„Ein Stück Normalität in einem aufgeregten Europa“

Heimattage der Buchenlanddeutschen in Suceava und Czernowitz

„Kinder malen ihre Heimat“: Antonia Gheorghiu (v. re.), Preisträgerin Mara Iliescu (Piatra Neamţ), Erwin Josef Ţigla (DFD Banater Berglanddeutsche), Museumsdirektor Constantin-Emil Ursu

Farbtupfen in der grauen Stadt: das Lokalforum Kimpolung

Antonia Maria Gheorghiu führt fröhlich den Trachtenumzug an.

Auch zu Gast im Kulturhaus: die polnische Tanzgruppe „Mala Poiana“

Ausdrucksstark und melancholisch präsentieren sich die Czernowitzer: „Liebe ist stark - stark wie der Tod.“
Fotos: George Dumitriu

Schon wieder drei Stunden lang Witze erzählen - nichts bewegt sich an der ukrainischen Grenze. Zwei Stunden waren es auf der Hinfahrt, doch nun warten wir wenigstens mit Chips und Bier in der Hand, in der letzten Tankstelle erstanden, um den Rest an Hrywni loszuwerden. Die gute Laune kann uns das nicht verderben! Suceava – Czernowitz/Cernăuţi, einmal hin und zurück. Ein Bus voller Freunde, für die es keine Grenze gibt - denn die Geschichte hat es nicht geschafft, die hier Vereinten zu trennen: die Buchenlanddeutschen in der rumänischen Bukowina und die aus der benachbarten Ukraine. Und ihre Landsleute, die aus dem Altreich, aus Siebenbürgen und dem Banat angereist sind, um gemeinsam die Heimattage der Buchenlandddeutschen zu feiern.

Es ist das 14. Heimattreffen im  Buchenland, zu dem die Vorsitzende des  Regionalforums, Antonia Maria  Gheorghiu, vom 5.-8. August nach Suceava geladen hat. Wie üblich reisen hierfür auch die Bukowinadeutschen aus der Ukraine  an, vertreten durch Alexander Schlamp. Neben dem üblichen Festprogramm lockt ein gemeinsamer Ausflug nach Cernowitz. „Dass wir wieder den Mut haben, unsere Geschichte mit unseren Brüdern im nördlichen Buchenland weiterzuschreiben, wie es unsere Vorfahren getan haben“, wünscht die Einladende und man spürt, es kommt von Herzen. Abgeordneter Ovidiu Ganţ grüßt auch im Namen des DFDR-Vorsitzenden Dr. Paul-Jürgen Porr und bemerkt:  „Das Treffen der Buchenlanddeutschen und ihrer Freunde ist ein Zeichen der Normalität in einem aufgeregten Europa.“

Heimat aus drei Perspektiven

Das Programm beginnt im Geschichtsmuseum von Suceava mit der Eröffnung der Wanderausstellung „Kinder malen ihre Heimat“. Schüler der Klassen 1-8 aus Rumänien, der Ukraine, Ungarn, Serbien, Slowenien, Polen, Kroatien, Italien, Österreich und Deutschland lassen ihrer Phantasie in dem schon zum 13. Mal vom  Demokratischen Forum der Banater Berglanddeutschen mit dem Kultur- und Erwachsenenbildungsverein „Deutsche Vortragsreihe Reschitza“ organisierten Wettbewerb freien Lauf. Die Jury, die 217 Arbeiten bewerten musste, besteht aus namhaften Kunstkritikern im Kreis Caraş-Severin. Nach ihrer Vernissage Anfang April in Reschitza gastierten die bunten Bilder bereits in Österreich und Slowenien und werden im Anschluss nach Czernowitz weiterreisen. Die phantasievollen Szenen aus Rumänien reichen vom Dorfleben in Großsanktnikolaus über Hermannstädter Sonnenblumenfelder bis zur vorweggenommenen „Kulturhauptstadt 2021 Temeswar“. Der Charme von Czernowitz entfaltet sich auf dem endlos langen Haar eines Mädchens, in dem sich Zäune, Häuser, Tiere und Schienen miteinander verflechten.

Im Anschluss präsentiert Klaus Christian Olasz die von der deutschen Botschaft mitgebrachte Ausstellung „Der Weg zur deutschen Einheit“  (siehe ADZ vom 10. 9.2015: www.adz.ro/artikel/artikel/rueckblick-und-neue-herausforderungen/). Die von der Bundesstiftung zur Aufarbeitung in Kooperation mit dem Auswärtigen Amt  realisierten Paneele wurden mittlerweile auf Rumänisch übersetzt, denn sie sollen im ganzen Land gezeigt werden, nicht nur an Orten der deutschen Minderheit, erklärt Olasz. Die Ausstellung soll an den mühsamen Prozess der Wiedervereinigung erinnern und aufzeigen, dass diese nur dank klarer politischer Visionen und nachhaltigem Handeln möglich war.  „Es ist zwar schon 25 Jahre her, aber das Thema ist immer noch aktuell - denn die Gefahr ist groß, dass man in einer dynamischen Zeit vergisst“, erklärt Olasz.  Schicksalhaft war es auch für Rumänien, weil mit dem Einverständnis zur deutschen Einheit, festgelegt im 2+4 Vertrag, der Weg zur NATO- und  EU-Erweiterung geebnet wurde.

