„Es war nicht schwer, euch zu lieben“

Weltberühmte Blaskapelle Fanfare Ciocârlia feiert 25 Jahre – Tour im Herbst in Rumänien

Karten (ab 80 Lei) für die Konzerte in Temeswar/Timișoara (10. September, Casa Tineretului), Bukarest (8. November, Arenele Romane), Klausenburg (10. November, Zazen), Kronstadt (11. November, Kruhnen Musik Halle) und Jassy (12. November, Sala Unirii) sind auf der Plattform iabilet.ro und tickets.emagic.ro erhältlich.

Die Musiker im Dorf Zece Prăjini, dem Geburtsort der Band Fotos: Asphalt Tango Records

Seit über einem Vierteljahrhundert begeistert die wohl schnellste Blaskapelle der Welt, Fanfare Ciocârlia, aus dem Roma-Dorf Zece Pr²jini in der Moldau, Fans in Europa, den Vereinigten Staaten von Amerika, Asien, Australien und Neuseeland. Ihre feurige traditionelle Musik, mit Jazz, Pop und Rock veredelt, sowie die unglaublich lebhafte und exakte Interpretation spielen die 12 Musiker auf den größten Bühnen der Welt. Über 4000 Auftritte gab es bislang in 800 Städten in 70 Ländern. Ihre Musik hat die Band in zehn Schallplatten, in Soundtracks mehrerer Filme und in Werbung für sehr bekannte Marken verewigt. Ein Dokumentarfilm wurden über sie gedreht und bedeutende Auszeichnungen belohnten ihre Einmaligkeit.

Anlässlich der Jubiläumsfeier zum 25., die wegen der Coronavirus-Pandemie verschoben werden musste, spielt Fanfare Ciocârlia in ganz Europa. Im Herbst erreicht sie Bukarest, Temeswar/ Timișoara, Klausenburg/Cluj-Napoca, Kronstadt/Brașov und Jassy/Iași. Über die Tour und die Blaskapelle sprach ADZ-Redakteurin Laura Căpăâână Juller mit dem Manager der Fanfare, Henry Ernst.

Sie sind Mitte der 1990er Jahre zufällig auf die Blasmusiker in Zece Prăjini gestoßen und haben sie zu einer weltbekannten Band gemacht. Wie kam es dazu?

Ich habe Rumänien das erste Mal 1986 besucht. Mir hat es hier sehr gut gefallen. Nach dem Umsturz bin ich mit Hilfsorganisationen drei-, vier-, fünfmal im Jahr nach Rumänien getrampt, später kam ich mit dem eigenen Auto. Ich war extrem verliebt in das Land. Als studierter Tontechniker hatte ich bei meinen ziellosen Reisen immer einen Digitalrekorder mit einem Stereo-Mikrofon dabei, mit dem ich, als Hobby, Dorfkapellen aufnahm. Erst war ich in Siebenbürgen, aufgrund der Sprache, danach habe ich Rumänisch gelernt und bin in die Moldau gefahren. Auf Empfehlung eines alten Bauern landete ich 1996 im Dorf Zece Prăjini. Es war ein Sackgassendorf mit einem Bahnübergang, wo man drüber musste, um ins Dorf zu kommen. Und dort stand ein alter Mann, Ioan Ivancea, der Senior-Klarinettist der zukünftigen Fanfare Ciocârlia. Ich habe das Auto angehalten, die Scheibe runtergeleiert und nach Blasmusik gefragt. Er hat mich in seinen Hof gebeten und wenige Minuten später rannten 30, 40 Menschen völlig hektisch herum, jeder mit einem verbeulten Instrument in der Hand. Klarinetten, Trompeten, Bariton, Tenor-Horn, Flügelhorn, Pauke, Tuba usw. Kinder, alte Männer, zahnlos. Und die fingen an, ihre Musik zu spielen. Sie war nicht professionell, aber es war klar, dass jeder ein kleiner Meister auf seinem Instrument ist.

