„Es ist schwer, in Rumänien krank zu sein“

Kronstädter Hospiz-Stiftung erstellt Studie über Bedürfnisse krebskranker und behinderter Patienten

Der Stiftungssitz mit Krankenbettabteilung, Tagesklinik und Therapiezentrum in der Siebgasse/Str. Sitei 17 A in Kronstadt

Pressesprecherin Laura Iosub, Lektor Dr. Florentina Scârneci-Domnişoru, Doz. Dr. Codrina Şandru und die Leiterin der Krankenschwestern für Erwachsene, Roxana Horeică, stellen die ersten Schlussfolgerungen der Umfragen vor.

Die regierungsunabhängige Stiftung ist auf Spenden und freiwilligen Einsatz angewiesen.
Fotos: Ralf Sudrigian

Sich mit einer unheilbaren Krankheit abfinden zu müssen, ist eine der größten Belastungen für den Betroffenen, aber auch für seine Familie. Es bedeutet einen Lebenseinschnitt mit Folgen, die allein kaum gemeistert werden können. Die Kronstädter Hospizstiftung „Casa Speranţei“, die dank britischer Unterstützung landesweit beispielgebend in der Betreuung krebskranker Personen wirkt und schmerzlindernde (palliative) Behandlungsmethoden promoviert, hat im August des Vorjahres, mit Unterstützung des schweizerisch-rumänischen Programms für Zusammenarbeit, ein Pilot-Projekt gestartet („Lebensqualität für Personen mit unheilbaren Krankheiten: Information, Ausbildung, Beratung“), das Ende November 2014 abgeschlossen wird. Erste Ergebnisse über die Bedürfnisse der Kranken und ihrer Familien wurden nun von Univ.-Doz. Dr. Codrina Şandru und von Lektor Dr. Florentina Scârneci-Domnişoru auf einer Pressekonferenz beim Sitz der Hospizstiftung „Casa Speran]ei“ vorgestellt.

Eine Umfrage im Zeichen des Mitgefühls

Die beiden Kronstädter Fachlehrkräfte von der Fakultät für Soziologie und Kommunikation der „Transilvania“-Universität gaben zu, dass die Interviews mit 40 Hospizpatienten (sowohl Erwachsene als auch Kinder) eine starke emotionale Belastung bedeuteten. In vier Monaten wurden rund 80 Interviews geführt, zu Hause bei den Patienten, die in Kronstadt aber auch in den Gemeinden dieses Landeskreises wohnen, wobei auch Familienmitglieder miteinbezogen wurden. Auszüge der Interviews wie auch Videoaufnahmen wurden mit Einverständnis der Betroffenen erstmals bei dieser Begegnung mit Journalisten gezeigt. Sie sollen über die Massenmedien nun auch ein breiteres Publikum erreichen und das Leben dieser Menschen mit der Krankheit und mit all ihren Schattenseiten veranschaulichen. Der Grundgedanke bleibt, die wichtigsten Bedürfnisse der Hospizpatienten zu kennen, so wie sie diese benennen, um ihnen dann in ärztlicher aber auch in menschlicher Hinsicht beizustehen.

Am wichtigsten, so ist aus den Interviews ersichtlich, ist für die Kranken und ihre Familien der psychologische Beistand. Der Krebsleidende steht vor einer neuen Lebensetappe, er sieht sich in einem anderen Licht, muss sein Leben neu einschätzen lernen. Dabei erwarten und wünschen sich die Leidenden und ihre Familienangehörigen Ermutigungen und Solidarität. Das sei manchmal schwierig zu erfüllen, vor allem wenn es körperlich unweigerlich bergab geht. „Es ist schwer, in Rumänien krank zu sein“ – diese Klage ist, in verschiedenen Nuancen, immer wieder zu hören. Die Kranken wünschen sich, akzeptiert zu werden in der Lage, in der sie sich befinden. Dass z. B. eine Frau nun, infolge des Haarausfalls nach der Chemotherapie, ständig ein Kopftuch tragen wird, ist ein Umstand, den sie und ihre Umgebung akzeptieren müssen. Eltern behinderter Kinder klagen immer wieder, dass diese in Schulen oft ausgegrenzt werden.

