„Einheit in versöhnter Verschiedenheit“

67. Heimattag der Siebenbürger Sachsen in Dinkelsbühl – starke Gemeinschaft mit Außenwirkung

Kronenfest vor dem Münster St. Georg

72 Trachtengruppen defilierten durch das Altstadtzentrum

Kundgebung vor der Schranne: Dr. Bernd Fabritius

Trachtenzug – hier mit der HOG Kelling/Câlnic

Die Dinkelsbühler Knabenkapelle führt den Fackelzug an.
Fotos: George Dumitriu

Wenn es eine Unwort-Liste gäbe, dann sollte der Begriff „Sommersachse“ darauf ganz oben stehen, rügt Dr. Bernd Fabritius, Bundestagsmitglied und selbst Siebenbürger Sachse, auf der Podiumsdiskussion „Siebenbürger Sachsen zwischen Bewahrung und Veränderung“. Gemeint sind damit die Ausgewanderten, die den Sommer in Siebenbürgen verbringen. Bei der Frage, was sächsische Identität heutzutage bedeutet, wurde der Ball sofort aufgefangen und scherzend weitergespielt: Ist man ein „Pfingstsachse“, wenn man sich nur einmal im Jahr, zum Heimattag an Pfingsten, auf Herkunft und Traditionen besinnt? Schnell ergriffen auch bekennende „Vier-Jahreszeiten-Sachsen“ und „Immersachsen“ das Wort.

Es ist der 67. Heimattag der Siebenbürger Sachsen in der Festung von Dinkelsbühl,   diesmal unter dem Motto: „Verändern – Erneuern – Wiederfinden“. Drei Tage verbringen wir in der historischen Altstadt. Man fühlt sich zuhause, trifft bekannte Gesichter. Es wird gefeiert, diskutiert, getanzt, gelacht, gesungen, gebetet und Andacht gehalten. Es werden Bücher vorgestellt, Ausstellungen eröffnet, Filme gezeigt . Jugendliche treffen sich zum Abtanzen im außerhalb gelegenen Festzelt, natürlich spielen sächsische Bands. Zwischen den schmucken Fassaden der Stadthäuser defilieren prächtige Trachtenträger. Auch so manche Kuriosität ist anzutreffen: Auf den modernen Blusen eines Paares prangt in Stickschrift „Siebenbürgen, süße Heimat“; ein T-Shirt outet seinen Träger als „Soxenfotografierer“. Alles Facetten, Identität zum Ausdruck zu bringen.
Doch der Heimattag ist mehr als ein Trachtenspektakel – mehr als ein gesellschaftliches Event.Vielmehr Kulisse für eine Kraft, die die Siebenbürger Sachsen – verstreut in verschiedenen Teilen Deutschlands, in Österreich, Kanada, den USA oder Siebenbürgen  – bis heute aneinander bindet. Als Gemeinschaft, die deshalb über politische Sichtbarkeit und Außenwirkung verfügt.

Aufbaukräfte und Brückenbauer

Der Heimattag bietet Gelegenheit, Erfolge zu würdigen und Anliegen aufs Tablett zu bringen: Sowohl MdB Gerda Hasselfeld, Vorsitzende der CSU-Landesgruppe im Deutschen Bundestag, als auch der Bayrische Innenminister Joachim Herrmann erklärten, Bayern habe eine Bundestagsinitiative zur Besserstellung der vom Fremdrentengesetz benachteiligten Spätaussiedler gestartet, die mit Nachdruck verfolgt wird. Hasselfeld erinnert an die Bereitstellung von Mitteln für die Entschädigung ehemaliger Zwangsarbeiter und würdigt die Rolle der Siebenbürger Sachsen im europäischen Einigungsprozess: „Wer weiß, ob Rumänien heute in der EU wäre, wenn nicht dieses Dinkelsbühl gewesen wäre“ - „wenn es nicht diese enge Zusammenarbeit auch zwischen den Siebenbürger Sachsen und der dortigen Minderheit heute noch so gäbe, eine ganz wichtige Brücke für den weiteren Prozess in der Europäischen Union“.  Kulturförderung, Unterstützung der Gedenkstättenarbeit und Entschädigung von Zwangsarbeitern seien die Verdienste von MdB Dr. Bernd Fabritius, auch Präsident des Bundes der Vertriebenen, und vom Aussiedlerbeauftragten Hartmut Koschyk, so Hasselfeld. Herrmann würdigte den Anteil der Siebenbürger Sachsen an der Aufbauarbeit in Bayern: „Der Freistaat Bayern stünde auch heute im Jahr 2017 nicht so gut da, wenn es diesen Beitrag der Heimatvertriebenen nicht gegeben hätte.“ Dr. Fabritius dankte explizit für dessen „außergewöhnlichen Einsatz für alle Vertriebenen und Aussiedler“. Sowohl Hasselfeld als auch Herrmann sagten spontan zu, im August zum Sachsentreffen nach Hermannstadt/Sibiu zu kommen.

