Ethik, Pressefreiheit und andere journalistische Herausforderungen

Auf der Journalistenkonferenz der Deutschen Botschaft für rumänische und deutsche Medienvertreter notiert

Die Journalistenkonferenz brachte vor allem rumänischen Kollegen interessante Einblicke in das deutsche Mediensystem. Foto: George Dumitriu

Jedes Medium hat Macht, doch jede Macht birgt auch Missbrauchspotenzial: Wer die rumänische Medienlandschaft kennt, kann sicher ein Lied davon singen. Pressefreiheit – ein hohes Ideal in jeder Demokratie – ist jedoch auch in Westeuropa kein automatischer Selbstläufer. Tatsächlich bedarf der Schutz dieses wichtigen öffentlichen Kontrollinstruments auch im demokratieerprobten Deutschland fortwährender Verteidigung gegen vielfältige Versuche der Einflussnahme.

Von der Wirksamkeit der hierfür entwickelten Methoden hängt eine möglichst freie Presse ab. Die in Deutschland etablierten Kontrollmechanismen aber sind nicht über Nacht entstanden, sondern haben sich seit dem Fall des Naziregimes über eine lange Zeit des Versuchs und Irrtums entwickelt. Verbesserungsversuche, die immer wieder aufgestoßene Hintertürchen jener, die Einfluss nehmen wollen, schließen sollen, zeigen, dass die Verteidigung der Pressefreiheit ein fortwährend andauernder Prozess ist. Dies ist vielleicht die wichtigste Botschaft an Rumäniens Journalisten und jene, denen im Sinne der Demokratie an einer möglichst freien, unabhängigen Presse gelegen sein muss.

Groß sind die Unterschiede in der Medienlandschaft zwischen beiden Ländern. Auch wenn man in Deutschland genau wie hierzulande eine Krise des investigativen Journalismus beklagt, der Umbruch von Print- zu Online-Medien hier wie dort für Verwirrung sorgt und Verlage auf wirtschaftlichen Druck mit Entlassungen reagieren, fangen langjährig etablierte Mechanismen wie Gewerkschaften oder der Presserat das vollständige Abbröckeln ethischer, qualitativer und arbeitsrechtlicher Standards immer noch wirkungsvoll auf. Vor allem aber herrscht allgemeiner Konsens über die Bedeutung einer freien Presse, ihre manchmal mühevolle Verteidigung wird letztendlich von staatlicher Seite unterstützt.

Um Unterschiede und Gemeinsamkeiten, Schwierigkeiten und Probleme unter Fachkollegen beider Länder frei diskutieren zu können, veranstaltete die Deutsche Botschaft am 4. und 5. September eine Journalistenkonferenz, zu der bekannte Medienvertreter aus Deutschland und Rumänien als Keynotespeaker geladen waren. Für die Verwertung der Resultate wurden die Chatham Regeln vereinbart, die eine Wiedergabe des Inhalts, nicht jedoch Rückschlüsse auf die jeweiligen Urheber erlauben.

Folgende drei Themenbereiche wurden in Diskussionspanels unter Beteiligung aller Teilnehmer vertieft:

1. Dokumentation, Datenbasen und ihre Grenzen; Keynotespeaker: Cristian Leonte (Pro TV), Bastian Obermayer (Süddeutsche Zeitung), Moderator: Gelu Trandafir (Freedom House)

2. Soziale und arbeitsrechtliche Aspekte der Journalisten; Keynotespeaker: Michael Konken (Deutscher Journalistenverband), Cristi Godinac (MediaSind), Moderator: Petrişor Obae (Pagina de Media)

3. Reglementierung: Freiheit der Massenmedien zwischen politischen und wirtschaftlichen Interessen, Keynotespeaker: Dan Grigore (eh. CNA Mitglied), Manfred Protze (Deutscher Presserat), Moderator: Mircea Toma (Activewatch).

In seiner Einführungsrede betonte der deutsche Botschafter, S. E. Werner Hans Lauk, die Bedeutung der Medien für die Demokratie und ihre Verantwortung als Filter und Meinungsbildner. Die rumänische Medienlandschaft zeichne sich immer noch durch unterentwickelte Rechtsinstrumente und mangelnde ethische Selbstkontrolle aus. Mit diesen Worten lud der Diplomat zu einer offenen Diskussion, „gerne aber auch zum Widerspruch“ ein.