Isolierung und Einsamkeit sind schmerzhafte Folgen der Krankheit, die auch das Vertrauen zur eigene Person, aber auch zu den Mitmenschen beeinträchtigen. Vor allem vom ärztlichen Personal erwarten die Kranken mehr Entgegenkommen. Manchmal fühle man sich, als hätten die Ärzte einen schon abgeschrieben. Andere Ärzte sind gnadenlos direkt mit ihrer Diagnose, die dann niederschmetternd wirkt. Ausnahmen machen da, laut Aussagen der Betroffenen, „Casa Speranţei“ und ärztliche Einrichtungen (sowohl private als auch staatliche) in Klausenburg/Cluj. Der religiöse Beistand gewinnt an Bedeutung. Als Grundidee hieß es, aus soziologischer Sicht, der Kranke aber auch die Gesellschaft müssten „das Herz öffnen“: offen sein für Mitgefühl (nicht Mitleid) mit anderen – offen sein für das Schicksal der Kranken, ihnen, zumindest in Gedanken, beistehen.

Geld und zwischenmenschliche Beziehungen

Krebsbehandlung setzt in der Regel auch teure Arzneimittel und Therapien voraus. In Rumänien übernimmt der Staat nur einen Teil der Kosten, denn bekanntlich befinden sich auch Krankenhäuser in einer chronischen Geldnot. Wenn noch Behandlungen oder chirurgische Eingriffe im Ausland notwendig sind, so ist das für manche zu viel. „Wir hatten kein Geld, um weiterzumachen“, lautet eine lakonische Aussage, hinter der aber ein regelrechtes Drama steht, denn es geht ja buchstäblich um Leben und Tod.

Nicht so extrem aber dennoch dramatisch geht es dann zu, wenn der Patient erkennt, dass er ab einem gewissen Zeitpunkt ständig abhängig von anderen Personen sein wird. Das sind, bei  Betreuung zu Hause, Familienmitglieder, die ihrerseits ihr Leben umstellen müssen. Manchmal setzt das voraus, auf die Arbeitsstelle und somit auf eine wichtige Einkommensquelle zu verzichten. Es sind aber auch Krankenschwestern und Ärzte, die nun zum direkten Umfeld des Kranken gehören. Beim Kronstädter Hospiz hat sich auch ein deutsches Wort eingebürgert: die Patienten sprechen von „Tantele“– die Frauen, die bezahlt werden, um in den Familien der Kranken zu helfen.

Es kamen auch Vorschläge, wie man in dieser schweren Arbeit mit ihren begleitenden Belastungen helfen könnte: Medizinstudenten könnten öfters zur Bewegungstherapie hinzugezogen werden. Ein Haustier lenkt von den Schmerzen ab und hilft, den tristen Alltag leichter zu überbrücken. Aber auch Krankenschwestern und freiwillige Hospiz-Mitarbeiter müssen lernen, sogenannte „Auszeiten“ zur Erholung und Wiederaufbau ihrer Kräfte zu nehmen und zu nutzen.

Wichtig ist auch der Bedarf an Information über die eigene Krankheit und ihre Behandlung. Da spielt das Internet eine immer größere Rolle. Aber es gibt auch Fälle von Leuten, die einfach „müde“ geworden sind, nach neuen Informationen zu suchen, auf andere Arzneimittel zu versuchen, weitere Behandlungsmethoden auszuprobieren. Sie setzen ihr ganzes Vertrauen in einen Arzt oder in alternative Behandlungen – ein weites Feld, wo allerdings auch selbsternannte Spezialisten und „Wunderheiler“ auftreten. Traurig ist die Tatsache, dass unter der Rivalität bekannter oder weniger bekannter Ärzte, seltener sogar unter konkurierenden privaten Kliniken, letztendlich der Patient zu leiden hat. „Ich repariere nicht, was ein anderer kaputtgemacht hat“, ist ein Vorwurf, den mancher Arzt hervorbringt, wenn der Patient nicht zu ihm, sondern zum „falschen“ Berufskollegen gegangen ist. Diese zynische Aussage gehört leider auch, neben Beleidigungen oder Ignorieren, zum ärztlichen Alltag in Rumänien.

Die Patienten wünschen sich weniger Bürokratie, vor allem wenn es um ihre Gesundheit geht. Verlorene Zeit, angespannte Nerven könnten leicht vermieden werden, wenn die Behörden besser miteinander arbeiten und den Kranken mehr entgegenkommen würden. Verbesserte Zusammenarbeit der Ärzte untereinander ist ein weiterer Wunsch, der aus dieser Umfrage erkenntlich wurde. Das bezieht sich auch auf verschiedene Institutionen, von denen der Kranke Hilfe erwartet. Genannt werden: Hospiz „Casa Speranţei“, Kirche, Medizin-Fakultät, öffentliche Verwaltung.
Nicht vergessen werden soll auf jene Kranken, die auf den Rollstuhl angewiesen sind. Sie müssen ihre Wohnung dementsprechend umgestalten. Das liegt in ihren Kräften. Was sie und ihre Familien nicht allein machen können, ist, rollstuhlgerechte Zufahrten bei öffentlichen Institutionen durchzusetzen, dafür vorgesehene Hebevorrichtungen bei den Bussen des öffentlichen Verkehrs einzubauen. Die sowieso geminderte Bewegungsfreiheit wird somit zusätzlich reduziert, die Kranken kommen schwerer unter die Menschen, ihre Vereinsamung wächst.

