Eine dritte Straßenbahn für Kronstadt?

Kleine Geschichte des öffentlichen Schienenpersonentransports in Kronstadt

Kronstadt vom Schlossberg aus gesehen: von der Bildmitte aus führt die Strecke in Richtung Schwarze Kirche bis auf den Rossmarkt, rechts nach unten in die Langgasse bis nach Bartholomä und nach links, an der Baumreihe vorbei, entlang der „Promenade“ stadtauswärts bis nach Siebendörfer.

Postkarte mit dem heutigen Rathaus und zwei sich kreuzenden Zügen. Ganz rechts ist die Fassade der Holzstation für Fahrscheine und mit Wartehalle.
Fotos: KR Archiv

In den letzten Jahren ging öfters durch die Lokalmedien Kronstadts die Meldung, dass ein neues Straßenbahnnetz in Erwägung gezogen wird, um dadurch den Personentransport zu entlasten. Doch zu den wichtigsten Daten des heutigen Personentransportes, wie Anzahl der Fahrgäste, Stoßzeiten, Hauptrichtungen des Personenverkehrs oder gar zur Art seiner Zusammensetzung, aus Schülern, Beamten, Unternehmensangestellten und Privatpersonen wurde nichts vorgelegt, um überhaupt einen Vorschlag für eine Hauptstrecke auszuarbeiten.
Vorliegender Beitrag beabsichtigt keinesfalls die oben genannten Daten zu erörtern und schon gar nicht die Notwendigkeit einer städtischen Straßenbahn zu rechtfertigen, bevor aber solch ein teures Projekt überhaupt vorgeschlagen wird, sehen wir einmal, welches die Umstände waren, die dazu führten, dass Kronstadt seit 1892 zwei Straßenbahnstrecken baute, und doch keine in Betrieb geblieben ist.

Im Januar 1889 vollendete der damalige Stadtingenieur Christian Kertsch die Broschüre „Die Dampftrambahn in Kronstadt (Siebenbürgen)“, um sie noch im selben Jahr in der Druckerei von Johann Gött & Sohn Heinrich zu veröffentlichen. Stadtingenieur Kertsch versuchte auf den 56 Seiten der Broschüre, den dem Projekt skeptisch entgegenstehenden Kronstädtern die Vorteile eines öffentlichen Transportmittels zu erklären und stellte eingehend verschiedene technische Details sowie eine geplante Trasse vor. Zu den Vorteilen zählte Christian Kertsch die Erleichterung des Verkehrs, kürzere Zeiten für längere Strecken und nahm als Vergleich Zahlen von beförderten Personen aus Deutschland, England und Österreich-Ungarn hinzu: England, 1886 noch der Weltindustriestaat schlechthin, führte mit über 400.000 gegenüber knapp über 80.000 Fahrgästen in Österreich-Ungarn.
Die Argumente von Christian Kertsch überzeugten trotzdem, und 1892 nahm die konzessionierte Dampftrambahn ihren Betrieb auf; sie verband die Altstadt mit der Inneren Stadt (eine Linie von Bartholomä bis zur Ecke Marktplatz/Rossmarkt) und hatte eine Hauptstrecke, welche vom damals erst abgetragenen Stadttor der Klostergasse über die Promenade, durch die Blumenau in Richtung der später wachsenden Zementfabrik, in den Vorort Noa und von dort über Dirste und Cernatu bis nach Siebendörfer führte.

