Europa funktioniert nicht wie Teleorman

ADZ-Gespräch mit dem Europaparlamentarier Siegfried Mureşan

Der Europaparlamentarier Siegfried Mureşan (rechts) nahm in Hermannstadt am Flashmob von VăVedem teil.
Foto: facebook.com/vavedemdinsibiu

Anfang Februar ergab sich anlässlich eines mehrtägigen Aufenthaltes des Europaparlamentariers Siegfried Mureşan (PMP) in Hermannstadt/Sibiu auch ein Gespräch mit der „Allgemeinen Deutschen Zeitung für Rumänien“ zu aktuellen Themen der rumänischen Politik und den damit verbundenen Ereignissen des öffentlichen Lebens. Hauptgrund des Besuches waren eigentlich zwei Gespräche mit der Lehrerschaft und den Schülern der Brukenthalschule, aber auch der Austausch mit verschiedenen Vertretern der Lokalverwaltung und einiger öffentlicher Einrichtungen. Vom Besuch und den Gesprächen mit den Elftklässlern der Brukenthalschule zeigte sich der Europaparlamentarier begeistert und ermutigt; ihm zufolge bezeugten diese ein reges Interesse für EU-verbundene Themen und brachten selber Gegenstände wie Populismus oder Rechtsstaat zur Sprache, was für einen regen Austausch während des anderthalbstündigen Treffens sorgte. Teil des Aufenthaltes war auch die Teilnahme an einem der Flashmobs der zivilen Plattform VăVedem, an deren Ausstellungseröffnung und den Flashmobs in Brüssel der Europaparlamentarier Ende Januar teilnahm und bei dieser Gelegenheit versprach, auch in Hermannstadt dabei zu sein. Mit Siegfried Mureşan sprach Vlad Popa.
 

Hatten Sie in Brüssel auch die Gelegenheit, sich mit den Vertretern von VăVedem eingehender zu unterhalten?

Ja, ich traf sie insgesamt viermal: bei der Eröffnung der Fotoausstellung, bei zwei darauffolgenden Flashmobs und anschließend im Parlament, wo wir Gelegenheit zum Gespräch hatten. Sie machten dabei einen guten Eindruck, sie zeigten, dass sie wissen, was sie wollen, und zeigten sich insgesamt energisch, ehrlich, korrekt, frei, und dass sie von einem angemessenen Wertekonstrukt angetrieben sind. Mit begrenzten, fast inexistenten Ressourcen versuchen sie, die Dinge voranzutreiben.
 

Welches Ergebnis kann eine solche Form des Protestes haben?

Ein Jahr nach Beginn der Proteste in Rumänien habe ich den Eindruck, dass Europa gut unterscheidet zwischen den Erwartungen der Menschen und dem, was die Politiker liefern. Europa versteht klar – und ich beziehe mich nicht nur auf die Politik, sondern auch auf bedeutende Medienportale – dass die Menschen für Gerechtigkeit protestieren, dass sie sich eine bessere Regierung wünschen, als was zurzeit geboten wird, und sie schätzen es, dass sie das im Namen der europäischen Werte und mit der EU-Flagge tun. Das macht viel aus für das Image des Landes angesichts der Tatsache, dass die Beziehungen zwischen der Regierung in Bukarest und dem restlichen Europa vor einem Wendepunkt stehen. Einerseits haben wir die bedeutendsten Möglichkeiten seit dem EU-Beitritt, vor allem Dank der rumänischen Präsidentschaft des EU-Rates 2019, andererseits das problematische Verhältnis zur Regierung.

Es ist ein konfuser Rahmen, in welchem die EU sehr daran interessiert ist, dass Rumänien ein verlässlicher Partner bleibt, der den Rechtsstaat respektiert und einen proeuropäischen Kurs beibehält. Gleichzeitig muss die EU aber mit einer Regierung arbeiten, welcher sie nicht vertraut. In diesem Kontext ist diese Botschaft der Menschen, dass sie sich zu Europa und den europäischen Werten bekennen, äußerst wichtig und legitimiert auch den Druck der europäischen Einrichtungen auf die Regierung, welchen ich für notwendig halte. Die gute Nachricht ist, dass Europa aktiv ist und sich in Rumänien einbringt, und was wir in den letzten zehn Tagen gesehen haben, ist nur der Anfang.
 

