Eine Stimme für Europas Minderheitenzeitungen

MIDAS als Netzwerk für Ideenaustausch und Lobbying in Brüssel

Ideenaustausch, Vorträge, Exkursionen und das Kennenlernen einer lokalen Minderheit gehören zum Programm der jährlichen MIDAS-Treffen.

Für ihre Kinderseite „Zeit-ung“ – auf dänisch bedeutet dies „cool - jung“ – heimsten Ina Grøning (rechts), Lise Christoffersen (links) und Eyla Both (Mitte) von „Flensborg Avis“ den MIDAS-Preis ein.

Auch Inoslav Bešker (links) strahlt beim Empfang des Otto-von-Habsburg-Preises, überreicht vom Habsburg-Enkel Severin Meister (rechts). Im Hintergrund: MIDAS-Gründervater Bojan Brezigar.
/ Fotos: George Dumitriu

Vom 14.-17. Mai fand im kroatischen Küstenort Opatija die jährliche Versammlung der Vereinigung der europäischen Minderheiten-Tageszeitungen MIDAS statt. Derzeit hat MIDAS – mit einem aktuellen Neuzugang, der ungarischsprachigen Zeitung „Nyugati Jelen“ aus Rumänien mit Sitz in Arad – 26 Mitglieder, darunter auch deutschsprachige Tageszeitungen aus Südtirol/Italien, Dänemark oder der Schweiz, mit denen ein Artikelaustausch zu interessensübergreifenden Themen stattfindet.

Neben dem Teilen von Informationen und Erfahrungen bietet das MIDAS-Treffen stets Gelegenheit zum Kennenlernen einer lokalen Minderheit am Tagungsort und dem Besuch der Redaktion ihrer Tageszeitung . In diesem Fall stellte sich die italienische Minderheit in Kroatien mit ihrem Blatt „La Voce del Popolo“ (die Stimme des Volkes) vor, über die noch gesondert berichtet wird.

Ebenso werden anlässlich des jährlichen MIDAS-Treffens stets zwei Preise verliehen: Der MIDAS-Journalistenpreis 2015 ging diesmal an Ina Grøning, Lise B. Christoffersen und Eyla Both von „Flensborg Avis“, der Zeitung der dänischen Minderheit in Deutschland. Mit dem Otto von Habsburg Preis für Journalismus wurde der kroatische Journalist und Sprachforscher Inoslav Bešker ausgezeichnet.

Langjährige Synergiepartner: MIDAS und EURAC

MIDAS besteht als Organisation seit 2001 und wurde mithilfe der Europäischen Akademie in Bozen (EURAC) ins Leben gerufen. Diese begann 1992 als privater Verein mit knapp über einem Dutzend Mitgliedern und dem Ziel, Minderheitenforschung salonfähig zu machen, wie Direktor Werner Stuflesser verrät. Anfangs gab es drei Institute zu Minderheitenforschung, Sprache und Recht und alpiner Ökologie. Längst ist daraus eine mehrsprachige Forschungseinrichtung mit über 400 Mitgliedern geworden: die Freie Universität Bozen.

Die Studienthemen zur Minderheitenforschung sind vielfältig und reichen von der ladinischen Sprache in den Dolomiten über die vom Aussterben bedrohten Minderheiten in Chile, Marketingkonzepten zu „Minderheiten als Standortvorteil“ für Wirtschaft und Tourismus bis hin zu der Ausarbeitung eines Rechtswegs für Tibet zur Erlangung eines Autonomiestatuts auf der Basis der chinesischen Verfassung. Hierzu wurde sogar der Dalai Lama beraten und Funktionäre der tibetischen Exilregierung in Verhandlungsstrategien ausgebildet.
Zur Idee für die Gründung eines Netzwerks für Minderheitenzeitungen kam es bereits Mitte der 90er-Jahre.

