Eine Nichtregierungsorganisation im Einsatz gegen Menschenrechtsverstöße

Marian Mandache hält einen Vortrag bei der Konferenz „Realizing Roma Rights“ des François-Xavier Bagnoud Zentrums für Gesundheit und Menschenrechte.

Proteste gegen die Mauer in Baia Mare
Fotos: Romani CRISS

Die prekäre Lage der Roma in Rumänien ist allseits bekannt. Im Laufe der Jahre haben sich einige Nichtregierungsorganisationen der Unterstützung der Roma verschrieben. Dazu gehört Romani CRISS, eine NGO, die ihre Hauptaufgabe in der Verteidigung von Menschenrechten sieht.

Ihr erfolgreichstes Projekt ist das Mediatorenprogramm, das bereits seit den 90er Jahren durchgeführt wird. Dabei werden Roma - meistens Frauen, da das Gewaltpotenzial ihnen gegenüber niedriger ist - ausgebildet, um als Mediatoren zwischen Roma-Gemeinden und Behörden zu vermitteln. Sie helfen, Dokumente zu organisieren, um den Eintritt ins Schul- und Gesundheitssystem zu ermöglichen, registrieren Schwangerschaften, suchen Hausärzte für Mitglieder der Roma-Gemeinde, überzeugen Eltern, ihre Kinder zur Schule zu schicken oder sprechen mit Behörden und der Schulleitung, wenn über Diskriminierung geklagt wird.

Das Programm war so erfolgreich, dass sich Partnerschaften zwischen Romani CRISS und den Ministerien für  Bildung, Gesundheit und der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung OECD ergaben, die es landesweit ausweiteten und die Zahl der Mediatoren von anfangs zehn bis zwanzig auf je 400 wuchs. Das Modell wurde zudem in Spanien, der Ukraine, Bulgarien und anderen europäischen Ländern übernommen. Zwar können die Mediatoren mittlerweile häufig nicht mehr fest angestellt werden, jedoch werden sie immer kostenlos geschult.

Weitere Projekte sind: wissenschaftliche Publikationen und Engagement in den Bereichen Bildung und Gesundheit. Dabei werden zum Beispiel Unterricht und kulturelle Aktivitäten für Kleinkinder von null bis sechs Jahren sowie Nachhilfeunterricht für Kinder von sieben bis vierzehn Jahren angeboten. Auch Lehrertrainingsprogramme finden statt, damit diese für den Umgang mit Diskriminierung vorbereitet sind und eine aufklärende Rolle übernehmen können. Jugendliche aus den Kollegstufen werden eingebunden, um sich in Projekten wie z.B. „Roma Pride“ für Aufklärung und gegen Diskriminierung einzusetzen. Eine weiterer Aspekt ist, Menschen zu ermutigen, selbst aktiv zu werden und sich für ihre Rechte zu engagieren.

Menschen brauchen konkrete Hilfe

In dem Monitoring-Netzwerk von Romani CRISS werden Fälle von Diskriminierung sowie Zeugenaussagen aufgenommen, oder in Gewaltfällen medizinische Gutachten erstellt. Aus diesen Dokumenten entstehen Akten, die als Entscheidungsgrundlage dienen, für wen Anwälte  finanziert werden können. Damit soll Betroffenen konkret geholfen werden. „Momentan können wir allerdings nicht viele Fälle annehmen“, bedauert Geschäftsführer Marian Mandache. Grund ist, dass die Finanzierung aus EU-Mitteln keine Möglichkeit für konkrete Hilfe vorsieht. So ist zwar der Druck von Flyern für Aufklärungsarbeit möglich, nicht jedoch, einen Anwalt zu bezahlen, um eine Schule wegen Segregation zu verklagen.

„Dafür steht uns einzig der ‚Norwegian Fund‘ zu Verfügung. Wenn aber Segregation in Schulen trotz gesetzlichen Verbots stattfindet oder Roma aufgrund einer Zwangsevakuierung auf der Straße landen, hilft ein Flyer oder Fernsehspot den Menschen nicht. Das ist eine gute Ergänzung, aber die Leute brauchen konkrete Hilfe, einen Anwalt oder ein Zuhause“, erklärt Mandache und fügt an, dass trotz gesetzlichen Verbots ca. 25 Prozent der Roma-Kinder Opfer von Segregation an Schulen sind. Zwar ist die Eliminierung von Segregation als Ziel der EU verankert, doch gibt es weder Mittel dafür noch eine konkrete Strategie. Eine NGO, die keine finanzielle Entscheidungen treffen kann, kann mit ihren 20 Leuten die Masse der Betroffenen natürlich auch nicht verteidigen. Weil aber viele Fälle nicht eingeklagt werden, bleibt auch die Rechtslage schwierig.