Wie sehen Sie das Jahr 2019 angesichts der aktuellen politischen Lage und der Tatsache, dass so gut wie keine konkreten Schritte zur Vorbereitung der EU-Präsidentschaft sichtbar sind?

Die Präsidentschaft ist schlecht vorbereitet. Die Regierung hinkt bei diesem Thema hinterher, was auch im Fall des letzten Premierministers sichtbar war, der, abgesehen davon, dass er kein Vertrauen genossen hat, auch kein Verständnis für die Art und Weise gehabt hat, wie Europa funktioniert. 2019 blickt ganz Europa auf Rumänien und wir werden die Gespräche zu essentiellen Themen der EU leiten müssen, sie zu einem Ergebnis führen und für uns, aber auch für Europa gute Entscheidungen treffen. Leider haben wir auch aktuell einen Premier, der kein Verständnis hierfür hat. Es ist ein Mythos, dass Frau Dăncilă nur weil sie Europaparlamentarierin war, deshalb bekannt ist und geschätzt wird. Zig Kollegen haben mich gefragt, wer sie sei, vor allem weil diejenigen, die in einer neunjährigen Tätigkeit etwas erreicht haben, bekannt sind. Wir haben eine unzureichend interessierte und mit Fähigkeiten und Kenntnissen ausgestattete Regierung und Europa wird nicht nach den Regeln in Teleorman funktionieren. Dementsprechend stellt das ein Risiko für die Präsidentschaft dar, zumal es eine Zeit sein wird, in der wesentliche Entscheidungen unvermeidbar sein werden, siehe Brexit oder das Inkrafttreten der Abkommen während der Übergangsphase, das sind extrem schwierige politische Angelegenheiten.
 

Diese schlecht besetzte Regierung, die Sie erwähnten, könnte es in einigen Monaten gar nicht mehr geben.

Ich fürchte, dass Frau Dăncilă gewillt ist, alles zu tun, was ihr Liviu Dragnea abverlangt. In seinen Augen qualifiziert sie das, lange an der Spitze der Regierung erhalten zu werden. Das muss nicht unbedingt der Fall sein, aber die Anzeichen der jüngeren Vergangenheit geben Grund zur Sorge. Ich glaube nicht, dass diese Menschen an der Leitung der parlamentarischen Mehrheit, die über die dort vorhandenen Hebel verfügen, sich in irgendeiner Weise ändern und Frau Dăncilă etwas anderes abverlangen werden, als was sie den Herren Grindeanu und Tudose abverlangt haben. Ich befürchte, dass sie bereit sein wird, diesen Wünschen bedingungslos Folge zu leisten. Eben darum ist es wichtig, dass diese Diskrepanz zwischen den Erwartungen der Menschen und der Politik sichtbar ist.
 

Sind in diesem problematischen Kontext auch konkrete Maßnahmen der EU oder gar Sanktionen zu erwarten?

Ja. Erstens ist beispielsweise der Kooperations- und Kontrollmechanismus (MCV) nicht nur ein Bericht, der jährlich erscheint, sondern ein Mechanismus, durch welchen Experten der europäischen Einrichtungen, Richter und Staatsanwälte der Mitgliedstaaten die gute Arbeitsweise der Einrichtungen, die Situation in der Justiz und die Risiken seitens des rumänischen Parlaments regelmäßig auswerten. Die Instrumente, mit denen die EU den nötigen Druck ausüben kann, sind gegeben. Zweitens hat die EU den Beschluss gefasst, sich aktiver einzubringen, sollte in einem der Mitgliedstaaten der Rechtsstaat aus den Fugen geraten. Wenn weiterhin Risiken für den Rechtsstaat bestehen, werden die verfügbaren Instrumente herangezogen oder gar neue entwickelt.
 

