Eine frische Idee für die Jahrhundertfeier

Professoren der West-Universität über die Zahl 100

Otilia Hedeșan: „100. Gânduri și ipostaze“, Editura Universității de Vest, Timișoara, 2018.

Zahlreiche Gedenkveranstaltungen, feierliche Stunden, Kranzniederlegungen, Tagungen und Publikationen: Rumäniens politische und geistige Elite absolviert in diesem Jahr ein vielseitiges Programm aus Anlass der Jahrhundertfeier. Namhafte Verlage bringen ganze Buchreihen auf den Markt, an den Geschichts-, Wirtschafts- oder Rechtsfakultäten steht fast jede Konferenz unter dem Motto des „Centenar“, der hundert Jahre, die seit dem annus mirabilis 1918 vergangen sind.

An der West-Universität Temeswar hat sich die bekannte Rumänistin Professor Dr. Otilia Hedeșan, die nicht nur das Zentrum für Doktoratsstudien der Universität leitet, sondern im Bereich der tourismusfördernden Zusammenarbeit zwischen dem rumänischen und serbischen Banat tatkräftig mitwirkt, etwas Besonderes ausgedacht. Sie hat 15 Intellektuelle überzeugt, über die Zahl „100“ aus der Perspektive ihres Fachs zu schreiben, und die sehr unterschiedlichen Texte unter dem Titel „100. Gânduri și ipostaze“ in einem Buch vereint, das Mitte April im Universitätsverlag erschienen ist.

Zehn Autoren sind an der Temeswarer West-Universität tätig, sie forschen und unterrichten an den Fakultäten für Recht (Doz. Dr. Raluca Bercea), Physik (Doz. Dr. Mădălin Bunoiu), Wirtschaft (Professor Dr. Bogdan Dima), Geschichte (Professor Dr. Vasile Docea), Geografie (Assistent Dr. Alexandru Drăgan), Mathematik und Informatik (Doz. Dr. Marc Frîncu und Professor Dr. Gabriel Istrate), Philologie (Professor Dr. Otilia Hedeșan, die den Band herausgegeben hat, sowie Professor Dr. Dan Negrescu) und Kunst (Doz. Dr. Liliana Mercioiu Popa). Es kommen hinzu zwei Physiker der Universität Bukarest (Virgil Băran und Alexandru Nicolin), der Dichter und Übersetzer Șerban Foarță, der Journalist Cristian Pătrășconiu, der Schriftsteller und Publizist Radu Pavel Gheo sowie der Mediziner Dorel Săndesc. Sie alle sollten zwei Fragen nachgehen, nämlich was die Zahl 100 sowie eine Zeitdauer von 100 Jahren bedeuten und diese Fragen in Bezug auf ihr Fach, auf ihren Beruf beleuchten. Die Herausgeberin, die der Frage aus der Perspektive der traditionellen rumänischen Kultur, der Folklore und des rumänischen Sprichwortschatzes nachgegangen ist, scheint den Autoren volle Freiheit gelassen zu haben, sodass über die Suche nach den richtigen Antworten auf die gestellten Fragen hinaus kein Muster zu erkennen ist. Das ist begrüßenswert, denn die Vielseitigkeit des Büchleins trägt wesentlich zum Genuss der Lektüre bei, man folgt entspannt dem intellektuellen Spiel der Autoren, das sich diese mit den Bausteinen ihrer verschiedenen Fächer gönnen.

Ein typisches Foarță-Gedicht dient als Einleitung, sodann wird es aber ernst: Doz. Dr. Raluca Bercea, die an der Temeswarer Rechtsfakultät Europarecht und vergleichende Rechtswissenschaften unterrichtet, spricht gekonnt über die Einstimmigkeit im Recht, ein Thema, das einfacher scheint, als es sicherlich ist. Die Physiker Bunoiu, Băran und Nicolin schreiben über die bahnbrechende Entwicklung ihres Fachs im vergangenen Jahrhundert und bieten Laien einen schönen Einstieg in die Geschichte ihrer oft im Rampenlicht stehenden Wissenschaft. Finanzwissenschaftler Bogdan Dima liefert einen Erklärungsansatz für die ökonomische und gesellschaftliche Rolle des Geldes; er geht dabei von dem stets berühmten Hundert-Lei-Schein aus und ruft schließlich Caragiale zu Hilfe, geht es am Ende doch nur um die Überwindung der rumänischen Rückständigkeit, dem Dauerbrenner unter den Dilemmata einheimischer Eliten.

Vasile Docea analysiert das unstete 20. Jahrhundert, er schreibt über Zeitgeschichte und Zeitgeist und über die Rolle des Historikers. Alexandru Drăgan setzt sich mit dem schwierigen Thema der Grenzen auseinander und erklärt, wie das Banat 1919 - 1920 zwischen Rumänien, Jugoslawien und Ungarn geteilt wurde, als rumänische und serbische Geografen unterschiedliche Lösungen vorgeschlagen hatten, die schließlich durch den Franzosen Emmanuel de Martonne auf einen gemeinsamen Nenner gebracht werden konnten. Über die Bedeutung der Zahl 100 in der Astronomie schreibt Marc Frîncu, für den Mathematiker Gabriel Istrate ist 100 = 22 x 52. Der Latinist Dan Negrescu erörtert die ungeklärte Herkunft des rumänischen „suta“, dessen Abstammung nicht auf das lateinische „centum“ zurückgeführt werden kann. Über die Irrungen und Wirrungen der heutigen Medien schreibt der Journalist Cristian Pătrășconiu, über die Persönlichkeiten, die verschiedene Banknoten im Laufe der Geschichte geziert haben, spricht mit viel Humor der bekannte Schriftsteller Radu Pavel Gheo. Es geht um Clara Schumann und den weit über die deutschen Grenzen geschätzten und gleichzeitig gefürchteten bundesrepublikanischen Hundert-Mark-Schein, es geht um kommunistische ungarische Forint und um Ceaușescus berühmte hundert Lei, in Blau, mit den Abbildungen von Nicolae Bălcescu und dem Bukarester Athenäum. Der Arzt Dorel Săndesc schließt den Band ab mit ein paar Gedanken über Leben und Tod und über die Bedeutung der Zahl 100 in der Medizin. Für die grafische Gestaltung des Bandes ist Liliana Mercioiu Popa verantwortlich.

Es ist also ein entspannendes Büchlein, eine angenehme Lektüre, die mit der hohlen Tradition der trockenen, nie zu Ende gedachten und gelesenen Jubiläums- und Gedenkbücher bricht und eigene Wege geht.