Rechtliche Unklarheit zur Diskriminierung

„Die Gerichte wissen häufig nicht einmal, was Diskriminierung genau ist. Deswegen fallen Entscheidungen mal so und mal so aus. Mehr Kläger würden die Justiz zwingen, eine klarere Definition zu finden“, erläutert der Menschenrechtler. Zwar lief die Klage wegen Diskriminierung von Romani CRISS gegen Präsident Băsescu, der eine Reporterin als „stinkende Zigeunerin“ beleidigte, erfolgreich. Ministerpräsident Ponta wurde jedoch zweimal mit dem Argument der Meinungsfreiheit freigesprochen, nachdem er Roma als grundsätzlich kriminell bezeichnete. Auch der ehemalige Ministerpräsident Tăriceanu bediente Stereotype mit der Aussage, Roma seien kriminell - und kam mit einem Freispruch davon. Als der Journalist Cristian Tudor Popescu den selben Wortlaut verwendete, wurde er wegen Diskriminierung mit einer Geldstrafe von 2000 Lei belegt. Die Justiz misst mit zweierlei Maß. Bei Politikern wird eher mal ein Auge zugedrückt.

„Medien und Politik fördern eine rassistische Haltung durch die Bildung von Stereotypen. Dabei tritt Kriminalität oder Korruption bei allen Nationalitäten auf. Wenn jemand kriminell wird, spielen komplexe Faktoren eine Rolle - das Umfeld, politische und wirtschaftliche Bedingungen, sozialer Status, Erziehung. Das ist keine ethnische Frage“, erklärt Marian Mandache. Wie sehr der Rassismus  verankert ist, zeigt die Mauer von Baia Mare, die dem Bürgermeister sogar noch Sympathien einbrachte und gegen die Romani CRISS sich in Zusammenarbeit mit „Amnesty International“ in einem offenen Brief und mit Protesten aussprach.

Auf politischer Ebene kaum Unterstützung

Der Handlungsspielraum von NGOs ist limitiert, man kann kaum mehr als Symptome lindern. Um Veränderung zu bewirken, benötigt es Hilfe von oben. „Doch die Politik will nichts unternehmen. Das heißt nicht zwingend, dass Politiker Rassisten sind, aber ihre Interessen liegen in anderen Bereichen, als sich mit der Situation der Roma auseinanderzusetzen“, klagt Mandache.
Mit nur einem Sitz zur Vertretung der Roma-Minderheit im Parlament gibt es keine politische Macht. Das führt dazu, dass es so gut wie keine Erfolge auf politischer Ebene gibt. „In den letzten 20 Jahren konnten nur zwei Gesetze für Menschenrechte auf den Weg gebracht werden. Ohne die Unterstützung von NGOs oder den Druck anderer Länder wären selbst diese nicht zu Stande gekommen“, erklärt er. Dabei geht es in vielen Fällen nicht einmal darum, finanzielle Mittel bereitzustellen. „Roma-Geschichte und Kultur wird im Unterricht höchstens in einem Satz erwähnt und ist damit nicht existent. Vorurteile mit Flyern zu bekämpfen, erreicht zu wenige Menschen. Bietet man hingegen schon in der Schule facettenreiche Informationen an, kann ein Umdenken stattfinden. Es geht nicht um kostenfreies Essen für Roma-Kinder, sondern nur um einen veränderten Lehrplan, um nötige Information anzubieten“, erläutert der Menschenrechtler.

Einfachste Lösung: nicht mehr diskriminieren

Marian Mandache sieht den Weg aus der Misere darin, Faktoren zu verbinden. Aufklärung allein bietet keine Lösung. Die meisten wissen bereits, dass Roma zwischen der fünften und achten Klasse die Schule abbrechen oder in der Regel 10 Jahre kürzer Leben. Auf politischer Ebene könnten simple Veränderungen große Wirkung zeigen, doch den Richtlinien zur Inklusion fehlt es am praktischen Element. „Wenn man helfen will, dann sollte es nicht so bürokratisch sein. Der Zugang zu Jobs, die keine besonderen Fähigkeiten erfordern - etwa wenn jemand Metall oder Flaschen sammeln möchte - sollte erleichtert werden. In der Regel wird eine Ausbildung über 360 oder 720 Stunden gefordert, bis man einem Beruf nachgehen darf - ein zu langer Zeitraum für jemanden, der auf das Geld angewiesen ist. Schrottsammler erhalten nur Lizenzen, wenn eine feste Adresse vorhanden ist. Viele Stellen, etwa für Metallbauer, bleiben in Rumänien unbesetzt. Dabei könnte etwas mehr Flexibilität eine Lösung sein. Außerdem sollte die behördliche Registrierung in der Gemeinde  kostenfrei sein. Eine alleinerziehende Mutter mit vier Kindern kann die Kosten in der Regel nicht bewältigen. Spätestens bei der Einschulung ergeben sich dann Probleme.“

Im Jahr 2010 konnte Romani CRISS rund 20.000 Menschen helfen. Auch wenn sich der Erfolg nur in kleinen Schritten zeigt, will man weiterkämpfen. Ginge es nach Marian Mandache, wäre es schon eine große Hilfe, einfach nichts mehr zu tun. Nicht mehr zu diskriminieren. Nicht mehr Menschen wie Tiere auf die Straße zu setzen. Eine ganz und gar kostenlose Maßnahme.