In diesem Kontext meinte Herr Minister Meleşcanu, dass die EU-Finanzierungen nicht als ein solches Instrument verwendet werden könnten oder dürften, um die Justiz auf einem bestimmten Kurs zu halten.

Herr Minister Meleşcanu hat in letzter Zeit eine lange Reihe unnatürlicher Behauptungen gemacht. Er meinte beispielsweise, dass, wenn wir abgesehen von den nicht rückzahlbaren EU-Mitteln, welche Rumänien zugesprochen bekommt, auch die Gewinne der ausländischen Unternehmen berücksichtigen, das Ergebnis für die EU nicht so schlecht sei. Eine Erklärung mit offensichtlich euro-skeptischer Botschaft. Rumänien hat seit seinem EU-Beitritt mit 14 Milliarden Euro zum EU-Haushalt beigetragen und wurde dafür mit 43 Milliarden Euro finanziert. Nach Abzug des Beitrags zum Haushalt, ergibt das Einnahmen im Wert von 29 Milliarden Euro, hier sind aber viel mehr Faktoren Teil der Gleichung. Egal wie man es betrachtet, war der EU-Beitritt ein großer Erfolg für Rumänien und die EU stellt für alle einen Gewinn dar. Die Erklärungen des Herrn Meleşcanu gehören bestenfalls ins 19. Jahrhundert und haben nichts gemeinsam mit der Art, wie sich Rumänien 2018 und 2019 in Europa verhalten sollte.
 

Wie können sich die aktuelle politische Lage und diese mehr oder weniger euroskeptischen Einstellungen auf den Schengen-Beitritt Rumäniens auswirken?

Rumänien erfüllt die technischen Bedingungen und die EU-Kommission bestätigt es. Im letzten Halbjahr gab es wiederholte Anfragen beim Ministerrat, der das letzte Wort betreffend den Beitritt Rumäniens und Bulgariens hat. Es bestehen jedoch Bedenken einiger Mitgliedstaaten und wir müssen uns fragen warum es diese gibt, sie versuchen zu verstehen und zu bekämpfen. Es bedarf der Staatsleute, die in der Lage sind, das Vertrauen der anderen Staaten zu gewinnen. Am Ende des Tages ist es unwichtig, ob diese Bedenken begründet oder unbegründet sind, solange dieses Vertrauen nicht besteht, dass die von Rumänien erzielten Erfolge ausreichend und irreversibel sind. Andererseits kann der Schengen-Beitritt Rumäniens und Bulgariens angesichts der Risiken der jüngsten Vergangenheit für die Sicherheit Europas und im Licht der aktuellen und zukünftig hinzukommenden Sicherheitsmechanismen nur einen Gewinn bedeuten. Ein wichtiger Punkt ist, vor allem im Sinne der aktuellen Gespräche zur Zukunft der EU, die Befürchtung auf rumänischer Seite zu bekämpfen, dass Rumänien für immer ein Mitgliedstaat zweiter Klasse sein wird. Das glaube ich nicht. Diesen Eindruck hat mir niemand gegeben, als ich den EU-Haushalt in Höhe von 160 Milliarden Euro in die Hände bekam, um ihn für dieses Jahr auszuhandeln, aber es gibt Leute, die das glauben. Dem Risiko, dass dieser Komplex von nationalistischen Politikern aufrechterhalten wird, um den europäischen Werdegang Rumäniens zu beeinträchtigen, kann durch den Beitritt Einhalt geboten werden.
 

Denken Sie, dass ein mögliches Referendum betreffend die Justiz und die allgemeine politische Richtung Rumäniens etwas bringt?

