Entkomme der Realität, entkomme der Fiktion

Live Escape Rooms bringen alte Adventurespiele zum Leben

Zimmer voller Hinweise: Was verbirgt sich wohl hinter den Bildern oder in den Bildern?

Gefangen: Die Tür zum Büro des Parteisekretärs ist zugefallen. Alex D. und seine vier Freunde können nicht mehr raus. Einziger Ausweg ist das Codeschloss neben dem verriegelten Ausgang. Die Zahlenkombination müssen die fünf jungen Männer selbst entdecken. Hinweise darauf finden sich im mit Rätseln gespickten Zimmer. Es gilt: Das Büro auf den Kopf stellen. 60 Minuten haben sie dafür Zeit, ehe der Parteisekretär zurückkommt und sie auf frischer Tat ertappt.

So einen Raum hat Alex D. noch nicht gesehen. Kuriose Schränke, die zu versteckten Hinterzimmern führen, und kryptische Wandkarten zerstören die Illusion. Nein, Alex und seine Freunde sind keine echten Spione und es ist auch nicht das Jahr 1977. Das heißt, ihnen droht nach einer Stunde keine mehrjährige Haftstrafe in einem Securitategefängnis, sollten sie bis dahin die richtige Zahlenkombination nicht herausgefunden haben. Wer die Lösungen nicht knackt, dem droht lediglich ein „Game Over“, so wie man es aus Videospielen kennt. Diese dienten auch als Vorbilder für die sogenannten „Live Escape Rooms“, die 2007 in Japan entstanden sind.

Escape Games in Echt

Alte Adventureveteranen, die bereits Anfang der 1990er Jahre die beliebten Point-and -Click-Abenteuerspiele von LucasArts zockten, kennen sich schnell aus: Das Zimmer muss auf den Kopf gestellt werden. Alles was nicht niet- und nagelfest ist oder mit einem Farbstreifen markiert, wird examiniert. Jede Schublade wird geöffnet, hinter jedem Stuhl oder Tisch wird nach versteckten Schlüsseln gesucht. Denn ehe man die Kombination für das Codeschloss herausfindet, müssen -zig Schlüssel gefunden und ausprobiert werden. Dafür werden Rätsel gelöst, die im echten Leben kaum jemand hinterlassen würde.
Doch gerade das macht den Reiz aus. „Live Escape Games“ versprechen das Videospielerlebnis im echten Leben. Wer schon immer gerne Teil der Spiele sein, die er so gerne in seiner Jugend zockte, und dieses Erlebnis auch mit Freunden teilen wollte, kann es dank den „Exit Games“ tun.

Was Gelegenheitsspieler lockt, ist die elaborierte Geschichte von der aus das Rätselknacken allein, zu zweit oder in der Gruppe ausgeht. Es gilt immer, aus Zimmern zu flüchten, in denen Exzentriker arbeiten oder leben. Manchmal handelt es sich um das Labor eines verrückten Wissenschaftlers, manchmal ist es der Unterschlupf eines Terroristen, die Wohnung eines Abenteurers, das Büro eines Privatdetektivs oder der Keller eines Serienmörders. Die Räume werden entsprechend den Hintergrundgeschichten so eingerichtet. Wobei diese in sich geschlossenen, fiktiven Welten, in die Spieler bewusst oder unbewusst eintauchen, niemals gänzlich die Illusion bewahren können, eben aufgrund von Elementen, die es im echten Leben niemals geben würde. So wie es auch in Videospielen der Fall ist. Diese reichen von Markierungen und Hinweisen zur Eingrenzung der Interaktionsfläche bis hin zu unlogischen Rätseln. Sie sind nicht nur eine Stütze für die Spieler, sie entlarven auch die andererseits mit Stress verbundenen Situationen als Spielereien und erinnern daran, dass es keine wirklichen Konsequenzen für den Spieler gibt. Keine Bombe wird nach einer Stunden hoch gehen und kein Axtmörder wird sich am Spieler vergreifen.

Auch in Rumänien sind Exit Games inzwischen angekommen. In Städten wie Großwardein/Oradea, Bukarest oder Temeswar/Timişoara gibt es mehrere Räume, aus denen man entkommen muss. In Temeswar gibt es drei. Eines davon ist das Büro des Parteisekretärs. Die anderen zwei heißen „Die Bombe“ und „Die Mission“. Letzteres wurde in einem alten Militärzelt eingerichtet und ist nur im Sommer zugänglich.

Exit Games in Rumänien

Für die „Live Escape Rooms“ wurde ein altes Haus umgebaut. Die Zimmer, der Keller und der Garten dienen als Spielfläche für die drei Räume. Das Spielerlebnis ist einmalig, weil es nur eine Möglichkeit gibt, die Rätsel zu lösen.

