„Eine potenzielle Kulturhauptstadt muss ausstrahlen“

Gespräch mit der Temeswarer Journalistin und Universitätsprofessorin Dr. Brînduşa Armanca

Brînduşa Armanca ist auch Mitglied des Rumänischen Schriftstellerverbands. Ihr jüngstes, zusammen mit ihrer langjährigen Freundin und Schulkameradin Ioona Rauschan verfasstes Buch „Abolirea timpului buimac“ (Die Abschaffung der benommenen Zeit) ist in diesem Jahr erschienen.
Foto: privat

Arad, Bacău, Brăila, Bukarest, Craiova, Frauenbach/Baia Mare, Jassy/Iaşi, Karlsburg/Alba Iulia, Klausenburg/Cluj-Napoca, Kronstadt/Braşov, Neumarkt/Târgu-Mureş, Sankt Georgen/Sfântu Gheorghe, Suceava und Temeswar/Timişoara sind die 14 Städte, die vor Kurzem ihre Unterlagen für die Kandidatur im Hinblick auf den Titel Kulturhauptstadt Europas 2021 eingereicht haben. Bis morgen werden die Städte für die „kurze Liste“ ausgewählt. Über die Chancen Temeswars, den Titel Europäische Kulturhauptstadt 2021 zu gewinnen, sprach die ADZ-Redakteurin Iulia Sur mit der Journalistin, Hochschullehrerin, Buchautorin und ehemaligen Leiterin des Rumänischen Kulturinstituts in Budapest, Dr. Brînduşa Armanca.

Welche Chancen hat Temeswar, Europäische Kulturhauptstadt 2021 zu werden?

Ich hatte die Gelegenheit, mich mit einem potenziellen Jurymitglied bei der Auswahl der rumänischen Kandidaten zu unterhalten. Seinen Namen werde ich nicht nennen, denn das Gespräch war vertraulich bis zu einem gewissen Grad. Und ich habe ihn gefragt: „Hat Temeswar eine Chance? Wie ist die Akte? Zweifelslos wissen wir nicht, was die Akte enthält, das gehört nicht zu unserem Zuständigkeitsbereich. Was Temeswar jedoch von Anfang an falsch gemacht hat, war, nicht einzusehen, dass Temeswar nicht das Dach der Welt ist, und eine potenzielle Kulturhauptstadt muss ausstrahlen.

Was verstehen Sie unter ausstrahlen?

Eine Kulturhauptstadt muss um sich herum ausstrahlen und die gesamte Region miteinschließen. Dieses Defizit bemerkte ich, als ein berühmtes Jazzfestival – Gărâna/Wolfsberg Jazz – aus dem Leben Temeswars gestrichen wurde, obwohl es von einem Temeswarer organisiert wird und auch das ständige Publikum vorwiegend aus Temeswar kommt: Diejenigen, die alljährlich daran teilnehmen, sind Temeswarer. Sicher, auch das Publikum ist gemeinsam mit dem Festival immer größer geworden. Ich sagte damals, als man es strich, dass man sich so ein bestätigtes, angesehenes und international anerkanntes Kulturprodukt wie eine Blume ans Revers der potenziellen Kulturhauptstadt heften und es sich aneignen sollte, denn es ist eigentlich ein Kulturprodukt der Region, auch wenn es im Semenik-Gebirge stattfindet. Diejenigen, die das Konzept Kulturhauptstadt erarbeitet haben, hätten die besten Kulturprodukte der Region miteinbeziehen sollen, unabhängig ob sie aus den Kreisen Temesch/Timiş, Arad oder Karasch-Severin/Caraş-Severin kommen. Die gesamte Westregion sollte in dieser Idee vereint werden, so wie im Falle der „Art Encounters“, der „Kunstbegegnungen“, die gleich in die benachbarten Gegenden ausgestrahlt haben. Das ist ein Mehrwert. Wir können nicht glauben, nicht nur darauf beharren, dass es nur Temeswar gibt. Das ist eine Art von Egozentrismus.