Betreuung über Hospiz-Telefonnummer

Als erste konkrete Maßnahme, die das Kronstädter Hospiz im Rahmen des schweizererisch-rumänischen Zusammenarbeitsprogramms getroffen hat, ist die Einführung einer Sonder-Telefonnummer, über welche die von „Casa Speranţei“ Betreuten jederzeit Beratung und Hilfe bekommen können. Die Nummer ist nur den Hospiz-Betreuten bekannt, um, wie das in anderen Fällen leider passiert ist, nicht blockiert zu werden. Nachtsüber, an Wochenenden oder nach 16 Uhr, wenn die Hospiz-Betreuung zu Hause beendet wird und im Ambulatorium in der Siebgasse/Str. Sitei 17 A keine Behandlungen erfolgen, können in der Palliativbehandlung erfahrene Krankenschwestern per Telefon den über 1000 von Hospiz betreuten Erwachsenen und Kindern aus Kronstadt und dem Kreis Kronstadt in Notfällen helfen. Es geht dabei um plötzliche Schmerzen, Atemprobleme, Erbrechen, Übelkeit, um die Pflege (Ernährung, Mundpflege, Gewebepflege usw.) oder um Einzelheiten der Behandlung. Da die Patienten in der Hospiz-Kartei erfasst sind, kann leichter gezielt geholfen werden. Bei ernsteren Problemen berät sich die den Telefondienst betreuende Krankenschwester mit dem Arzt vom Dienst des Ambulatoriums und meldet sich telefonisch beim Anrufer zurück.

Ein anderes Ziel, das sich das Hospiz „Casa Speran]ei“ vornimmt, nannte PR-Chefin Mălina Dumitrescu: Kenntnisse an Krebskranke und deren Familien zu vermitteln, um dort, wo es möglich ist, eine selbstständige Pflege vorzunehmen. Das verleiht ein Plus an Selbstständigkeit. „Casa Speran]ei“ setzt selbstverständlich seine erfolgreichen und oft originellen Spendenaufrufe fort: einerseits um Geldmittel für die Hospiztätigkeit zu sichern; andrerseits auch um an unsere unheilbar erkrankten Mitbürger zu erinnern und mit ihnen Solidarität zu bekunden.

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Hospiz „Casa Speranţei“

In Rumänien gibt es laut statistischen Daten rund 170.000 Krebskranke, die auch mit Schmerzen zu kämpfen haben. Nur fünf Prozent von ihnen erfreuen sich dabei palliativer Behandlungsmethoden.
Die Kronstädter Hospiz-Stiftung „Casa Speran]ei“ war 1992 die erste Stiftung in Rumänien, die sich vornahm, Krebskranken palliative Behandlung zu sichern. Diese Initiative wurde finanziell maßgeblich durch Spenden aus Großbritannien unterstützt. In der Anfangsphase erfolgte die Behandlung ausschließlich zu Hause bei den Krebsleidenden. 1997 wurde das erste „Studiumszentrum für palliative Medizin“ ebenfalls in Kronstadt gegründet, mit dem Ziel, eine landesweite Fachausbildung in diesem Bereich zu ermöglichen. 2002 wurde der neue Sitz in der Siebgasse/Str. Sitei eröffnet, wo erstmals auch Krankenbetten zur Verfügung standen wie auch eine Tagesklinik mit Beschäftigungstherapie und Beratung. Zurzeit werden im Kreis Kronstadt über „Casa Speran]ei“ rund 1000 an Krebs erkrankte Erwachsene und Kinder betreut. 2012 wurde beschlossen, nach dem Kronstädter Muster auch in Bukarest ein Hospiz-Zentrum zu gründen – ein Projekt, das in diesem Jahr verwirklicht werden soll. Die Stiftung hat die Gründung weiterer Hospiz-Dienststellen nicht nur in anderen rumänischen Städten unterstützt, sondern auch im Ausland (Republik Moldau, Ukraine, Serbien, Griechenland, Albanien, Kasachstan). Kontakt – und Spendemöglichkeiten sowie weitere Infos auf www.hospice.ro