„Es ist ein Lebenszentrum für mich geworden“

Ein Gespräch mit Gerhild Rudolf, Leiterin des Begegnungs- und Kulturzentrums Friedrich Teutsch der Evangelischen Kirche A. B. in Rumänien

Die Leiterin des Teutsch-Hauses, Dr. Gerhild Rudolf Foto: Aurelia Brecht

Seit fast zwölf Jahren leitet Gerhild Rudolf das Teutsch-Haus in Hermannstadt. Hier sind verschiedene Institutionen untergebracht, die Interessierten die Geschichte und Kultur der Siebenbürger Sachsen näher bringen. Im Jahr 2003 öffnete es seine Tore. Es vereint ein Museum, ein Archiv und viele weitere Institutionen unter seinem Dach und hat sich längst zu einem Anziehungs- und Treffpunkt für Besucher entwickelt. Rudolf steht zehn Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern vor, die hier Tag für Tag das Kulturerbe der Siebenbürger Sachsen verwalten, erschließen und pflegen. Anlässlich des 20-jährigen Jubiläums sprach ADZ-Redakteurin Aurelia Brecht mit ihr über die Gründung, die Zielsetzungen des Hauses und darüber, was sie sich für die Zukunft wünscht.

Zu Beginn ein bisschen Geschichte – wo liegen die Ursprünge des Hauses?


Gegründet wurde das Haus, das heute „Teutsch-Haus“ heißt, im Jahr 1883. Damals war hier das evangelische Waisenhaus, das von 1883 bis 1947 existiert hat. Aus dieser Zeit gibt es Unterlagen, Rechnungen, Zeugnisse von ehemaligen Heimbewohnern, Jahresberichte und Jubiläumsberichte.

Das Teutsch-Haus wird in diesem Oktober 20 Jahre alt. Können Sie etwas zu seiner Gründung sagen?

Wir nehmen dieses Jubiläum zum Anlass, mehr über das Haus zu forschen: Unsere derzeitige Praktikantin, Sandra Jordan, hat diese Aufgabe übernommen. Die 20 Jahre beziehen sich auf die Eröffnung unter dem Namen „Begegnungs- und Kulturzentrum Friedrich Teutsch der Evangelischen Kirche A. B. in Rumänien“ im Jahr 2003. Die Gründung des Kulturzentrums war nicht einfach, denn das Gebäude war in der kommunistischen Zeit konfisziert. Nach der Wende hat die Kirchenleitung sofort Rückgabeprozesse in die Wege geleitet und es anstandslos zugesprochen bekommen.

Der damalige Nutzer, nämlich die Hochschule, die das Haus als Studentenkulturhaus nutzte, wollte aber zunächst nicht ausziehen – tat es dann im Jahr 2001 schließlich doch. Ab diesem Zeitpunkt konnte die Kirche das Gebäude wieder nutzen, und Architekt Hermann Fabini hat die Planung zur Neugestaltung der Räume vorgelegt. Im Jahr 2003 konnte das Begegnungszentrum öffnen, 2004 das Archiv. Das war in den Jahren zuvor aufgebaut worden, vor allem durch die Leistung von Dr. Wolfram Theilemann, dem ersten Leiter des Teutsch-Hauses. Das landeskirchliche Museum wurde 2007 eröffnet. Das waren die Etappen zur Wiederbelebung des Hauses.

Mir gefällt die Idee, dass wir anlässlich des diesjährigen Jubiläums nicht nur an das Kulturzentrum denken, sondern die Geschichte des Hauses als Ganzes untersuchen und auch den weißen Fleck aus der kommunistischen Zeit beleuchten. Denn es wird oft nur vom „Waisenhaus“ und vom „Teutsch-Haus“ gesprochen. Viele Leute in der Stadt kennen das Gebäude aber als „Casa de Cultura a studenților“. 

Da wir über diese Zeit nicht viel haben, hat unsere Praktikantin die Aufgabe, Zeitzeugen zu suchen, Fotos zu sammeln. Ein Highlight, das berichten die Leute, waren die Jazz-Konzerte, die im Hof stattgefunden haben. Leider haben wir dazu nur zwei Fotos und noch keine Berichte. Wir hoffen, bis Herbst noch Zeitzeugen zu finden, die darüber berichten.

Wie soll das zwanzigjährige Jubiläum begangen werden?

Wir wollen einen Bildvortrag auf Deutsch und auf Rumänisch anbieten. Eine kleine Ausstellung mit Bildern aus allen Epochen fürs Treppenhaus soll entstehen. Auch eine kleine Online-Festschrift ist in Arbeit.

Sie haben vor Kurzem einen Zeitzeugen-Aufruf gestartet, um die vielfältigen Kontexte, die das Haus durchlaufen hat, zu rekonstruieren. Wie sind die Rückmeldungen dazu?

