anführer der von der andauernden Transformationskrise geplagten Bergleute festgenommen und für lange Jahre hinter Gitter gebracht werden konnte. Im Sommer 2018 ist die Lage zweifellos eine andere: Seit eineinhalb Jahren wird das Land von einer Koalition regiert, die in der postrevolutionären Geschichte Rumäniens ihresgleichen sucht.
Man muss es von Anfang an und ganz deutlich sagen: Noch nie hat eine derart unfähige Regierung einen so großen Keil durch das Land getrieben, noch nie war eine Regierungsmannschaft von einer derart hohen Inkompetenz gekennzeichnet und noch nie hat sich eine regierende Partei auf das Schicksal eines einzigen Mannes eingelassen, wie das zurzeit der Fall ist. Hemmungslos hat die PSD seit Dezember 2016 ein einziges Ziel verfolgt, nämlich die Gefangennahme des Staates und seiner Institutionen, allen voran der Justiz, denn von dieser hängt das Schicksal des PSD-Vorsitzenden Liviu Dragnea ab. Dass eine gesamte Partei sich so einfach mit in den Abgrund ziehen lässt und einem unterdurchschnittlichen Provinzpolitiker, dessen größtes Leid jenes ist, dass er nicht selbst regieren kann und das Land über unfähige und deshalb hörige Dritte führen muss, blind folgt, ist an und für sich bemerkenswert, aber für Rumänien äußerst schädlich.

Viele aufrichtige Bürger haben inzwischen gemerkt, dass Rumänien einem Narrenschiff gleicht, das bald untergehen wird, wenn die Zivilgesellschaft sich dem Schiffskapitän und seiner treuen Mannschaft nicht in den Weg stellt. Das erklärt natürlich die Lust am Protestieren, die die Rumänen jetzt zum ersten Mal seit 1989 zu entdecken scheinen. Am 10. August demonstrierten zahlreiche friedliche Bürger in Bukarest, unter ihnen aber selbstverständlich auch jene Rowdies, die es überall und auch hierzulande gibt. Zu klären bleibt, warum die Ordnungskräfte diese nicht isolieren konnten oder wollten und mit derart unkontrollierter Gewalt gegen alle Demonstranten vorgegangen sind. Spielten Dummheit und Inkompetenz eine Rolle oder wurde ein Plan ausgeführt? Wer hat ihn zusammengestellt und mit welchem Zweck? Bestimmt nicht die Bukarester Präfektin, eine Art Hausfrau nach dem Muster der Premierministerin, und bestimmt auch nicht die Schulsekretärin aus dem Kreis Teleorman, die dem Innenministerium vorsteht. Vielleicht die Leitung der Gendarmerie? Der Nachrichtendienst SRI?

Man kann sich mühevoll durch den Berg an Kommentaren und Berichten im Internet und im Fernsehen durcharbeiten, man kann zig Analysen lesen und den ganzen Tag die Nachrichtensender verfolgen. Man wird nicht schlau. Die Bilder hemmungsloser Gewalt bedürfen keiner zusätzlichen Kommentare, das ist klar. Und eindeutig ist, dass jemand die Verantwortung übernehmen muss, dass die Militärstaatsanwaltschaft jemanden zur Verantwortung ziehen muss. Aber die Übernahme von Verantwortung ist nicht so die Sache der Rumänen und keineswegs einer Regierungspartei, die seit eineinhalb Jahren immer wieder beweist, dass sie trotz ihres ausufernden und die Volkswirtschaft immer stärker gefährdenden Populismus, Ziele verfolgt, die mit dem Aufbau des Landes und dem Wohle der Allgemeinheit nichts gemeinsam haben. Aber vor dem akuten Bedürfnis hiesiger Politiker, Journalisten und selbst einfacher Bürger zu übertreiben, sollte doch gewarnt werden: Zwar war die Reaktion der Regierung auf die Demonstration der Auslandsrumänen, an der auch viele Bukarester teilnahmen, genauso wie auf die Autokennzeichen-Posse, die die Öffentlichkeit im Juli beschäftigt hat, äußerst dumm und unbedarft. Aber es gab keinen Staatsstreich, keine Revolution, keine Umwandlung des Landes in eine Diktatur nach russischem oder türkischem Muster.

Die PSD ist dieser Tage hysterisch geworden, kaum einer scheint sich dort noch beherrschen zu können. Sie wird sich weiterhin damit verteidigen, dass sie die Wahlen gewonnen und einen Regierungsauftrag bekommen hat, aber man muss die Sozialdemokraten, die ALDE-Mitglieder und die sie duldende UDMR daran erinnern, dass der Gewinn von Wahlen kein Blankoscheck ist, der zu allem ermächtigt. Man kann als Wahlsieger nicht Senioren Pfefferspray ins Gesicht sprühen, Tränengasgranaten in Gruppen mit Kindern schleudern und Menschen wahllos niederknüppeln, man darf den Rechtsstaat nicht aushöhlen und die Justiz gängeln, man darf die Volkswirtschaft nicht aus dem Gleichgewicht bringen, weil man der eigenen Klientel Gehalts- und Rentenaufstockungen in nicht erträumter Höhe versprochen hat, man darf hohe Staatsämter nicht an Personen vergeben, die den Eindruck erwecken, zuletzt die Fibel gelesen zu haben. Daran muss die Zivilgesellschaft die Regierung immer wieder erinnern, es scheint, dass es bis 2020 keine andere Möglichkeit gibt, die PSD-ALDE-Koalition halbwegs im Zaum zu halten.