Innerhalb der Biennale Art Encounters wurden auch Kunstgalerien aus anderen Städten miteinbezogen.

Genau. Im Endeffekt bedeutet eine Kulturhauptstadt nicht gerade das? Alles Wertvolle im Bereich der Kultur aus der entsprechenden Gegend um diese Kulturhauptstadt aufzubauen, zu entwickeln und dann vorzustellen? Ich finde, das Fehlen dessen ist ein Minuspunkt, mit dem das Konzept Temeswars als Kulturhauptstadt begonnen hat und ich glaube, dass nicht nur ich, sondern auch andere diesen Schwachpunkt bemerkt haben, auch diejenige, die die Auswahl der Städte treffen. Ein zweiter Punkt ist, dass es der Idee Europäische Kulturhauptstadt nicht gelungen ist, alle kulturellen, intellektuellen und kreativen Kräfte Temeswars zusammenzubringen, sie zu fokussieren. Ich bemerkte, dass die Dinge irgendwie getrennt, stückweise durchgeführt wurden. Sicher hat man sich bemüht, aber der notwendige Enthusiasmus bei einem solchen Aufbau fehlt. Vielleicht sind die Temeswarer skeptischer oder die Veranstalter konnten nicht genügend überzeugen oder alles zusammen, aber der notwendige Enthusiasmus, der Aufwind schafft, ist einfach nicht da. Und ein solches Projekt kann man ohne Aufwind nicht durchführen.

Was verstehen Sie unter Aufwind?

Es kann eine Idee sein, die wächst und von diesem gemeinsamen Aufwind der Kulturmenschen, der Bürger der Stadt, die an dieses Projekt glauben und es sich wünschen, animiert wird. Ein weiterer Minuspunkt der Idee Europäische Kulturhauptstadt wäre das Herumtasten hinsichtlich des Konzeptes. Zuerst ging es um Evolution/Revolution – etwas zu anspruchsvoll, dann um „Channels“, die Kulturkanäle, wegen des Bega-Kanals u. Ä., und schließlich um das Licht, die Beleuchtung. Sicher wurzeln alle in der Kultur und Zivilisation des Ortes, aber all dies sind irgendwie bemühte Ideen, Versuche. Die „große Idee“ jedoch ist immer noch nicht zum Vorschein gekommen. Sicher wünsche ich mir für diese Stadt, dass sie den Titel gewinnt, und nichts wäre vorteilhafter für eine Stadt wie Temeswar, als diesen Titel zugesprochen zu bekommen, denn das Potenzial der Stadt kann in Zukunft die kulturelle Infrastruktur, die mit dem Gewinn eines solchen Titels kommt, anwenden. Meiner Meinung nach wäre es ein großer Fehler seitens derjenigen, die bewerten und die Auswahl treffen, den Titel einer kleinen Stadt zu verleihen. Es sind 14 Städte, die am Wettbewerb teilnehmen, darunter auch kleine Städte.

Warum sollte man diesen Titel nicht einer kleinen Stadt verleihen?

