Erinnerungskultur zwischen Kerker und Gedächtnisschwund

Der orthodoxe Theologe Radu Preda leitet das Nationale Institut zur Erforschung der Verbrechen des Kommunismus

Radu Preda

Viele Jahre hat sich Rumänien mit der Vergangenheitsbewältigung schwer getan. Zu tief saßen die Wunden der kommunistischen Diktatur zwischen 1944 und 1989. Zu viele Akteure blieben mangels personeller Alternativen nach der Wende in Politik, Justiz, Wissenschaft und Medien in Amt und Würden. Die Erinnerungskultur zum Kommunismus ist bis heute noch nicht wirklich entwickelt. Eine nationale Gedenkstätte wie etwa das „Haus des Terrors“ in Budapest gibt es in Bukarest noch nicht. Abgesehen von Gedenktafeln und Mahnmalen erinnerten lange nur die Gedenkstätten in den ehemaligen Gefängnissen „Sighetu Marmaţiei“ im Nordwesten des Landes und in Râmnicu Sărat in der Provinz nördlich von Bukarest museal aufbereitet an den Totalitarismus. Jüngst entstanden auf Privatinitiative meist junger Gruppen – aber auch der Rumänischen Orthodoxen Kirche – hin einige Gedenkstätten, etwa in Großwardein/Oradea, Gherla und Piteşti.

Die Diktatur in Rumänien wird immer mit dem berüchtigten Geheimdienst „Securitate“ assoziiert. Dieser hatte sämtliche staatlichen, wirtschaftlichen, politischen und wissenschaftlichen Institutionen und Akteure der Gesellschaft systematisch infiltriert. Die Medien waren gleichgeschaltet. Die Überwachung durch ein ausgeklügeltes Spitzelsystem mit hunderttausenden Informanten war erdrückend. Bis 1989 war jede Schreibmaschine im Land staatlich registriert. Die Kirchen boten das einzige Refugium.

Gefängnisse wie die in Sighet, Jilava, Gherla, Aiud oder Râmnicu Sărat stehen bis heute synonym für politische Haft unter schauerlichsten Bedingungen. Tausende von Politikern, Bischöfen, Priestern, Akademikern und Intellektuellen litten als Regimegegner in den Kerkern des Systems, hunderte wurden ermordet, zu Tode gefoltert oder starben an den Haftbedingungen, darunter hochrangige Politiker und Bischöfe der Zwischenkriegszeit.

Seit 2005 gibt es ein staatliches Institut, das sich offiziell mit der Aufarbeitung des Kommunismus in Rumänien beschäftigt. Seit der Fusion mit dem Institut zur Erforschung des rumänischen Exils 2009 trägt es den Namen „Institut zur Erforschung der Verbrechen des Kommunismus und der Erinnerung an das Rumänische Exil“. Seit März 2014 wird dieses von dem landesweit bekannten orthodoxen Theologen und Publizisten Radu Preda aus Klausenburg/Cluj-Napoca geleitet. Der medienaffine Sozialethiker wurde vom damaligen sozialistischen Ministerpräsidenten persönlich für das Amt vorgeschlagen. Ziel seiner Berufung war es, das Institut effektiver, nachhaltiger und professioneller zu machen und die gesellschaftspolitische Wirkung zu verstärken.

„Es war bei meiner Nominierung klar, dass das Institut nicht mehr wie vorher funktionieren kann, also fast nur politisch. Für mich sprachen mehrere Gründe: Ich bin politisch ungebunden, komme als Sozialethiker mit einer ergänzenden und notwendigen Perspektive von Versöhnung und Gerechtigkeit, kenne die deutsche Art, mit der Geschichte umzugehen, und habe schon zum Thema Kommunismus einiges geschrieben“, erläutert Radu Preda die Hintergründe seiner Berufung.

Seine Tätigkeit als orthodoxer Theologe bei dieser Regierungsbehörde ist keineswegs selbstverständlich. Die Rumänische Orthodoxe Kirche tut sich selbst schwer mit der Vergangenheitsbewältigung. Die Erinnerung an die eigenen durchaus zahlreichen Märtyrer aus kommunistischer Zeit – die Zahl inhaftierter Priester, Mönche und Laienchristen geht nach seriösen Schätzungen in die tausende, belegt sind allein etwa 2000 Priester in politischer Haft – wird überschattet durch Fälle von Kollaboration zwischen Kirchenvertretern und dem Regime. Der aus kirchenfeindlichen Kreisen schnell erhobene Generalverdacht der Kollaboration erschwerte bisher eine offensive Auseinandersetzung der Kirche mit jener Zeit und ihrer eigenen Vergangenheit.

