Ein Kulturgut und Denkmal

Die Sprachwissenschaftlerin Dr. Sigrid Haldenwang feiert heute ihren 75. Geburtstag

Dr. Sigrid Haldenwang ist meist in ihrem Arbeitszimmer im Institut anzutreffen. Foto: Hannelore Baier

Sie hat selten Zeit. Ihr Tages- und Wochenablauf ist streng geregelt. Im Mittelpunkt steht die Arbeit. Der widmet sie mehr Stunden, als der Durchschnittsbürger täglich leistet. In der Forschung gibt es keine Normarbeit. Da sie in ihrem Aufgabenbereich allein geblieben ist und das Werk zu Ende gebracht werden will, versucht sie, die Zeitnot wettzumachen. Beim Werk handelt es sich um das Siebenbürgisch-Sächsische Wörterbuch, an dessen Zusammenstellung seit über hundert Jahren meistens vier-fünf Fachleute gearbeitet haben. Das Rohmaterial dazu, die in vielen Jahrzehnten gesammelten über eine Millionen Zettel, füllen die Kästchen in einem Raum im Institut für Geisteswissenschaften in Hermannstadt/Sibiu. Dort ist Dr. Sigrid Haldenwang täglich anzutreffen. Selbst wenn sie am 15. März ihren 75. Geburtstag feiert. Solang sie kann, wolle sie weitermachen, sagt sie.

In Hermannstadt geboren, studierte Sigrid Haldenwang an der Universität Bukarest Germanistik, war zunächst Deutschfachlehrerin in Ortschaften der Umgebung von Hermannstadt und kam 1971 zum „Wörterbuch“, der seit 1956 im Rahmen des Instituts für Geisteswissenschaften bestehenden Forschungsstelle, die sie seit 1986 leitet. Sie promovierte 1999 und ist seit 2000 wissenschaftliche Mitarbeiterin I. wissenschaftlichen Grades (und hat als solche das Recht, über das Rentenalter hinaus Mitarbeiterin der Rumänischen Akademie zu sein, der das Forschungsinstitut angehört). Die Dissertation verfasste sie über „Die Wortbildung des Adjektivs in der siebenbürgisch-sächsischen Mundart“, von Band 5 (zum Buchstaben K) zu Band 10 (S-Schenkwein) zeichnet sie als Mitverfasserin des siebenbürgisch-sächsischen Wörterbuchs. Zurzeit arbeitet sie an Band 11, der die weiteren Begriffe zum Buchstaben S beinhalten wird. Den will sie zu Ende bringen. Eine Nachfolge, um die Arbeit fortzuführen, ist nicht in Sicht. Neben der Arbeit am Wörterbuch verfasst Dr. Sigrid Haldenwang Studien und Beiträge für Sammelbände im Bereich der Sprachforschung und -wissenschaft sowie für Fachtagungen, an denen sie im In- und Ausland teilnimmt. „Nebenprodukte“ ihrer Forschungen sind die „Wortklaubereien“, die monatlich in der Kulturseite der „Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien“ und in der „Hermannstädter Zeitung“ erscheinen. Dabei geht sie von einem Ausdruck aus und bietet Auskunft über Herkunft und ähnliche Verwendungen aber auch Wortwendungen, Redensarten, Aberglauben und sonst Überliefertes, in dem der Ausdruck vorkommt. Zudem ist sie präsent im kulturellen und sozialen Leben Hermannstadts, sei es als Jury-Vorsitzende des Wettbewerbs für sächsische Mundart oder als Teilnehmerin an den zahlreichen Veranstaltungen der Gemeinschaft, beziehungsweise als Mitglied in Vereinen.

Welch wichtiges Bemühen das Leben von Dr. Sigrid Haldenwang bestimmt, ist wenigen Personen bewusst. Das Siebenbürgisch-Sächsische Wörterbuch ist nämlich mehr als ein Nachschlagewerk, es ist zugleich ein Kulturgut und Denkmal der Siebenbürger Sachsen. In das Wörterbuch aufgenommen ist der Allgemeinwortschatz insbesondere des bäuerlichen Lebens, der jedoch auch dieses selbst veranschaulicht. Die Satzbeispiele werden aus dem Zettelarchiv so ausgewählt, dass sie über das rein Sprachliche hinaus für verschiedene Bereiche des Volkslebens Aussagekraft haben. Darüber hinaus sind mundartliche Volks- und Kunstdichtung, Redensarten, Sprichwörter, Vergleiche, Zaubersprüche, Heilsegen, Rätsel oder Kinderspiele belegt und anhand zahlreicher Beispiele sächsisch-rumänische sowie sächsisch-ungarische Sprachbeziehungen. Wo es sich anbietet, werden Pflanzennamen, oft mit Erläuterung ihrer Verwendung in der Volksmedizin sowie ihrer Bedeutung im Aberglauben und Ähnliches mehr, angegeben. Dadurch wird das Siebenbürgisch-Sächsische Wörterbuch zu einem Kulturgut und – angesichts der Tatsache, dass die Mundart von immer weniger Personen gesprochen wird und die siebenbürgische-sächsische traditionelle Gemeinschaft ausklingt – ein Denkmal der rund 240 Ortsmundarten. Denn das Wörterbuch dokumentiert das Volksleben der Siebenbürger Sachsen in seiner Vielfalt. Doch ist dieses Wörterbuch nicht bloß das wohl bedeutendste Werk siebenbürgisch-sächsischer Sprachgeschichte, sondern auch ein Nachschlagewerk für die allgemeine deutsche Sprachgeschichte und Mundartforschung, für die Siedlungsforschung sowie für Studien zum Sprachausgleich, zum Wesen der Sprachkontakte und Interferenzen mit den Nachbarsprachen, für volkskundliche sowie für Untersuchungen dieser osteuropäischen, mittelalterlichen deutschen Sprachinsel und deren Gemeinschaft.
Dr. Sigrid Haldenwang muss man Gesundheit und weiterhin Schaffenskraft wünschen!