Wer benutzte die Dampftrambahn mit Waggons I. und II. Klasse, die einen mehr als eigenartigen Fahrplan hatte? Sie fuhr täglich nur bis 20 Uhr und an Markttagen nur ab 15 Uhr, um die Pferdewagen, welche zum Marktplatz kamen, nicht zu stören! Die Händler der Vororte brachten ihre Ware weiterhin die 17 Kilometer – so weit reichte die Bahnstrecke – mit dem Pferdewagen auf den Markt. Erst später, als die Industriewelle Kronstadt erfasste, stellte sich der Pendlerverkehr ein und die Dampftrambahn beförderte auf der Strecke Bartholomä/Siebendörfer auch einen steigenden Anteil von Gütern.   
1927 wurde der erste Streckenabschnitt geopfert, es war der von der Promenade bis auf den Rossmarkt und 1933 wurde auch die Langgasse für den steigenden Automobilverkehr geräumt. 1937 führte die Linie nur noch bis auf den Schielplatz, wo sie bis 1960 bestand. Schon zehn Jahre vorher hatten Busse und später Trolleybusse den öffentlichen Verkehr vollständig übernommen und erwiesen sich als viel flexibler und leichter anpassbar an das sich rasch entwickelnde Straßennetz, welches einer durchfahrenden Dampftrambahn keine Vorfahrt mehr geben wollte.

Der Traum des Christian Kertsch – den Kronstädtern ein schnelles und komfortables öffentliches Transportmittel zu geben – hatte sich nicht erfüllt: die Bewohner der Inneren Stadt rümpften die Nase ,wenn sie von der Dampfbahn hörten, und in der Langgasse und Umgebung war zu wenig Industrie angesiedelt, um hier wirtschaftlich von Nutzen zu sein. Nur für das Industriegebiet zwischen der Blumenau und der Johanniswiese wurde sie bis 1960 am Leben gehalten, dann sorgten die Kosten für die Instandhaltung der Strecke und die Behinderung des Autoverkehrs endgültig für ihre Abschaffung. Die zweite Straßenbahnlinie der Stadt – elektrisch betrieben ab dem 23. August 1987 – sollte ein viel kürzeres Leben haben als die Dampftrambahn: nur bis 2006. Entstanden war sie aus der Notwendigkeit heraus, ein relativ sicheres Transportmittel zwischen den damals wichtigsten Stadtteilen zu haben: dem Viertel der Traktorenbauer und dem der LKW-Bauer, beide Großunternehmen mit sehr vielen Mitarbeitern in Schichtbetrieb. Die Strecke verband die Werke „Roman“ (28.000 Mitarbeiter) und „Tractorul“/„Rulmentul“/“Hidro II“ (zusammen knapp 50.000 Mitarbeiter) mit dem Hauptbahnhof, über den sich zu Schichtbeginn und Schichtschluss über 20.000 Pendler wälzten, Zahlen, welche heute kaum mehr vorstellbar sind.

Technisch hatte die zweite Straßenbahn sehr viele Mängel, an erster Stelle die Fahrbahn. Diese war in Form von Betonplatten mit eingelassenem Schienenauflager gebaut worden. Allerdings auf einem Straßenbett, welches nicht für solch ein Gewicht und schon gar nicht für solche Vibrationen ausgelegt war, wie sie die Straßenbahn erzeugte. An den Hauptkreuzungen musste die Fahrbahn ständig repariert werden, was die Betriebskosten untragbar machte.
Die Züge selbst waren aus minderwertigem Werkstoff, das Blech viel zu dünn, um der mechanischen Belastung Stand zu halten, die Beleuchtung war fast immer kaputt, Heizung gab es keine und die Antriebsmotoren schmorten dauernd durch. Als nach 1990 die ersten ausgemusterten Züge städtischer Straßenbahnen aus der Umgebung von Genf zum Einsatz kamen, schafften innerhalb weniger Jahre die Großunternehmen der Stadt ihr Personal ab und es gab bald keine Fahrgäste mehr. 2006 konnte die Straßenbahn auch mit massiven Zuschüssen seitens der Stadt und übertrieben teuren Fahrscheinen nicht mehr am Leben erhalten werden. Auch die zweite Stadtbahn war überflüssig geworden.
Für den öffentlichen und privaten Verkehr folgten einige Jahre der Behinderungen durch Baustellen, doch heute kann man von einem bedeutend besseren Zustand der Straßen sprechen, auch deshalb, weil es keine Schienen für Straßenbahnen mehr gibt.