Dabei mussten alle staatlich anerkannten Kultusgemeinschaften zur Aufrechterhaltung ihres religiösen Lebens mit dem Staat kooperieren. Auch von „Sachsenbischof“ Albert Klein, den ungarischen Bischöfen Áron Márton, László Papp, Paul Szedressy oder Gyula Nagy, Chefrabbiner Moses Rosen und Mufti Mehmet Iakub sind glühende Glückwunschtelegramme in der Festschrift zum 60. Geburtstag des großen „Conducators“ Nicolae Ceauşescu von 1978 zu lesen.

Radu Preda, selbst ein kritischer Geist in seiner Kirche, betont die unterschiedlichen Formen der Opposition vor 1989: „Der Widerstand kannte zahlreiche und ungewöhnliche Formen und manifestierte sich in unterschiedlicher Intensität und verschiedenen Milieus: vom Mönchtum bis zur kirchlichen Hierarchie und vom Gemeindeleben vor Ort bis zu Glaubenserfahrungen in politischer Haft. Nicht zuletzt bestand der Widerstand auch häufig darin, sich nicht verbiegen zu lassen.“ So gab es durchaus eine Spannung zwischen der „offiziellen Kirche“ und der „Kirche der Katakomben“.

Auch wenn das Institut eine Regierungsbehörde ist und direkt dem Premierminister untersteht, kann die Arbeit ungestört von politischen Einflüssen ablaufen. „Seit ich das Amt übernommen habe, hat sich die Regierung absolut zurückgehalten. Wir arbeiten in echter Autonomie“, berichtet Preda. Querschüsse kommen eher von bestimmten Gruppen: „Wir erleben in Rumänien derzeit die Karikatur eines Historikerstreites um das ewige Thema Holocaust versus Gulag. Ich bin der Meinung, dass wir eine integrierte Erinnerungskultur und keinen Wettbewerb um das schlimmere Leid haben sollten.“

Die rund 40 Forscher und Mitarbeiter des Instituts führen über 30 Veranstaltungen pro Jahr durch. Zum Publikum zählen in- und ausländische Experten genauso wie Schüler, Studenten, ehemalige politische Gefangene und ihre Familien, aber auch ausländische Forscher und Diplomaten. Allein in den letzten zwei Jahren sind über 30 Bücher mit Unterstützung des Instituts erschienen. So besteht die wissenschaftliche und gesellschaftspolitische Arbeit des Instituts aus Forschung und Aufklärung, Dokumentieren und Informieren, Vermitteln und auch nachhaltiger Bemühung um politische Bildung gegen den kollektiven Gedächtnisschwund und zur Mahnung für alle Generationen.

Zu den Aufgaben gehören aber auch traurige Pflichten. Die Forscher suchen heimlich beerdigte Opfer des Kommunismus, graben diese aus und überprüfen die Identität anhand von DNA-Proben. Allein 2016 wurden über zehn anonym verscharrte Leichen gefunden und identifiziert. Das Institut hat Strafprozesse angestrengt gegen Täter. Nachdem allein 2007 noch über 200 Anzeigen abgewiesen wurden, konnte mittlerweile immerhin zwei besonders sadistischen Gefängnisdirektoren der Prozess gemacht werden.

Predas Orthodoxe Kirche fördert sein Engagement, auch wenn sich die Kirche sonst mit politischen Äußerungen äußerst zurückhält. „Die Kirche verfolgt diese Arbeit mit Interesse und hat 2017 zum Jahr des Gedenkens an die Glaubenszeugen während des Totalitarismus im 20. Jahrhundert erklärt“, hält der Theologe fest. Die Zeit ist also reif für die Diskussion in der Gesellschaft wie in der Rumänischen Orthodoxen Kirche. Mit der von dem Institut geförderten Gedenkstätte in Râmnicu Sarat ist ein Ausrufezeichen gesetzt. Preda schwebt allerdings ein zentrales rumänisches Museum des Kommunismus in Bukarest vor Augen. Dort sollen Verfolgung und Verstrickung, Widerstand und Kollaboration gleichermaßen objektiv und faktenorientiert aufgearbeitet werden. Mit dem Theologen Radu Preda an einer Schaltstelle der Erinnerungskultur besteht nun eine echte Chance dafür.