Diese Form von Unterhaltung lebt von Vielfalt. Je mehr Räume es in einer Stadt gibt, desto besser. In Budapest gibt es inzwi-schen Dutzende. Die ungarische Hauptstadt lockt inzwischen Touristen an, die einfach nur den Nervenkitzel eines „Escape Rooms“ erleben möchten. Ganze Wohnungen in der Budapester Altstadt wurden für diese Unterhaltungsart umgebaut. Anders als in Temeswar, wo vor dem Eingang in die jeweiligen Exit Games jemand die Spielregeln erklärt und eine Einführung liefert, wird man in Budapest ohne Einleitung direkt in der Wohnung eingesperrt. Hinweise kann man anfordern, in manchen Fällen sind diese auch notwendig, um voranzukommen. Denn so wie bei Videospielen gibt es verschiedene Schwierigkeitsstufen. Erfahrene Spieler messen sich bereits untereinander. Kriterien sind Zeit und Spieleranzahl. Die Pros schaffen es unter dreißig Minuten und meistens alleine oder nur in Begleitung einer weiteren Person aus den kniffligsten Räumen zu entkommen.

Alex D. und seine Freunde sind Anfänger. Selbst Adventurespiele auf dem heimischen Rechner haben sie noch nie gespielt. Seit Mitte der 1990er Jahren gilt dieses Genre als beinahe ausgestorben. Während Ende der 80er Jahre es eines der dominanten Genres war, wurde es später von Ego-Shootern aus dem Rampenlicht gedrängt. Heute ist das Genre eher etwas für die alten Hasen oder eine ganz kleine Gruppe von Menschen, die viel Wert auf Geschichte und auf verrückte Rätsel legen, für die man oft um die Ecke denken muss. Weil es für die fünf Jungs das erste Mal ist, braucht es auch Zeit, bis sie überhaupt mit den Spielregeln vertraut werden.

„Das erste Mal ist immer schwierig“, meint Anca. Die junge Frau ist in Temeswar aus allen drei „Fluchträumen“ erfolgreich entkommen. Ihre Rekordzeit zusammen mit Freunden: 41 Minuten. „Wenn man einmal ein ´Exit Game´ gespielt hat, lernt man die internen Regeln des Spiels und die Logik, worauf sich das Spiel stützt. Es gibt Regeln, die immer wieder angewendet werden können. Es gibt immer Schlüssel, die irgendwo versteckt sind, es gibt immer versteckte Zahlen in Unterlagen, Büchern, auf Karten. Meistens kann man nichts falsch machen, wenn man zuerst systematisch das Zimmer auseinandernimmt“, meint sie und lacht.

Die Aufräumarbeit nach jedem Spiel ist für die Spielmacher strapaziös: Alles muss wieder an den Ort zurückgelegt werden, wo es war. Die Schlüssel, die Hinweise, sie alle haben ihren Platz.

Virtuelle Welt auf die Realität projiziert

Seit Videospiele Ende der 1970er Jahre einen Aufschwung erlebten und immer mehr Menschen von virtuellen Realitäten träumten, wurde auch der Begriff „Präsenzerleben“ immer wichtiger. „Präsenzerleben“ bezieht sich auf die Relation des Menschen zu einer virtuellen, unwirklichen Welt. Ahmt diese akkurat die Realität nach, so können sich Menschen in ihr verlieren und vergessen für Augenblicke, dass die Welt um sie herum nicht echt ist. Videospiele haben diesen Effekt auf Menschen. Jamie Madigan gibt als Beispiel Rockstars Westernspiel „Red Dead Redemption“.

Darin können Spieler eine Welt erkunden, die an den Wilden Westen angelehnt ist. Man kann sich in dem Spiel den Traum vom Cowboyleben erfüllen. Durch die grafische Gestaltung Nordamerikas, die Musik und die filmische Darstellung der Figuren in der Welt, transponieren sich Spieler bewusst oder unbewusst in diese Welt, die auf dem Fernsehbildschirm entsteht. Psychologen wie Werner Wirth, die das Phänomen untersucht haben, sprechen dann von der Aneignung einer Rolle. So wie Schauspieler, die sich vorstellen, dass sie die gespielten Figuren wirklich sind und somit versuchen bestimmte Regeln zu befolgen, die das Stück fordert (Zeit, Raum).

Auch „Live Exit Games“ üben diesen Effekt auf Personen aus, eben weil sie in der Realität verankert sind. Sie sind interaktive Theaterstücke. In manchen Fällen gibt es sogar Personen, die im Raum mit dem Spieler sind und in eine Rolle schlüpfen, um die Illusion zu unterstützen.

Diese Crossover-Erscheinung Videospiel-interaktives Theaterstück wird von einem US-amerikanischen Unternehmen weitergeführt. Mit „The Void“ wurde der erste Themenpark in Amerika eröffnet, der komplett virtuell, so wie in dem Spielfilm „The Matrix“ entsteht. Möglich machen es virtuelle Brillen, die man sich aufsetzt, sowie ein Anzug, aber auch eine in der Realität gebaute Handlungswelt, die eins-zu-eins mit der virtuellen Realität übereinstimmt. Die leeren Korridore und Räume werden durch Aufsetzen der Brille zum Kommandodeck eines Raumschiffs. Eben, weil die auf dem Rechner generierten Welten auf die leeren Wände projiziert werden. Weil die reale und die virtuelle Spielwelt eins-zu-eins nachgebaut werden und sich so überlappen können, kann der Spieler die virtuelle Welt auch haptisch wahrnehmen. Dadurch werden sämtliche Sinne stimuliert, die überhaupt unsere Wahrnehmung von der Realität ermöglichen. Damit ist auch die Illusion der Realität vollkommen.