Spannend wurde es im Vortrag von Elena Oboroceanu  vom Lokalforum Piatra Neamţ über eine Migrationsgeschichte aus dem ersten bis vierten Jahrhundert, die Europa nachhaltig prägte, untermalt durch den Dokumentarfilm „Sturm über Europa“ (ZDF). Im ersten Jahrhundert begannen die Goten, bedingt durch Nahrungsmangel im Zuge einer Klimaveränderung, ihre Heimat Gotland zu verlassen. Anfangs waren es nur vereinzelte Familien, die den Flüssen entlang in Richtung des heutigen Polen migrierten. Bis 175 n. Chr. eine geschlossene Völkerwanderung einsetzte. Bis zur Donau und zum Schwarzen Meer drangen die germanischen Stämme vor, wo sie sich in Ost- und Westgoten teilten: erstere bevölkerten den nördlichen Teil des Schwarzen Meeres und die Krim, letztere den Raum nördlich der Donau, wo sie sich 212-375 auch im heutigen Rumänien, einschließlich in Siebenbürgen, niederließen.

Die Donau bezeichnete die Grenze zum römischen Reich, das die Westgoten - zu stark, um von den Römern besiegt zu werden, und zu schwach, um sich ihrerseits mit diesen anzulegen -  als notgedrungen geduldete Verbündete sichern sollten. Erst als 375 die Ostgoten von den Hunnen besiegt und unterworfen wurden, flüchteten die Westgoten mit 100.000 Mann, darunter 25.000 Soldaten, über die Donau ins römische Reich, mit ihnen auch einige Daker. Erst verwüsteten sie den Balkan und zogen dann gen Rom. Weil Kaiser Valens ihrer Forderung nach eigenem Land nicht nachkam, zerstörten sie 410 die Hauptstadt und zogen schließlich weiter bis Spanien, wo sie – allerdings erfolglos – in die damalige Kornkammer Nordafrika vorzudringen versuchten. 418 wurde das Westgotenreich mit Hauptstadt Tolosa (Toulouse) eingerichtet. Die Goten wurden die Gründer Europas. Spuren hinterließen sie an über 500 Orten. Ihre berühmteste Hinterlassenschaft in Rumänien ist der Schatz von Pietroasele.

Gemeinsamkeit und „ein bisschen Frieden“

Im strahlenden Sonnenschein defilierten bunte Trachtengruppen von der Stadtmitte bis zum Kulturhaus: das Lokalforum aus Kimpolung/Câmpulung Moldovenesc mit ihrem Chor Edelweiß, die Buchenlandddeutschen aus Radauţi  – Die Liedertafel, der Verein der Österreich-Deutschen Kultur „Wiedergeburt“ aus Czernowitz, die Gäste aus den Lokal- und Regionalforen Altreich, Banat, Sathmar und Bistritz mit ihren Tanz- und Musikgruppe. Auf der Bühne leiten die Bläser der Fanfaregruppe Rodna mit der rumänischen und der deutschen Hymne das Kulturprogramm ein. Mit den fröhlichsten Liedern unterhielt der Kimpolunger Chor. Die Radautzer Liedertafel gab sich völkerverbindend mit der Hymne der Buchenlanddeutschen, gefolgt von einem polnischen Liebes- und einem rumänischen Volkslied. Der Chor aus Piatra Neamţ stach mit der Solo-Darbietung der erst 12-jährigen Mara Iliescu hervor, die stimmgewaltig den einst deutschen Eurovisions-Siegerschlager „Ein bisschen Frieden“ zum Besten gab – mit Gänsehauteffekt, sitzen wir doch Seite an Seite mit den Volksbrüdern aus der Ukraine. Ausdrucksstark und melancholisch auch die Gruppe aus Czernowitz mit „Liebe ist stark – stark wie der Tod“.

Am nächsten Tag werden die Czernowitzer nach Hause begleitet: Ein Tagesausflug in die geschichtsträchtige Stadt, auch „Klein-Wien“ genannt. Im Deutschen Haus erzählt Paul Pivtorak aus dem Leben der Deutschen in der Ukraine. Dann geht es in die Altstadt auf Besichtigungstour, zu der Sie herzlich eingeladen sind - auf der heutigen Tourismusseite. Und garantiert ohne Warten an der Grenze, zwei Stunden hin und drei zurück....