Ich kannte Blasmusik aus Serbien, Bulgarien, Mazedonien. Aber in Rumänien hatte ich das noch nie gehört: Zigeuner, die Blasmusik spielen... Blasmusik war zu der Zeit für mich ein Synonym mit Sonntagnachmittag und Langeweile. Was ich da aber hörte, war so toll, so schnell, so feurig, wie nichts anderes, was ich je gehört hatte. Es war Wahnsinn.

Ich habe angefangen, sie aufzunehmen. Auf meinen Kopfhörern konnten sie sich dann selbst hören, zum ersten Mal im Leben. Es war unglaublich. Und jeden Tag sind Musiker gekommen und haben gespielt. Nach drei Monaten sind zwölf geblieben, die ständig spielten. Es waren fast die gleichen, die die Fanfare bilden würden. 

Eigentlich hatte ich vor, nur einige Tage da zu bleiben. Die Erfahrung war aber so intensiv und die Musik so unglaublich, dass ich erst nach drei Monaten nach Hause gefahren bin.

Gleich danach haben Sie den Musikern eine Tour in Deutschland organisiert.

Ich war so begeistert von dem, was ich gehört hatte, dass ich das mit der Welt teilen wollte. Obwohl ich damals überhaupt nicht wusste, wie man ein Konzert oder eine Tour organisiert, habe ich alles verkauft, was ich hatte, um an Geld zu kommen. Ich habe Clubs angeschrieben und ihnen Kassetten mit Aufnahmen gesendet und konnte zehn Konzerte für 40 Tage gebucht bekommen. Die Zuschauer waren absolut hingerissen, die Tour war ein totaler Erfolg. Der einzige Nachteil: am Ende hatte ich 30.000 Mark Schulden. Also wollte ich damit aufhören.

Doch der Durchbruch ließ nicht lange auf sich warten.

Im August 1997 hatten wir eine Anfrage vom WDR-Weltmusikfestival. Ich konnte das erst glauben, als der Vertrag unterzeichnet war. So gründete ich mit Helmut Neumann die Firma Asphalt Tango Records und wir lernten, von Null auf, eine Band zu managen. Es war der Auftakt für eine erfolgreiche Karriere als Tourneenkrieger.

Wie blicken Sie auf die 25 Jahre Erfolg zurück?

Wir hatten das Mega-Glück, ein Vierteljahrhundert durch die Welt zu ziehen und Menschen zu begeistern. Irgendwie haben wir einen Kultstatus in der Musikszene von Punk bis Klassik erreicht. Dafür sind wir unendlich dankbar. Und wir sind sehr stolz darauf, dass eine Blaskapelle, die aus Roma gebildet ist, die aus einem unbekannten Dorf stammen, dessen Namen kein Mensch aussprechen kann, in den größten Konzerthäusern gespielt und die schönsten Hauptstädte gesehen hat.

Die Konzerte der Fanfare sind explosiv, die Zuhörer sind total hingerissen, tanzen, fordern immer eine intensive Zugabe. Was erwartet uns bei der „25 Year Anniversary Tour“, die im Herbst in Rumänien ankommt?

Die Band wird auf dieser Anniversary Tour das neue Album „It Wasn’t Hard To Love You“ („Es war nicht schwer, euch zu lieben“) live auf der Bühne vorstellen – ein explosives Gemisch aus traditionellen, aber zeitgenössischen Kompositionen. Es ist eine Ode an unsere Fans. Hundertprozent tanzbar und unterhaltsam. 

Fanfare Ciocârlia ist im Ausland sehr bekannt und respektiert. Sie hat bei den wichtigsten Festivals der Welt gespielt, bei der Nobelpreis-Gala etc. Ist sie mittlerweile auch im eigenen Land bekannt geworden?

Mittlerweile ist die Band auch in Rumänien bekannt, allerdings nicht im populären Sinne, sondern eher bei Leuten, die im Ausland waren und sie dort erlebt haben. Die Fanfare spielt nun seit zehn Jahren einmal im Jahr in Rumänien - bei Festivals wie beispielsweise Electric Castle, Jazz in the Park, TIFF (Anm. d. Red.: Internationales Filmfestival Klausenburg). Ironischerweise wird sie von Ausländern oder Organisatoren eingeladen, die uns von den Auftritten außerhalb von Rumänien kennen. Der normale Durchschnittsbürger kennt sie noch nicht. Hinzu kommt, dass es natürlich auch ganz viele Konfusionen gibt mit den vielen Kopien, die es am Markt gibt.