Zufällig habe ich eine Erfahrung in dieser Hinsicht gemacht. 2009 war Pécs in Ungarn Europäische Kulturhauptstadt und erhielt großzügige Fonds, mit denen sie Unglaubliches aufbaute: ein Haus der Musik, ein Haus der Wissenschaft, sie stellte den gesamten Zsolnay-Baukomplex wieder her und verwandelte ihn in einen Baukomplex für Kunst, Ausstellungen, sie errichtete sogar die Autobahn von Budapest bis Pécs. Etwas Wunderbares! Pécs ist eine kleine Stadt, eine multikulturelle Stadt wie Temeswar, sie hatte diese Vorteile und hat gewonnen. Das Problem ist, dass sie, nachdem sie diese wunderbaren Sachen errichtet haben – es sind seitdem Jahre vergangen – all das nicht mit Leben erfüllen können, denn obwohl es eine Universitätsstadt ist, kann man nicht auf so viel Publikum hoffen. Da die Stadt etwas abseits, am Rande Ungarns gelegen ist, kann man nur mühsam ein Publikum von außerhalb anziehen, sagen wir die Budapester. Dies zeigt, wenn man einer kleinen Stadt diese Chance bietet, dann wird ein Teil davon verschwendet. Meiner Meinung nach wäre es wünschenswert, eine größere Stadt zu wählen, egal ob es Klausenburg, Temeswar oder Jassy ist, die in Zukunft diese Wohltaten der Kultur auch lebendig erhalten können, seien es nun Kulturinstitutionen, Infrastruktur, Theater oder was diese Städte eben aufbauen möchten und was ihnen fehlt. Wenn jemand so denken würde, dann würde er an die Auswahl einer größeren Stadt denken, einer Stadt, die sich entwickelt, die nach oben strebt, nicht eine Stadt, die sich in einem Status-quo befindet, denn in einer kleinen Stadt geht in der Regel die Industrie und sie hat eine unsichere Zukunft.

Wer ist der stärkste Gegner Temeswars?

Oh! Als Journalistin habe ich mir ein wenig die Internetseiten der Kandidaten-Städte angesehen. Manche Seiten sind ein Scherz, wie beispielsweise die Homepage von Craiova, wo man gar nichts finden konnte.

Sie haben vor, einen Constantin-Brâncuşi-Pavillon zu errichten...

Sehr schön. Das ist wünschenswert, aber man muss auch etwas vorzeigen und mir kam es nicht so vor, als würden sie es ernst meinen. Das Konzept von Klausenburg fand ich jedoch sehr gut und intelligent verfasst, aber vor allem schien es realistisch zu sein. Man kann wunderbare Sachen auf dem Papier festhalten, aber es stellt sich die Frage, ob sie auch machbar sind. Interessant ist auch Jassy, das Projekt der Stadt Brăila ist ebenfalls nicht schlecht, mir kam es sehr seriös konzipiert vor – nach den allgemein zugänglichen Informationen, denn ich hatte keinen direkten Zugang.
Das Projekt von Klausenburg kenne ich, weil ich bei einer Konferenz in Lemberg, im heutigen Lwiw in der Ukraine war, wo auch die Klausenburger ihr Projekt vorgestellt haben. Ich bemerkte, dass es sehr intelligent konzipiert war, ohne formelle Dinge. Im Projekt waren auch die Schwachstellen von Klausenburg mit eingebunden, z. B. Pata Rât, eine Art Peripherie, die ehemalige Mülldeponie, wo die Roma wohnen. Sie haben auch Pata Rât in ihr Projekt integriert, was kulturelle Entwicklung bedeutet, d. h. alle Gemeinschaften aus dem „Müll“ herauszuholen, inklusive die benachteiligten oder diejenigen, die eine andere Kultur haben.

Temeswar, z. B., hat dies nicht getan...

Nein. Ich war auch bei der einen oder anderen Diskussion, bei Brainstormings dabei, und wir sprachen über die Tatsache, dass die Roma-Paläste, die wir haben, eine Realität darstellen. Wir können alles Mögliche sagen, aber sie existieren und ich denke, es wäre interessant, sie nicht zu ignorieren, sondern sie in irgendeiner Weise zu integrieren. Auch die Architekten waren derselben Meinung. Sicher, es ist nicht einfach, wenn man ein Konzept dieser Art erarbeiten möchte, besonders da wir uns immerfort mit der Multikulturalität, mit unserer netten Art, miteinander umzugehen, rühmen...

Wir sind bekannt für unsere Toleranz...

Das ist ein Wort, auf das ich seit einiger Zeit verzichtet habe, es ist herablassend. Ja, weiß ich, man hätte noch Dinge integrieren können. Aber die Zeit ist knapp, das Projekt kann nicht gerade all das, wovon wir träumen, einschließen. Wir werden sehen.