Vergleich der deutschen und rumänischen Situation

Aus den Aussagen rumänischer Medienvertreter lässt sich folgendes Lagebild zusammenfassen:

  • In Rumänien wird die Presse seitens Politik und Wirtschaft entweder instrumentalisiert oder als Feindbild bekämpft. Beleidigungen, Angriffe oder Drohungen gegen „störende“ Journalisten sind an der Tagesordnung. 

 

  • Die Wirkung der Presseberichterstattung ist selbst bei Aufdeckung komplexer Zusammenhänge mit Fakten und Daten gering. Als Beispiele wurden erwähnt: die Holzmafia – seit 1996 werden fortwährend massive illegale Abholzungen dokumentiert, 360.000 Hektar Wald sind einfach verschwunden; Geldtransfers in Offshore-Gebiete; Nichtanführen von deklarationspflichtigen Lebensmittelzusätzen; gefälschte Statistiken zur angeblich geringen Rate nosokomialer Infektionen in rumänischen Spitälern im Vergleich zu Westeuropa – mit gegenteiliger Demonstration durch verdeckte Probennahmen… und vieles mehr. Die fehlenden Korrekturmaßnahmen auf Skandalberichte in den Medien wirken sich negativ auf das Vertrauen und die Nutzung des Instruments Presse als demokratisches Mittel seitens der Bevölkerung aus. Die Situation hat sich seit der Revolution verschlimmert, seit 1995 wenden sich kaum noch Bürger an die Presse um Hilfe. Journalisten beklagen eine „unglaubliche Trägheit der Parlamentarier“ und eine gleichgültige Haltung seitens der Behörden. Von allen brandheißen Themen seien es allenfalls soziale Missstände, die eine gewisse Beachtung fänden.

 

  • Journalisten in Rumänien sind nicht organisiert und auch nicht solidarisch genug, ihre Rechte bzw. Angriffe gegen die Pressefreiheit geschlossen zu verteidigen. Gewerkschaften finden mangels Wirksamkeit oder aufgrund der Furcht vor Nachteilen nur bedingt Zuspruch. 

 

  • Mehr als in anderen osteuropäischen Staaten seien Presse und Rundfunk hierzulande in der Hand von Moguln, die Berichterstattung in eigenem Interesse vorschreiben. Die mangelnde Transparenz des Marktes hätte eine Vielzahl von Investoren, die in anderen Ländern für Vielfalt sorgten, abgeschreckt.


Die Lage in Deutschland lässt sich im Vergleich wie folgt zusammenfassen:

  • Von politischer Seite herrscht Einigkeit, dass Pressefreiheit als demokratisches Mittel geschützt werden muss. Versuche einer Einflussnahme kommen zwar vor, werden jedoch in der Regel von den Redaktionen rigoros publik gemacht. Im Falle einer politischen Einflussnahme mit guter Wirkung, weil das Negativimage der Partei unmittelbar schadet. Auch gibt es Regeln, politischen Einfluss zu beschränken: Im Fernsehrat etwa sind nur 30 Prozent der Mitglieder als Vertreter politischer Parteien zugelassen. Ein maskierter politischer Einfluss wird jedoch eingeräumt, zumal Oberhäupter einiger Institutionen, die im Fernsehrat vertreten sind, ehemalige Politiker sind. 

 

  • Weniger transparent sind Einflussversuche von wirtschaftlicher Seite. Kleinere Verlage können zudem auf Kunden, die als Druckmittel gegen kritische Berichterstattung ihre Anzeigen zurückziehen, schwerer verzichten als große.  

 

  • Die geringe Umsatzsteuer von 7 Prozent sowie vergünstigte Posttarife signalisieren eine „subventionierende“ Haltung des Staates. Diskutiert wird, die Steuer sogar auf Null zu senken. Das Geld dürfe jedoch nicht an die Verlage gehen, sondern müsse der Journalismusfinanzierung direkt zugute kommen.