Damals war Bojan Brezigar (heute im MIDAS-Vorstand) in der einzigartigen Lage, gleichzeitig Chefredakteur der slowenischen Minderheitszeitung „Primorski Dnevnik“ in Triest und Vorsitzender des ehemaligen Lobbybüros für Sprachminderheiten in Brüssel zu sein. Ein Glücksfall, der ihn dazu inspirierte, auch Chefredakteure anderer Minderheitenzeitungen einzuladen, erzählt MIDAS-Generalsekretär Günther Rautz, der 1999 als Jurist am EURAC-Minderheitenforschungsinstitut hinzugestoßen war, denn EURAC war eingeladen worden, die Konferenz mitzuorganisieren und wissenschaftlich zu begleiten.

Warum MIDAS?

Über die Motivation zur Gründung der Vereinigung erklärt MIDAS-Präsidentin Edita Slezákova von der ungarischsprachigen Tageszeitung „Új Szó“ in Bratislava: Über Minderheiten berichteten die Medien meist im Zusammenhang mit Problemen. MIDAS sollte hierzu ein Gegengewicht bilden – eine Plattform, die auch zum positiven Potenzial der Minderheiten informiert und zudem als europäische Vereinigung breiteres Gehör findet als einzelne Zeitungen. Zum einen sollte MIDAS den Mitgliedern den Rücken stärken, zum anderen die EU darauf hinweisen, dass Minderheitenzeitungen wegen chronischer Unterfinanzierung in Gefahr sind und als schützenswertes Gut betrachtet werden müssen.

Eine weitere Aufgabe ist der Ideenaustausch untereinander zu Themen, die alle Mitglieder betreffen – Marketingstrategien, Papierpreise, neue technische Entwicklungen, der drohende Übergang von gedruckten zu elektronischen Medien, der für Minderheitenzeitungen meist nicht zu verkraften ist, weil die Finanzierungsmodelle nicht funktionieren, die mögliche Adaption eines Projektes der anderen auf die eigene Redaktion, der Austausch von Erfahrungswerten mit einer bestimmten Drucktechnik, der Vergleich der Minderheitenrechte und -politik zwischen den Ländern. Zudem bietet sich durch Artikelaustausch die Möglichkeit einer breiteren Vorstellung einer Minderheit weit über deren Landesgrenzen hinaus.

„Als Netzwerk haben Minderheitenzeitungen einfach bessere Chancen“, meint auch Günther Rautz. Als Paradebeispiel bezieht er sich gern auf die Schließung einer baskischen Tageszeitung in Spanien vor etwa zehn Jahren. Weil diese nach einem Bericht über die ETA die Quellen nicht offenlegen wollte, wurden Redaktionsmitarbeiter kurzerhand verhaftet, gefoltert und die Redaktion geschlossen. Einer der Betroffenen ist der heutige Chefredakteur der Nachfolgezeitung „Berria“, Martxelo Otamendi, Mitglied im Vorstand von MIDAS. „Ohne MIDAS wäre der Vorfall ein rein spanisches Problem geblieben, niemand hätte davon erfahren“, erläutert Günther Rautz. So aber hat man nicht nur als europäische Organisation in Brüssel interveniert, sondern auch die Informationen der baskischen Kollegen aus Spanien direkt an die Mitglieder weitergeleitet, sodass in allen Ländern berichtet wurde. Otamendi hatte sich später an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gewandt und den Prozess gegen die spanische Regierung gewonnen.

Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Lobbytätigkeit in Brüssel, z. B. im Europäischen Parlament, wo es in der letzten Legislaturperiode immerhin fast 50 Minderheitenabgeordnete gab. „Die haben natürlich stets ein offenes Ohr für uns“, freut sich Günther Rautz. Auch rechtliche Fragen lassen sich auf diese Weise klären. Zum Beispiel, ob eine geförderte Minderheitenzeitung mit angegliederter eigener Druckerei Fremdaufträge übernehmen darf, ohne das Wettbewerbsrecht zu verletzen. „Hätte man dies negativ entschieden, wäre der Wegfall der Förderung für so manche Zeitung lebensbedrohlich geworden“, erklärt Rautz. Doch die Entscheidung aus Brüssel fiel salomonisch aus: Es muss nur das Verhältnis von Auftragsvolumen im Vergleich zur Förderung gewahrt werden.