Gerade vor Kurzem gab es in den sozialen Medien wieder rassistische Kommentare…

Authentizität und eine ehrliche Ausdrucksweise sind die wichtigsten Zutaten, die Künstler brauchen, um Herzen zu erobern und Grenzen zu überschreiten. Wir sind stolz darauf, das seit über 27 Jahren dem Publikum zu schenken. Glücklicherweise hat man bislang von uns nur verlangt, authentisch zu sein und das zu machen, was wir am besten beherrschen. Im Jahr 2012, als wir in Oslo bei der Verleihung des Nobelpreises für Frieden aufgetreten sind, haben wir eine enorme Verantwortung gefühlt.

Vor Kurzem mussten wir aber mit Bedauern feststellen, dass es in Rumänien, dem Heimatland der Musiker, einem europäischen Land, im Jahr 2023, immer noch rassistische und fremdenfeindliche Aussagen gibt, die verantwortungslos und ohne jegliche Sanktionen im öffentlichen Raum kursieren. Die verlangen von uns, jemand anderes zu sein, als wir sind. Die Bandmitglieder sind Rumänen, ebenso wie die Leute, die böse Kommentare verbreiten. Der einzige Unterschied ist, dass wir Liebe, Tanz, Tradition und Freude verbreiten und hinterlassen werden. Wir haben Rumänien bei wichtigen Festivals wie Fuji Rock (Japan), beim Jazzfestival in Montréal (Kanada), bei Summerstage New York, City & Playboy Jazz Los Angeles (USA), beim Perc Pan Festival (Brasilien), bei Medellín Vive La Música (Kolumbien) und dem Cambridge Folk Festival usw. vertreten. Wir sind ein künstlerisches Phänomen geworden, das weltweit mit Enthusiasmus und Neugier aufgenommen wurde. Wir sind Künstler rumänischer Nationalität, die der Roma-Ethnie angehören. Auf beides sind wir stolz. Wir singen für eine diverse, tolerante Welt und werden das auch weiterhin tun, weil das unsere Welt ist. 

Wie hat sich die Coronavirus-Pandemie auf die Fanfare ausgewirkt?

Seit es Streaming-Plattformen gibt, sind Live-Konzerte die wichtigste Geldquelle. Mit Corona war dann auf einmal alles weg. Gleichzeitig sind die Produktionskosten für Konzerte so angestiegen, dass die einzige Erwerbsquelle langsam ausgedrückt ist. Das Label-Geschäft, CDs etc. gibt es nicht mehr.

Wie entwickelt sich das weiter?

Aufgrund der hohen Produktionskosten sind die Tickets teurer. Und manche Leute sind nicht bereit, diesen Preis zu zahlen. Unsere Rettungsanker sind extrem gute Lizenzverträge. Wir hatten Aufträge, Musik für Filme, wie beispielsweise die Komödien mit „Borat“ zu machen und für Firmen wie Windows, Guinness-Bier, Louis Vuitton, eBay usw.

Es geht also weiter…

Und ob. Während der Coronavirus-Pandemie sind zwei Bandmitglieder zurückgetreten, sei es, weil sie sich damals nicht haben impfen lassen wollen und wir noch Impfpässe brauchten, sei es, weil sie gemerkt haben, dass es riskant ist, nur von der Musik zu leben. So sind zwei neue Musiker hinzu gekommen. Der eine stammt aus Jassy, wohnt aber in Berlin, der andere lebt in einem Dorf in der Moldau. 2016 hat sich der Berliner Perkussionist Benedikt Stehle der Band angeschlossen. Diese Infusion von neuem Blut ist hervorragend, weil diese Musiker sehr motiviert sind. Somit wächst die Fanfare ständig und kann ihre Fans ständig aufs Neue überraschen.

Vielen herzlichen Dank für das Gespräch und viel Erfolg bei der Tour!