 

  • Interessen und Rechte der Journalisten werden durch Gewerkschaften vertreten. Lediglich Freiberufliche können nicht vertreten werden, da sie als Firmen gelten und damit gegen das Kartellbildungsverbot verstoßen würden. Gewerkschaften setzen sich ein für einheitliche Tarifverträge,bieten Rechtsberatung, Ausbildung und bezahlen Gehaltsausfälle wegen Streik.

 

  • Eine bedeutende Rolle als Kontrollorgan für Pressefreiheit spielt der Presserat. 

 

  • Qualität ist nach wie vor ein wichtiges Erfolgskriterium: Vor allem in Krisenzeiten stellte man fest, dass Kunden auf seriöse Medien zurückgreifen.


Wie hat sich nach dem Nazismus eine freie deutsche Presse entwickelt?

Der Versuch, die deutsche Presse nach der Hitler-Zeit zu regulieren, war der Anfang der Selbstregulierung. Jede Macht hat Missbrauchspotenzial und bedarf der Kontrolle – bei Medien gilt hierzu jedoch ein Widerspruch: Sie sind nur dann effizient, wenn sie frei sind, also verschiedene Standpunkte und Perspektiven existieren. Das verträgt sich nicht mit Regulierung durch ein Pressegesetz. Hinzu kommt, dass Politiker meist nicht nur Ausdrucksformen, sondern auch Inhalte regulieren wollen. Dies wäre jedoch Zensur! Ein Ausweg ist die Selbstregulierung in einem öffentlichen Prozess, die eine gesetzliche Regulierung erübrigt.

Dies war auch in Deutschland mit einem langen Weg verbunden, wie die „Spiegel“-Affäre von 1962 zeigt: Damals wanderten Journalisten wegen kritischer Berichterstattung über die Effizienz des Militärs – heute ein ganz normales Thema – sogar ins Gefängnis. Schnell wurde klar, dass hier noch alte Geister wirkten... Sogar bis in die 60er Jahre waren immer noch NS-Größen in Wirtschaft und Medien vertreten. Zum Beispiel der Gründer des „Stern“, Henri Nannen, zwar mittlerweile verstorben, doch geblieben ist bis heute ein nach ihm benannter Journalistenpreis. Anfangs schauten die Alliierten der deutschen Presse stark auf die Finger. Allerdings gab es in der schwierigen Transformation vom totalitären zum freien deutschen Staat niemals Medienkonzerne, die von Moguln mit politischen Interessen gesteuert wurden.

Gelegentlich kommt es auch heute vor, dass Politiker eine Redaktion mit Hinweis auf irreparablen Schaden für die Bundesrepublik darum bitten, von einer Berichterstattung über ein bestimmtes Thema abzusehen. „Dies prüfen wir dann zwar in der Redaktion, doch in der Regel berichten wir trotzdem“, räumte ein Journalist ein.

In Deutschland zunehmend umstritten ist das praktizierte Recht einer politisch tendenziellen Berichterstattung: Medien, die ein klar definiertes politisches Spektrum haben und bekanntermaßen parteilich berichten. Der größte deutsche Medienkonzern, Axel Springer, verlangt sogar als Teil des Arbeitsvertrags, das transatlantische Bündnis und die Freundschaft mit Israel zu unterstützten. Zuwidergehende kritische Berichterstattung kann bis zur Entlassung führen. Unter der Bedingung der Transparenz und dem Argument der Vielfalt in der Presseszene wird dieses Gebaren bislang akzeptiert. Freilich kann man sich fragen, ob es sich in einer geldbestimmten Welt nicht um eine Scheinvielfalt handelt...

Der Presserat als selbstregulierendes Organ

In Deutschland wird die Einhaltung eines gemeinsam festgelegten ethischen Kodex, der z. B. üble Nachrede, Anstiftung zur Straftat, Beleidigungen etc. verbietet, durch den Presserat gesichert. Prinzipiell hat jeder Leser das Recht einer Beschwerde, die Bearbeitung erfolgt gratis, eine Antwort wird garantiert. Das Gremium des Presserates, das vierteljährlich zusammentritt, entscheidet, ob die Beschwerde begründet ist sowie über das Maß der Sanktion. Härteste Sanktion gegen ein Medium ist die Rüge, die unter Namensnennung öffentlich gemacht wird und auch im eigenen Blatt abgedruckt werden muss. Sie wird als Negativbranding verstanden, was ihre Wirkung sichert. Geldstrafen werden aus zwei Gründen nicht verhängt: Zum einen darf nur das Gericht in Eigentum eingreifen, zum anderen würden dadurch finanzstärkere Medien bevorteilt. Berufsverbote oder Maßnahmen gegen einzelne Journalisten sind grundsätzlich ausgeschlossen. Beschwerden gegen einzelne Journalisten werden deswegen nicht angenommen, weil sonst potente Personen versuchen könnten, besonders kritische Berichterstatter zu eliminieren. Wenn ein neues Gesetz die Pressefreiheit einzuschränken droht, greift ebenfalls der Presserat ein.