Aber es gilt auch das, was Präsident Klaus Johannis am 13. August erklärt hat, nämlich dass es einer starken Opposition bedarf. Einer politischen Alternative, die es bisher nicht gibt. Die Protestler scheint wenig zu einen. Außer dem nicht zu veröffentlichenden Schlachtruf gegen die PSD, wissen sie selbst nicht, was nach der PSD kommen könnte oder sollte. Für Ludovic Orban begeistert sich sicher keiner und auch für den eher blassen Ex-Premier Dacian Ciolo{ hält sich die Begeisterung bislang in Grenzen. In weniger als einem Jahr stehen die ersten Wahlen an, jene zum EU-Parlament, dann folgen die Präsidentschaftswahl (Herbst 2019) sowie die Kommunal- und Parlamentswahlen (Juni bzw. Dezember 2020). Man kann zwar bis dahin immer wieder auf die Straße gehen, aber die demokratisch gewählte Regierung hat keinen Grund, vorzeitig abzutreten und sie wird es sicherlich nicht tun. Auch nicht wenn Liviu Dragnea in ein paar Monaten erneut verurteilt und dieses Mal auch weggesperrt wird. Seine Freunde und Kumpanen bleiben: Viorica D²ncil², Gabriela Firea-Pandele, Lia Olgu]a Vasilescu, Codrin Ştefănescu und all die anderen, die hungrigen Analphabeten, die Unterweltgestalten, die in den Ministerien hocken und lukrative Aufträge erteilen, der Abendschul-Jurist Florin Iordache, der das Strafgesetzbuch umschreibt, und der Pudel der PSD, C²lin Popescu Tăriceanu, der unlängst zugab, dass er mit offenen Augen träumt, Präsident zu werden.

Da sind noch die Irren, die Unverschämten und die Idioten, von denen es in der PSD und in der ALDE zu viele gibt. Zum Beispiel der Direktor der Philharmonie in Craiova, Gabriel Zamfir, der eine Kugel durch den Kopf der „sogenannten“ Mütter jagen will, die am 10. August protestiert haben. Oder ein Berater der Premierministerin, Cristian Bîrdac. Die Protestierenden hätte man niederschießen und nicht mit Wasser bewerfen sollen, so Bîrdac. All diese widerlichen Gestalten sind taub gegenüber den Forderungen der Straße, sie wissen genau, dass eine zehnprozentige Erhöhung der Renten, von der die Inflation mindestens die Hälfte wegfrisst, das Wahlvolk bei der Stange hält. Jene Bürger nämlich, die von den Protestierenden verabscheut werden, weil sie tagaus, tagein Antena 3 und Romania TV schauen, aber jedes Mal auch wählen gehen und immer die Partei wählen, die einzige, die es für sie gibt. Die einzige Chance auf Genesung bleibt also der Aufbau einer gesunden politischen Alternative, das müsste jeder halbwegs vernünftige Oppositionspolitiker wissen, laut sagen und dafür Hand anlegen.

Präsident Johannis braucht eine vernünftige Alternative zur gegenwärtigen Regierungskoalition, die ihm 2019 helfen soll, für eine zweite Amtszeit gewählt zu werden. Aber er muss sich eindeutig auch selbst helfen, seine Facebook-Kritik und seine knappen Kommentare zur aktuellen Lage sind zwar nützlich, aber längst nicht ausreichend. Er darf keinesfalls zu Gewalt aufrufen oder die Straßenproteste anheizen, aber er muss für die Einhaltung der Menschenrechte und für die Bestrafung aller Verantwortlichen einstehen. Mittel dazu hat er, was am 10. August geschehen ist, muss den Obersten Verteidigungsrat beschäftigen, dem er vorsteht. Auch das Kabinett kann er zur Ordnung rufen und auch mit den Parlamentsparteien sollte er öfter und in aller Öffentlichkeit Klartext reden. Auch wenn er vielleicht ein etwas anderes Amtsverständnis hat, auch wenn er sich seine Rolle anders vorstellt.

Das Fazit des rumänischen Sommers ist traurig: Von der Einheit der Nation ist im Jahr der Jahrhundertfeier nicht mehr viel übrig geblieben, der rumänisch-rumänische Krieg setzt sich unvermindert fort, die Verwirrung hat sich verallgemeinert. Man weiß gar nicht mehr, wer wen provoziert, wer wen unterstützt, wer sich für welche Ziele einsetzt, was weiß ist und was schwarz. Man hat auch den letzten Hauch an Zurückhaltung verloren, ehrwürdige Pensionistinnen beschimpfen sich auf Facebook, eine feine Dame fordert die Erschießung einer Politikwissenschaftlerin, nur weil diese geschrieben hat, dass Auslandsrumänen eher ungebildet sind und wenig lesen. Es wird an allen Fronten gekämpft, jeder gegen jeden, ziel- und wahllos, man ist sich selbst der größte Feind. Die Zeit der allgemeinen Verwirrung, die längst global angebrochen ist, hat auch Rumänien erreicht.