Bisher gab es nicht viele Rückmeldungen, aber doch einige interessante. Das sind immer Sternstunden, wenn man plötzlich jemanden trifft, der etwas erzählen kann: Einmal kam ein Mann ins Archiv, um zu forschen und nebenbei erzählte er, er habe in der Kindheit in der nächsten Nachbarschaft des Teutsch-Hauses gewohnt. Er konnte viel über das Waisenhaus erzählen, und Frau Jordan hat ihn gleich interviewt.

Auf unseren Aufruf haben sich einige Leute gemeldet – manchmal waren es nur kurze Berichte, manche Geschichten waren länger: Beispielsweise hat Professor Heinz Acker über die Zeit im Waisenhaus geschrieben. Wir freuen uns über jeden Zeugen, der etwas beiträgt, denn so wird das Bild immer vollständiger.

Wie kam es eigentlich zu dem Namen?

Christoph Klein, unser damaliger Bischof, dem auch die Gründung des Kulturzentrums zu verdanken ist, hat den Namen „Friedrich Teutsch“ vorgeschlagen. Denn Friedrich Teutsch war Bischof und Historiker. Als Bildungseinrichtung mit Museum und Archiv passt der Name Friedrich Teutsch sehr gut dazu.

Frau Dr. Rudolf, Sie leiten das Teutsch-Haus seit 2012 und haben sozusagen im letzten Jahr ein rundes Jubiläum an Ihrem Arbeitsplatz gehabt. Wie war es für Sie, die Leitung des Hauses zu übernehmen?

Das ist auch eine „Lebensgeschichte“: Ich habe schon ab 2002 hier im Teutsch-Haus gearbeitet, bevor es überhaupt eröffnet war. Damals war ich bei der Kirche als Redakteurin und Schriftleiterin der „Kirchlichen Blätter“ angestellt, der Monatsschrift der Evangelischen Kirche. Dadurch, dass im Teutsch-Haus neue Räumlichkeiten entstanden, durfte ich mit der Redaktion hierher übersiedeln. Als das Museum und das Archiv im Entstehen waren, haben die Museumsmacher ihre Tische bei mir im Büro gehabt. 

Hautnah habe ich mitbekommen, wie sie das Museum auf die Beine gestellt haben und war dort eingebunden: Ich habe Ratschläge gegeben, Übersetzungen gemacht und war praktisch Mitglied der „Teutsch-Haus-Gemeinschaft“ von Archiv und Museum. Ende 2011 ist der Leiter, Dr. Wolfram Theilemann, nach Deutschland zurückgezogen – die Leitung im Teutsch-Haus war vakant. Als Übergangslösung haben Frau Vlaicu aus dem Archiv und ich zunächst die Vertretung übernommen. In dieser Zeit habe ich festgestellt, wie viel mich mit diesem Haus verbindet und dass ich es seit seiner Entstehung kenne. Daraufhin habe ich mich auf die Stelle beworben. Das war eine neue Arbeit mit neuen Herausforderungen: Ich hatte mir vorgenommen, mindestens sechs Jahre durchzuhalten, da es sonst heißen würde, ich sei unfähig. Aber wie man sieht, sind es inzwischen fast zwölf Jahre. Die Arbeit macht Spaß, und es gibt viel zu tun.

Viele kennen das Teutsch-Haus vielleicht noch nicht. Welche Institutionen verbergen sich unter dem Dach des Hauses?

Das landeskirchliche Zentralarchiv und das landeskirchliche Museum. Wichtig ist uns aber auch der Bereich „Begegnung“; wir bieten Veranstaltungen, Vorträge, Buchvorstellungen, kleine Konzerte, Begegnungen mit Gruppen, Arbeit mit Schulklassen. Auch die Johanniskirche gehört zum Komplex des Teutsch-Hauses. Dafür stehen die vier Punkte auf unserem Logo: Rot für das Museum, grün für das Archiv, blau für Begegnung und gelb für die Johanniskirche. 

Wir haben auch wichtige Partner direkt im Haus. Etwa das Erasmus-Büchercafé im Parterre mit der schönen Terrasse, das viele Leute ins Haus lockt. Der Spielplatz und die vielen Bücher, die man kaufen, bestellen oder lesen kann – samt gutem Kaffee und Erfrischungsgetränken. Auch vermieten wir Räume an das Institut für ökumenische Forschung: Es gibt die ökumenische Bibliothek, sie geben eine Zeitschrift heraus und organisieren jedes Jahr das „Ökumene-Semester“. So kommen von März bis Juni viele Studenten ins Haus.

Welche Zielsetzungen verfolgt man im Teutsch-Haus?

Unser Motto ist: „Bewahren, bilden, bewegen“. Beim „Bewahren“ geht es vor allem um das Archiv und darum, das Gedächtnis der Kirche zu bewahren. Ebenso wie das Museum, das auch bilden und unsere Geschichte präsentieren soll. Bei „Bewegen“ denken wir eher an Gespräche, an Begegnungen mit Gruppen, an die Arbeit mit Praktikanten. 