Der Vorteil dieses Instruments ist vielfältig: Entlastung der Gerichte, die zudem für eine Urteilsfindung in der Regel Jahre brauchen. Diese Zeit würde Unsicherheit für Journalisten bedeuten und in übervorsichtiger Berichterstattung bis zum klärenden Urteil resultieren, was einer maskierten Zensur gleichkäme, d. h. sich unerwünscht auf die Pressefreiheit auswirkt. Die finanzielle Einsparung ist messbar und fließt zurück an den Presserat, der sich so finanziert.

In Deutschland ist die Tätigkeit im Presserat ehrenamtlich, Mitglieder werden von Unternehmerverbänden und Gewerkschaften entsandt und sind diesen nicht berichtspflichtig. In der Schweiz besteht der Presserat nur aus Journalisten. Hier sind verschiedene Modelle denkbar – ein Rat für Rumänien sei, das bestehende Vakuum zu füllen, die Form sei eher zweitrangig.

Auf den Einwurf rumänischer Teilnehmer, hierzulande würde das Urteil eines Presserates nicht akzeptiert, wurde entgegnet: Auch in Deutschland ist das Gefühl, zu Unrecht verurteilt worden zu sein, die Regel. Man würde sich dem Urteil dennoch unterwerfen, weil konsequenter Widerstand mit schlechter Reputation einhergeht. Außerdem hat selbst ein öffentliches „Wir sehen das anderes“ meist interne Handlungsänderungen zur Folge.

Versuche des Machtmissbrauchs – auch in Deutschland

Ein bedeutender Teil des ethischen Kodex – jedoch ein großes Problem in Deutschland – ist der Quellenschutz. Er ist die Basis jeder journalistischen Arbeit! Um Informanten, die für Hinweise oft ihre Existenz aufs Spiel setzen, zu schützen, müssen Redaktionen oft sogar gegen Übergriffsversuche des Staates eine Art Brandmauer aufbauen. Ein Beispiel hierfür ist die Einführung eines obligatorischen Datenschutzbeauftragten in jedem Unternehmen, der zur Kooperation mit Staatsorganen verpflichtet sei. Daraufhin schaltete sich der Presserat ein, monierte einen Eingriff in die Pressefreiheit und verlangte eine Sonderregelung. Das Parlament billigte daraufhin dem Presserat die Verantwortung für den Datenschutz zu.

In der Vergangenheit versuchten staatliche Organe gelegentlich eine Unterwanderung des Redaktionsgeheimnisses. Vor allem in Fällen, in denen offensichtlich Insider Finanz- und Steuergeheimnisse verraten hatten, ist man an einer Aufdeckung des Namens um jeden Preis interessiert. Um an diesen zu gelangen, strengte man ein Verfahren gegen die Redaktion wegen Anstiftung zum Bruch des Amtsgeheimnisses an. Ziel war, die Festplatten zu beschlagnahmen – vorgeblich, um dort Hinweise für eine solche Anstiftung zu finden. Tatsächlich hoffte man, dort auf den Namen des Informanten zu stoßen. Gegen solche Vorgehensweisen wehrt man sich inzwischen erfolgreich, versicherte der Vertreter des Presserats.

Als Resümee der Veranstaltung wurde deutlich, wie Mechanismen zum Schutz der Pressefreiheit aussehen können, auch wenn das deutsche System vielleicht kein in identischer Form übernahmefähiges Exportmodell für Rumänien darstellt. Aber auch, dass man hierfür Zeit braucht! Zeit, um aus den Fehlern zu lernen.