Der auf der Tagung anwesende kroatische EU-Parlamentarier Ivan Jakovcic sprach MIDAS eine Einladung zur Teilnahme an einem runden Tisch im EU-Parlament aus. „Die Stimme von MIDAS soll gehört werden“, bietet der ehemalige Präfekt von Istrien an, der den kroatischen Landkreis seinerzeit wegen vorbildlicher Minderheitenpolitik zu einem Musterbeispiel für Minderheitenschutz erhoben hatte.

 Regelmäßige Aktionen

Regelmäßig von MIDAS durchgeführte Aktivitäten sind die jährlichen Studienreisen für junge Journalisten in Minderheitengebiete, an der letztes Jahr auch ADZ-Redakteurin Aida Ivan teilgenommen hatte (ADZ 8. Juli 2014: „Keine Minderheit ist allein in Europa – Midas-Studienfahrt zu den Türken in Westthrakien“), das Minderheiten-Fußballfest Europeade, das stets in ein Kulturspektakel mit Trachtenaufmarsch ausartet – „eine Art Messe für Minderheiten“ wie Rautz schmunzelnd bemerkt, die Jahresversammlung sowie die jährliche Vorstandssitzung, die zuletzt in Bratislava stattfand und bei der es Edita Slezákova sogar gelang, ein Treffen beim Staatspräsidenten zu organisieren.

Außerdem werden jedes Jahr zwei hochdotierte Journalistenpreise an Minderheitenjournalisten vergeben: der MIDAS- und der Otto von Habsburg Preis. Kriterium ist eine Berichterstattung, die über kulturelle Aktivitäten hinausgeht und eine Veränderung bewirkt, erklärt Edita Slezákova. „Feste Regeln gibt es nicht, denn die Situation jeder Zeitung ist anders“. Auch sei Quantität der Berichterstattung kein Kriterium, versichert die MIDAS-Präsidentin.

Bei den Gewinnerinnen des diesjährigen MIDAS-Preises bestand der Mehrwert des Projekts darin, in Zeiten von Facebook und Smartphone-Apps Kinder ab 13 Jahren für die gedruckte Zeitung zu begeistern und sie in journalistische Tätigkeiten einzubinden. Die Idee stammt vom Chefredakteur der dänischsprachigen „Flensborg Avis“, der hierfür europäische Gelder beantragt und zwei Journalistinnen aus Dänemark – Ina Grøning und Lise B. Christoffersen – eingestellt hatte, die zusammen mit der Grafikerin Eyla Both das Konzept für eine tägliche Zeitungsseite für Kinder entwickelten und das Projekt umsetzten. Ziel war auch, Kinder für qualitätvolle Nachrichten zu interessieren und die Motivation der Eltern zur Beibehaltung des Abonnements zu erhöhen. Ein Modell mit Vorbildcharakter – auch wenn es vermutlich nur für regional konzentrierte Minderheiten funktioniert.

Der Preisträger des Otto-von-Habsburg-Preises hingegen – der kroatische Linguist und Journalist Inoslav Bešker – wurde für seine langjährige publizistische Tätigkeit zugunsten eines besseren Verständnisses der Minderheiten gewürdigt. Seine Berichte über Völkermorde, Juden und Roma, Kambodscha, Kurdistan, Albaner in Mazedonien oder Vergleiche von Migranten und Minderheiten am Beispiel der in Deutschland lebenden Rumänen und Bulgaren unterstreichen stets den Gedanken an Verschiedenheit als Wert, hieß es in der Laudatio.