Erinnerungen einer Stadt

Die stetig wachsende Kronstädter Fotosammlung

Ovidiu Talos vor den Schautafeln neben dem Katharinentor Foto: der Verfasser

Der Hof der Honterusschule mit der Schwarzen Kirche als Hintergrund, etwa 1980

Das Foto von der einstigen Zementfabrik hat heute historischen Wert. Fotos: Archiv Karpatenrundschau

Die ehemalige Zementfabrik wurde vollständig abgetragen, an ihrer Stelle stehen heute Plattenbauten. Solche Entwicklungen festzuhalten, ist eines der Ziele des beschriebenen Projekts.

Die neuste Ausgabe, die des Herbstes 2015, konnte  noch dieser Tage auch im Freien besichtigt werden: „Oraşul Memorabil – 2015“, auf Schautafeln, welche die Fußgängerallee vor dem Katharinentor, im Hof des Forstinstitutes Kronstadt/Braşov, säumen. Es sind Vergrößerungen von Fotos aus dem Familienalbum, deren Inhalt oder Alter sie zu Zeitkapseln machen, welche die Identität der Stadt bewahrt haben und weitergeben. Über die erste Ausgabe, ihre Auswirkungen und die weitere Entwicklung der Idee erzählte uns ausführlich Architekt Ovidiu Talos, Mitglied des Architektenordens Kronstadt/Covasna/Harghita. Der Kronstädter Ovidiu Talos studierte Architektur in Bukarest an der Ion-Mincu-Universität und begann sein Berufsleben 2003, doch irgendwann zog es ihn wieder nach Kronstadt. Hier ergab sich 2010 die Gelegenheit der ersten Ausgabe der Ausstellung mit Fotos aus Familienalben aus Kronstadt.

Ovidiu Talos erinnert sich: „Die Anregung kam 2010, ein Jahr mit etwas weniger beruflicher Tätigkeit und mehr Freizeit. Damals hatte ich erfahren, dass es die Möglichkeit gibt, von den Mitteln, welche durch die sogenannte „Architekturgebühr“ entstehen, Kulturprojekte zu finanzieren. Zusammen mit meiner Kollegin Miruna Stroe überlegten wir uns, was für ein Projekt in Kronstadt durchgeführt werden könnte. Als Beispiel diente uns eine Veranstaltung, die in Graz in dem Jahr, als die Stadt europäische Kulturhauptstadt war, stattgefunden hatte. In Graz hatte es einen Aufruf an die Bevölkerung gegeben, mit Fotomaterial zu einer Stadtgeschichte beizutragen. Der Aufruf in Graz ging über den öffentlichen Rahmen hinaus, erstreckte sich auf Beiträge aus dem persönlichen Bereich, die in irgendeiner Weise die Stadtarchitektur als Kulisse hat.“ Solch ein Unterfangen ist viel schwieriger, als man glaubt, denn klassische Erinnerungsfotos aus dem Urlaub oder von der Schulreise, welche die Gebäude einer Stadt als Hintergrund haben, stellen halt nicht den Heimatort dar, in unserem Fall Kronstadt.

Ovidiu Talos erzählt weiter: „Wir wünschten uns solche Bilder, die anhand des Hintergrundes die architektonische Entwicklung und Wandlung der Stadt sichtbar werden lässt. Letztendlich hat der Architektenorden das Projekt angeregt.“
Der Erfolg stellte sich nicht sofort ein: „Wir konnten die ersten Bilder nur schwer auftreiben, deshalb haben wir uns damals an Bekannte, Freunde und Verwandte gewandt und erst so, quasi auf einem Umweg, die ersten Aufnahmen bekommen. Erfolg hatten wir erst, als die Ausstellung eröffnet wurde. Die erste Ausgabe fand im Foyer des Stadttheaters statt. Da kamen viele Besucher auf uns zu und kündigten ihre Bereitschaft an, zum Sammeln von Bildern beizutragen. Für uns war es eine völlig unerwartete Wendung, da wir uns damals eine einmalige Veranstaltung, wie die in Graz eben, vorgestellt hatten, und nicht etwas langfristiges, mit mehreren Ausgaben. In Graz hatten sich in kürzester Zeit sehr viele Bilder gesammelt, wohl auch weil die Bevölkerung ein vielleicht ausgeprägtes Identitätsgefühl hat. Bei uns hat die Welle der Beteiligten nach der ersten Ausstellung begonnen. Wenn ich mich richtig erinnere, gab es Zehntausende Aufnahmen, aus welchen eine Auswahl gemacht wurde, und das Thema wurde eben in einer ersten und einzigen Veranstaltung behandelt. Bei uns in Kronstadt war das ganz anders.