Jedes Jahr haben wir mindestens eine Ausstellung und geben Publikationen heraus. Auch die Archivarbeit ist nach wie vor sehr gefragt: Wir hatten kürzlich die Aktion der Erstellung von Bestätigungen für die ehemaligen Russlanddeportierten – das hat uns sehr auf Trab gehalten. Es ist unser Ziel, präsent zu sein, die Besonderheiten unserer Kirche und unserer deutschen Minderheit bekannt zu machen, zu kommunizieren, zu vermitteln. Freunde für diese Kultur zu gewinnen! 

Dann gibt es die die theologische Seite: Dass wir ein Haus der Kirche sind, ist in den letzten Jahren durch die Kooperation mit ZETO, dem „Zentrum für evangelische Theologie Ost“, noch unterstrichen worden. Dabei geht darum, als protestantische Minderheit präsent zu sein und bekannt zu werden in einem Umfeld, das nicht protestantisch geprägt ist.

Was macht das Teutsch-Haus einzigartig?

Die Lage, die Baulichkeiten, die Geschichte, die Vielschichtigkeit, auch das Museum ist einzigartig. In Rumänien gibt es kein anderes Museum, das so systematisch die Geschichte der Siebenbürger Sachsen und der Evangelischen Kirche zeigt.

Um einen Einblick zu erhalten: Können sie zwei Projekte nennen, die Ihnen in den letzten zehn Jahren wichtig waren?

Eine Skala aufzustellen ist immer sehr schwierig: Persönlich war mir wichtig, das Lebenswerk von Fritz Balthes zu erforschen. Er war ein siebenbürgischer Architekt, der im Ausland studiert und in Siebenbürgen mehrere Gebäude entworfen hat. Dadurch, dass aus den verschiedenen Kirchengemeinden die Pfarrarchive ins Zentralarchiv gebracht wurden, konnten wir die Unterlagen der einzelnen Gemeinden erschließen, in denen er gearbeitet hat. Im Jahr 2014 gab es dann eine Ausstellung anlässlich des 100. Todestages von Balthes.
Ein weiteres Projekt, das vor Kurzem stattfand, war das Projekt „Evangelische Migrations-geschichte(n)“, in dem zehn Museen in Frankreich, Deutschland, Österreich, Slowenien, Ungarn und Rumänien kooperiert haben. Im Zuge des Projekts hat jede Einrichtung eine eigene Ausstellung konzipiert: Die Ausstellung „Migrationsgrund Religionsfreiheit“, die Heidrun König erarbeitet hat, läuft noch bis Ende Oktober: Es geht um Personen, die nach Siebenbürgen zugewandert sind, weil es hier schon ab dem 16. Jahrhundert Religionsfreiheit gab. In Nürnberg haben wir mit den Partnern gemeinsam eine Ausstellung eröffnet, und vor Kurzem ist ein Begleitband zum Projekt erschienen.

Was bedeutet das Teutsch-Haus für Sie persönlich?

Sehr viel. Je länger ich da bin, desto mehr merke ich, dass es für mich eine Art Zuhause geworden ist. Ich wohne und arbeite hier. Hier treffe ich die Kollegen und Besucher. Ab und zu kommen auch meine Kinder hierher auf Besuch. Es ist ein Lebenszentrum für mich geworden, aber ich weiß, dass das nicht auf ewig ist. Es ist mir sehr bewusst, dass das meine Arbeit ist, zu der ich mich verpflichtet habe, aber die auch einmal zu Ende sein wird. Und dann werde ich ausziehen aus dem Teutsch-Haus.

Was haben Sie sich für die kommenden Jahre vorgenommen?

Ich möchte das Balthes-Buch noch einmal auflegen, denn die erste Auflage war schnell vergriffen. Ich hätte gerne, dass wir die neuen Archivräume „in Schwung bringen“. 
Dann gibt es den Wunschtraum, das Bildarchiv im Archiv zu erschließen, denn an das Bildarchiv wagt sich keiner heran, weil es eine sehr schwierige Arbeit ist: Bei jedem Bild muss feststellt werden, wann und wo es aufgenommen wurde. Anschließend muss alles digitalisiert werden. Wir hatten einmal ein großes Digitalisierungsprojekt, in dessen Rahmen jemand für ein Jahr angestellt war und sich ausschließlich darum gekümmert hat. Das würde ich gerne wiederholen.

Wohin soll sich das Teutsch-Haus als Institution entwickeln?

Ich werde immer älter und ich hoffe, dass das Haus immer jünger wird. Dass wir noch junge Mitarbeiter anstellen und dass auch bei der jüngeren und jüngsten Generation das Haus attraktiv wird.

Vielen Dank für das Gespräch!