Ein Wunsch zum 1. Dezember 2018

Wenn dieser Tage die 100. Jährung der Vereinigung Siebenbürgens mit dem Königreich Rumänien und damit ein Jahrhundert seit Bestehen des modernen rumänischen Staates gefeiert werden, ist es wohl nicht verkehrt, aus rumäniendeutscher Sicht an ein zentrales Anliegen zu erinnern, das die berufenen Vertreter der deutschen Siedlungsgruppen auf nun rumänischem Gebiet damals, vor 100 Jahren, in ihren programmatischen Stellungnahmen wiederholt zur Sprache gebracht haben. Gemeint ist die Vision von der Zukunft dieser deutschen Siedlungsgruppen im neuen Staatsgefüge Großrumänien als „einheitliche Nation“ sowie von der offiziellen Anerkennung dieser „Nation“ durch den rumänischen Staat. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang bereits das Vokabular der Resolution, die die Nationalversammlung der Rumänen aus Siebenbürgen und den anderen mehrheitlich von Rumänen bewohnten Gebieten Ungarns am 1. Dezember 1918 in Karlsburg/Alba Iulia verabschiedet hatte. Hier ist nicht mehr, wie bis zu diesem Zeitpunkt in Ungarn üblich, von Nationalitäten die Rede, sondern von „mitbewohnenden Völkern“ (popoare conlocuitoare), denen in diesem staatsbegründenden Dokument die „volle nationale Freiheit“, das Recht der Bildung, Verwaltung und Rechtsprechung in der jeweiligen Muttersprache sowie „das Recht der Vertretung in den gesetzgebenden Körperschaften und in der Regierung des Landes im Verhältnis zur Zahl der Personen“, aus denen das jeweilige Volk besteht, zugesichert werden.


Die Erklärung von Karlsburg/Alba Iulia hat ihre Signalwirkung nicht verfehlt. Am 8. Januar 1919 verkündete eine nach Mediasch einberufene sächsische Nationalversammlung im Namen der Siebenbürger Sachsen den Anschluss an das Königreich Rumänien. In der „An unser Volk!“ adressierten Erklärung heißt es u. a.: „Das sächsische Volk, das Jahrhunderte hindurch eine verfassungsmäßige Selbstverwaltung besaß, die ihm entgegen feierlicher und gesetzlicher Zusicherung widerrechtlich entzogen wurde, erwartet (…), dass es ihm niemals unmöglich gemacht werde, sich als eine ihres Volkstums bewusste nationale und politische Einheit in aller Zukunft zu behaupten und zu entwickeln, in der Voraussetzung, dass der neue Staat ihm alles gerne bieten und geben wird, was es als seine Lebensbedingung ansieht.“ Und an anderer Stelle: „Es (gemeint ist das sächsische Volk) hofft und wünscht, dass auch die übrigen deutschen Volksgenossen im neuen Staate seinem Vorgehen sich anschließen werden, und spricht die Erwartung aus, dass die Rechte, die ihm gebühren, auch den übrigen Deutschen zuerkannt werden und dass die völkische und politische Zusammengehörigkeit aller Deutschen in dem neuen Staate anerkannt wird.“

Diese Idee der Zusammengehörigkeit aller Deutschen im neuen Staat Großrumänien wurde auch anlässlich des IV. Sachsentages, der für den 6. November 1919 nach Schäßburg einberufen worden war, in nicht zu überhörender Weise ausgesprochen. Damals wurde ein neues „Sächsisches Volksprogramm“ angenommen, dessen Artikel 2 folgenden Wortlaut hat: „Den Deutschen Großromäniens (sic!) wird durch die Schaffung eines Staatsgrundgesetzes für alle Zeiten das Recht gewährleistet, sich zur Erfüllung ihrer besonderen kulturellen, nationalen und wirtschaftlichen Aufgaben politisch als einheitliche Nation frei zu organisieren.“

Bereits anlässlich der Pfingstfeiertage des Jahres 1919 war es in Hermannstadt vom 8. bis 10. Juni jenes Jahres zu einem Treffen von Vertretern aller deutschen Minderheitengruppen in Großrumänien, mit Ausnahme der Bessarabien-Deutschen, gekommen. Bei dieser Gelegenheit wurde die Gründung des „Verbandes der Deutschen in Großrumänien“ beschlossen. In der Hauptversammlung des Verbandes, die am 18. September 1921 in Czernowitz stattfand, wurden dessen Satzungen verabschiedet. Deren erster Paragraph lautet wie folgt: „Das Deutschtum Großromäniens bildet eine einheitliche Nation, deren rechtliche Stellung durch Gesetz zu umschreiben ist. Bis zur Schaffung dieses Gesetzes schließt sich das Deutschtum Großromäniens in dem ‚Verband der Deutschen in Großromänien‘ zusammen.“
Soweit unser Rückblick auf die Vorstellungen von der Zukunft der deutschen Siedlungsgruppen in Rumänien, wie sie vor 100 Jahren formuliert wurden. Und wo stehen wir heute? Das 20. Jahrhundert hat der Gemeinschaft der rumänischen Staatsbürger deutscher Volkszugehörigkeit arg zugesetzt. Krieg und Kriegsfolgen, Deportationen ins Ausland (Sowjetunion) und im Inland (Bărăgan), Enteignungen, die kommunistische Homogenisierungspolitik in Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur, die Auswanderungslawine sind wohl die wichtigsten Stichworte, die die krasse Diskrepanz zwischen den Zukunftsvorstellungen von 1918 und der Gegenwart des Jahres 2018 kennzeichnen. Ein Minderheitenschutzgesetz konnte – es sind bald drei Jahrzehnte seit dem Sturz der kommunistischen Diktatur vergangen – noch immer nicht verabschiedet werden.

Der offizielle Diskurs ignoriert beharrlich das kollektive Selbstbewusstsein der autochthonen nationalen Minderheiten, die im Laufe der Jahrhunderte einen maßgeblichen Beitrag zur wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Entwicklung unseres Landes erbracht haben. „Rumänien gehört allen Rumänen! Obwohl verschieden, sind wir alle Rumänen und wollen gemeinsam den Weg weitergehen in einem Land, das sich die gemeinsamen europäischen Prinzipien und Werte zu eigen gemacht hat und diese respektiert“, sagte beispielsweise der Staatspräsident in einer Ansprache am 9. Oktober d. J., anlässlich einer Ordensverleihung an Überlebende des Holocaust (vgl. auch ADZ, 11.10.2018, S. 1). Das Mindeste, was sich der Verfasser dieser Zeilen in seiner Eigenschaft als rumänischer Staatsbürger deutscher Volkszugehörigkeit angesichts derartiger Äußerungen anlässlich der Hundert-Jahr-Feier der Vereinigung Siebenbürgens mit Rumänien wünscht, ist die Beachtung der Verschiedenheit, der Respekt vor dem Unterschied zwischen „Rumäne“ und „rumänischer Staatsbürger“. Andernfalls könnte geschlussfolgert werden, dass Ceaușescus Homogenisierungspolitik doch noch erfolgreich war. Und das schneller, als Ceaușescu sich das vermutlich selber vorgestellt hatte…