Dr. Bernd Fabritius würdigte die Förderung der Bundesregierung mit 1,9 Millionen Euro für den Umbau von Schloss Horneck, „unserer Sachsenburg“, zu einer Kultur- und Begegnungsstätte, im November 2016 genehmigt. Damit würde die „unglaubliche Gemeinschaftsleistung“ anerkannt, durch die das Schloss in einer beispiellosen Spendenaktion aus eigener Kraft aus einer Insolvenzmasse herausgekauft wurde. Auch die erneute Einrichtung der zuvor gestrichenen Kulturreferentenstelle wurde als Erfolg erwähnt, ebenso wie die Verbesserungen im Bildungsbereich in Rumänien: Mehrere Millionen Euro genehmigte der deutsche Bundestag für die Erhaltung des muttersprachlichen Unterrichtssystems. In Rumänien konnte eine Einbeziehung russlandverschleppter Deutscher  in die Entschädigungsregeln erreicht werden.
Der Heimattag 2017 stand unter dem Stern gleich dreier Jahrestage: dem 500. Reformationsjubiläum; dem 60. Jubiläum der Übernahme der Patenschaft Nordrhein-Westfalens 1957 für die Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen in Deutschland und 50 Jahre seit der Einweihung der Dinkelsbühler Gedenkstätte für die siebenbürgisch-sächsischen Opfer von Weltkriegen und Deportation. Der deutsche Botschafter in Bukarest, Cord Meier-Klodt, erinnert an drei weitere Meilensteine: 2017 wird das 50-jährige Jubiläum der bilateralen diplomatischen Beziehungen gefeiert, 25 Jahre Vertrag zwischen Deutschland und Rumänien über freundschaftliche Zusammenarbeit und Partnerschaft in Europa und 10 Jahre EU-Mitgliedschaft Rumäniens.

Kirche und Kultur

Organisator des Heimattags 2017 ist der Verband der Siebenbürger Sachsen in Deutschland e.V., Mitausrichter die Landesgruppe Nordrhein-Westfalen und – erstmals – die Evangelische Kirche A.B. in Rumänien (EKR). Bischof Reinhart Guib motiviert dies mit den genannten drei Jubiläen, die zeigen, dass „die Geschichte der Siebenbürger Sachsen weiterhin zusammen geschrieben wird“ - auch wenn „nach der Wende  verschiedene Wege gegangen wurden“. Und fügt an: „Es freut uns, dass sich die Siebenbürger Sachsen aus Deutschland auch bei uns wieder einbringen.“ Präsentiert wurden seitens der EKR die Ausstellungen „Reformation im Osten Europas“ durch Dr. Stefan Cosoroabă und „Kirchenburgenlandschaft Siebenbürgen. Ein europäisches Kulturerbe“ durch EKR-Hauptanwalt Friedrich Gunesch. Visueller Höhepunkt  des Heimattags war die Parade der Trachtengruppen nach dem Pfingstgottesdienst, an der 72 Trachtengruppen von HOGs, Nachbarschaften, Kreisgruppen usw. teilnahmen. Auf dem Platz vor dem Münster St. Georg wurde ein Kronenfest inszeniert. Neben traditionellen Platzkonzerten und Tanzvorführungen gab es  ein Jazzkonzert von Petra Acker vor der Schranne. In der St. Pauls Kirche wurden die Preisverleihungen vorgenommen: Der „Ehrenstern der Föderation“ ging an die Präsidentin des Bayrischen Landtags, Barbara Stamm, die Laudatio hielt Dr. Fabritius. Der Siebenbürgisch-Sächsische Jugendpreis wurde den Brüdern Kurtfelix und Eginald Schlattner verliehen, die in Diskussionen mit Schulklassen „lehren, politisch zu hinterfragen“, oder „dass die Dinge nicht immer so sein müssen, wie sie zu sein scheinen“, und „dass Versöhnung  immer möglich ist“, so Laudatorin Bettina Mai. Mit dem Siebenbürgisch-Sächsischen Kulturpreis wurden der Naturwissenschaftler Dr. Heinz Heltmann und der Schriftsteller Gerhard Roth geehrt.

Bewegende Momente

Unzählige Lichter tanzen durch dunkle Gassen. Der rhythmische Trommelwirbel der Dinkelsbühler Knabenkapelle begleitet uns, als wir durch das Segringer Tor auf den Hügel steigen. Unter dem Lindendom am Denkmal bleibt der nächtliche Fackelzug stehen. Üppige Rosengebinde von Landsmannschaften, HOGs oder Nachbarschaften verwandeln die 1967 eingeweihte Gedenkstätte in ein duftendes Blumenmeer. Enni Janesch erinnert an die beiden Weltkriege: Von einer Viertelmillion war die Gemeinschaft der Siebenbürger Sachsen auf ca. 150.000 geschrumpft. Bewegende Momente, als der Zapfenstreich vor dem Mahnmal erklingt. Es fordert:  „Nie wieder Krieg!“
„Verändern – Erneuern, Wiederfinden“ – das Motto reflektiert die neue Solidarität unter  den Siebenbürger Sachsen: Weg mit den Ressentiments zwischen Ausgewanderten, in der alten Heimat Verbliebenen, saisonbedingt Reisenden,  nicht „Sommer-“ sondern „Immersachsen“ und jenen, die ein neues „Abenteuer Siebenbürgen“ wagen. „Nichts ist so konstant wie die Veränderung – das trifft auch auf uns Siebenbürger Sachsen zu, die wir als konservativ bekannt sind“, resümiert Herta Daniel, Bundesvorsitzende des Verbands. Die Veränderung in der Gemeinschaft, die vielfältigen Facetten der siebenbürgisch-sächsischen Identität, bringt Bischof Reinhart Guib in seiner Pfingstsonntags-Predigt auf den Punkt: als „Einheit in versöhnter Verschiedenheit“.