2014 haben die Menschen das getan, was richtig und notwendig war. Sie haben sich mobilisiert und haben vermieden, dass Victor Ponta Präsident wird. Die Tatsache allein war aber nicht ausreichend, weil anlässlich der Lokal- und der Parlamentswahlen mit der Wahl der fähigen und ehrlichen Kandidaten nicht weitergemacht wurde. So kam es bei den Lokalwahlen zu Kandidaten, die gewählt wurden, obwohl sie sich unter juristischen Auflagen oder gar im Gefängnis befanden. Setzt man diese Macht in die Hände der falschen Leute, so wie es 2016 der Fall war, sind die Möglichkeiten anschließend begrenzt. Die Regierungen Grindeanu und Tudose waren schlecht und die Regierung Dăncilă wird auch schlecht sein, aber sie haben die Mehrheit. Jede außerparlamentarische Initiative macht bis zur nächsten Parlamentswahl sehr viel aus. Auch wenn sie keine sofortige Wirkung zeigen, haben sie zwei Vorteile: Sie halten die Flamme betreffend die Erwartungen der Menschen am Leben und die Wähler werden zweimal überlegen, bevor sie bei den nächsten Wahlen ihre Stimme unfähigen und unkorrekten Politikern geben.
 

Denken Sie, dass der Präsident und die Zivilgesellschaft gemeinsam stark genug sind, um die Regierung auf dem richtigen Kurs zu halten?

Zurzeit denkt die Mehrheit der Bewohner anders als die parlamentarische Mehrheit. Diejenigen, die Gerechtigkeit fordern, sind in erfreulich hohen Zahlen auf die Straße gegangen, und ich glaube, dass ihre Zahl noch höher ist. Diese Mehrheit muss aber bis zum Tag der Wahl bestehen bleiben.
 

Wie stark zieht der Skandal, in welchen die Antikorruptionsbehörde verwickelt ist, das Bild Rumäniens in Mitleidenschaft, bzw. wie sichtbar ist dieser Skandal?

Der Skandal beeinträchtigt das Image Rumäniens nicht, weil sich die internationale öffentliche Meinung und die Europäer im letzten Jahr ein Bild über die Ereignisse in Rumänien gemacht haben und das ist das folgende: Die Menschen wollen Gerechtigkeit, ein gut regiertes Land, gleiches Recht für alle, Rechtsstaatlichkeit und europäische Werte. Nur einige Politiker wollen schwache Einrichtungen, die sie kontrollieren können. Diese Situation zwischen der DNA und den Korruptionsverdächtigen oder gar erwiesenen, verurteilten Straftätern bestätigt das. Europa unterscheidet zwischen ehrlichen und korrupten Politikern und die EU steht den ehrlichen Menschen zur Seite.
 

Glauben Sie, dass die letzten Entwicklungen zur Entlassung der Chefermittlerin Laura Codruţa Kövesi führen werden, bzw. sollte sie zurücktreten?

Ich denke nicht, dass die Angriffe von Straftätern auf die Ermittler einen Grund zum Rücktritt darstellen. Es gibt klare institutionelle Verfahren betreffend die eventuellen Mängel in Verbindung mit der Tätigkeit der Ankläger. Der Oberste Magistraturrat und die Justizaufsichtsbehörde sind mit der Prüfung der Einhaltung des Gesetzes, der Kompetenzkriterien und der Berufsethik in der Tätigkeit der Magistraten betraut. Sollten Mängel festgestellt werden, müssen diese laut Gesetz berichtigt werden. Wenn aber die Diebe rufen, dass die Staatsanwälte zurücktreten müssen, glaube ich nicht, dass diese es auch tun müssen. Vielmehr glaube ich, dass ein mit der Arbeit der Staatsanwälte unzufriedener Dieb der Beweis dafür ist, dass diese ihre Arbeit gut machen.
 

Wie ordnen Sie die Stellungnahmen der Chefermittlerin Kövesi, des Justizministers Toader und des Präsidenten Johannis Mitte Februar ein?

Die Stellungnahmen der Chefermittlerin der DNA, Laura Codruţa Kövesi, und des Präsidenten Klaus Johannis sind natürliche Reaktionen. Jede Institution muss ihre Aufgabe erfüllen. Der Justizminister muss seine Auswertung vorstellen, der Präsident muss über das gute Funktionieren der staatlichen Einrichtungen wachen und die Chefermittlerin der DNA muss ihre Aufgaben entsprechend dem Gesetz erfüllen.
 

Vielen Dank für das Gespräch!