Erdbeerterror

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Erdbeeren sind etwas Wunderbares. Stets wartete ich voller Ungeduld, bis es endlich rot leuchtete in dem riesigen wilden Feld, dem unfreiwilligen Erdbeerfeld, das sich in unserem damaligen „Miet-Garten” einfach so ausgebreitet hatte. Weil die Pflanzen nicht in Reihen standen, war die Ernte allerdings schwierig. Immer wieder machte ein sattes „Quatsch“ unter den Füßen darauf aufmerksam, dass man eine fette Erdbeere totgetreten hatte. „Da muss Heu zwischen die Pflanzen“ meinte die Schwiegermutter fachmännisch. Das tat sie dann auch. Mit dem Resultat, dass genau unter dem Heu die dicksten Beeren wuchsen und das unvermeidliche „Quatsch“ zwar nun nur noch gedämpft zu hören, dafür aber um so ärgerlicher war. Also ging ich dazu über, gleich unter dem Heu zu suchen und in die Stauden ohne Heu zu treten. Bald sah das Feld aus wie ein Blutbad. Nur die Hunde freuten sich über die zermatschten süßen Früchte.

Von nun an hieß es, täglich eine Stunde früher aufstehen und Erdbeeren ernten. Denn abends verteidigten abertausende Mücken das im Schatten liegende Erdbeerfeld, obwohl sie sich aus den Früchten gar nichts machten. Wohl aber aus meinem Blut! Von nun an hieß es auch, Erdbeeren vertilgen auf Teufel komm raus. Bald wurden wir der Flut nicht mehr Herr und machten Saft. Dann wurden wir auch dem Saft nicht mehr Herr und schütteten die gärenden Flaschen in ein Fass zum Weinmachen.

Der Rest wanderte ins Gefrierfach: Erdbeermus für mindestens drei Winter! Es gab Erdbeertiramisu, Erdbeerjoghurt, Erdbeerpudding... Keine Mahlzeit ohne Erdbeeren. Die heißersehnten Beeren begannen, zur Plage zu werden. Wochenlanger Schlafmangel wegen des frühen Aufstehens und nächtlichen Saftpressens zeichnete mir tiefe Augenringe ins Gesicht. Der Rücken schmerzte vom Bücken, doch der rote Terror vor dem Haus ging weiter. Früchte kennen keine Gnade! Täglich nicht unter drei Eimern, und am Wochenende, wo man besonders viel Zeit zum Ernten hat, bis zu fünf. Selbst die Hunde mochten allmählich keine Erdbeeren mehr.

Eines Tages kamen wir spät nach Hause und ich dachte schon, heute mal ein erdbeerfreier Abend – nur mein Mann und ich! Die Überraschung wartete auf dem Küchentisch: drei volle Eimer, geerntet von der lieben Schwiegermutter, die längst im Bett war! Unterdrückter Schreikrampf. Saftpresse aufgebaut, und gemeinsam ge-brrrrrmt bis nach Mitternacht. Irgendwann nahm der Erdbeersegen dann endlich ab. Gut so, denn bis mindestens Dezember konnten wir keine Erdbeeren mehr sehen. Danach fingen wir vorsichtig an, uns über den Inhalt des Kühlfachs herzumachen, damit es zur nächsten Erdbeerzeit wieder frei würde.

Tja, und nun ist sie da, die nächste Erdbeerzeit. Zumindest theoretisch – denn in dem Garten unseres neuen Eigenheims wächst – noch – keine einzige Erdbeere. Das Eisfach ist noch immer gut bestückt und erinnert an die viele Arbeit. Nur die Schwiegermutter jammerte unlängst den vielen wunderbaren Erdbeeren nach und meinte: „Könnt ihr nicht dem alten Vermieter ein paar Pflänzchen abbetteln?“ Der rote Terror verfolgt mich.