Wir hatten etwa 2000 Bilder gesammelt (diese können übrigens alle online betrachtet werden), deren Aufbereitung und Erfassung uns damals einige schlaflose Nächte gekostet hat. Doch sofort nach der Vernissage wurde uns bewusst, dass es eigentlich einen viel größeren Bestand an Fotomaterial gab und weiterhin gibt, welcher über die strenge Zielsetzung hinausgeht – ich meine damit nur den architektonischen Hintergrund. Heute, nach sechs Jahren, kann durch die zahlreichen Fotos die Wandlung oder sogar das Entstehen der neuen Stadtviertel nachvollzogen werden. Auch die Wandlung der Gebäude, der Straßen, der Menschen kann vom Betrachter heute sehr gut erfasst werden. Jährlich kommen etwa 2000 Bilder hinzu, wobei wir schon eine Auslese machen müssen, bei der Inhaltskriterien ausschlaggebend sind. Da der Strom an neuen Bildern weiterhin fließt, machen auch wir weiter und es werden andere Auflagen folgen.“
An dieser Stelle muss erwähnt werden, dass die Redaktion der „Karpatenrundschau“ selbst mit mehreren Aufnahmen aus der Zeitspanne 1975-1989 beigetragen hat. Es sind Schnappschüsse, die als Auftragsbilder zu gewissen Themen gemacht wurden. Da auch heute, mit Digitalkameras aufgenommen, viel Fotomaterial hinzukommt, gibt es weitere Bilder, mit denen die Stadtgeschichte ergänzt werden kann.

Zu den mittelfristigen Aussichten sagt Ovidiu Talos weiter: „Wir waren in den letzten Jahren auch im Ausland – in Budapest, in Bulgarien, in Wien. Dann hatten wir eine Veranstaltung des Rumänischen Kulturinstitutes ICR in München und Nürnberg. In München gab es nicht gerade einen idealen Ausstellungsraum, da alles im Inneren des Konsulats stattgefunden hat, das brachte verständliche Schwierigkeiten wegen des Zugangs mit sich. Die Ausstellung in Nürnberg dafür – die Fotos bezeugen es – wurde von vielen besucht, ja man kann sagen, es war ein Erfolg. Hier in Kronstadt wird eine siebente Auflage folgen, denn auch diesmal sind Besucher gekommen, die ihren Beitrag schon angekündigt haben.“
Bis Jahresende – der genaue Eröffnungstermin wurde noch nicht festgelegt – wird die dritte thematische Ausstellung eröffnet, diesmal über Schaufenster: „Die erste thematische Ausstellung hatten wir 2012. Sie beruhte – größtenteils zumindest – auf dem Material des Stadtarchivs zu dem Baustil, der sich bei uns Ende des 19. Jahrhunderts etabliert hatte und Fachwerkarchitektur betraf (die Ausstellung trug den rumänischen Namen: Chalet).

Im entlegeneren Stadtteil Noua gibt es diesbezüglich noch mehrere sehr schöne Gebäude. Es folgte Dezember 2014/Januar 2015 die Ausstellung über Industriearchitektur 1880-1940 mit den repräsentativsten Bauten der Stadt. Über die Schaufenster, ihr relativ spätes Erscheinen, haben wir auch mehr Bildmaterial gesammelt. Der Bau von Schaufenstern wurde  erst dann möglich, als technisch genügend große Öffnungen in Gebäudefassaden eingefügt werden konnten, ohne die Bausicherheit zu gefährden. Das war nur nach der Erfindung von Trägern möglich. Dann wiederum begann der Umbau von Gebäudefassaden mit eingefügten Schaufenstern, Vitrinen wie sie auch noch genannt wurden, ein verglaster Ausstellungsbereich, der eine Verbindung des Innenraumes mit dem öffentlichen Raum, der Straße, herstellte.“