Fake News: an den Fäden des globalen Marionettentheaters

Instrument der informationellen Kriegsführung – oder unvermeidliches Nebenprodukt der Demokratie?

„Fake News: Gefahr für die Demokratie?“ war das Thema der fünften deutsch-rumänischen Medientagung.
Foto: die Verfasserin

Seit dem Wahlkampf von Donald Trump gibt es ein neues Modewort: Fake News. Nicht etwa, dass das Phänomen an sich neu wäre. Was aber unterscheidet Fake News von harmlosen Lügengeschichten? Was macht sie erst gefährlich? „Wer Fake News verbreitet, hat ein konkretes Anliegen“, warnt Ines Pohl, Chefredakteurin der Deutschen Welle. Als unvermeidliches Nebenprodukt der demokratischen Welt bezeichnet sie hingegen Wolfgang Scheida, Ressortleiter für Community & Social Media der Zeitung „Die Welt“. Haben sie vielleicht sogar einen Nutzen, nämlich, Diskussionen auszulösen? Oder sollte man ihre Urheber verfolgen, deren Webseiten und Social Media Konten verbieten und blockieren, wie Lucian Mîndruță, Journalist und Dozent an der Uni Bukarest, fordert?

„Fake News: Gefahr für die Demokratie?“ lautete das kontrovers diskutierte Thema der diesjährigen deutsch-rumänischen Medientagung, die am 7. November zum fünften Mal von der deutschen Botschaft Bukarest in Kooperation mit der Deutschen Welle organisiert wurde. „Dass das Thema angesichts der hiesigen Innenpolitik gerade Aktualität hat, brauche ich Ihnen wohl nicht zu sagen“, leitet Botschafter Cord Meier-Klodt die Veranstaltung ein. Doch was sind überhaupt Fake News? Gelogen wurde schon immer, „am meisten vor der Wahl, während des Krieges und nach der Jagd“, zitiert er schmunzelnd Bismarck.

Digitales Schlachtfeld

„Die Verleumdung ist ein Lüftchen, leicht kann es zum Orkan werden“, unkt Moderatorin Christel Ungar-Țopescu, Und zitiert Umberto Ecco über die Urheber von Falschmeldungen: „Früher einmal standen diese Schwachköpfe leicht beschwipst am Tresen und gaben ihren Schwachsinn zum Besten, die anderen lachten darüber, und die Sache war erledigt. Heute tummeln sie sich im Netz.“ Es ist die digitale Revolution, die massive und anonyme Verbreitung erlaubt,  die Fake News erst gefährlich macht. „Dabei sind Social Media ein tiefdemokratisches Instrument, weil jeder dort publizieren kann“, verteidigt Ines Pohl die Online-Dienste. Doch hatte sie auch deren Missbrauch zur Zeit des Wahlkampfs in den USA hautnah miterlebt. Social Media wurden gezielt eingesetzt, um Angst und Unsicherheit zu schüren: „Trump hat sie in ein digitales Schlachtfeld transformiert!“

„Russia-Terraforming“

Urheber von Fake News wollen Denkweisen ändern, vermittelt Lucian Mîndruță. „Russia-Terraforming“ nennt er die im Untergrund betriebenen Aktionen Russlands, in Anlehnung an Terraforming – einen unbewohnbaren Planeten durch menschlichen Eingriff in eine eine zweite Erde zu verwandeln. Das Ziel von Russia-Terraforming: Europa der rumänischen Gesellschaft zu entfremden, einen Keil zwischen West und Ost zu treiben, die Bereitschaft zur Abspaltung von der EU zu fördern. „Es ist nicht direkt russische Propaganda, eher ein subtiler Versuch der Umerziehung“, präzisiert Mîndruță. Die Drahtzieher bleiben im Dunkeln, agieren verdeckt wie Geheimdienste. Gezielt werden rumänische Nationalisten unterstützt, ihre Gedanken – etwa, ausländische Firmen seien Ausbeuter oder die EU sei eigentlich schuld an den Problemen des Landes - propagiert. Den Minderwertigkeitskomplex der Rumänen soll Stolz einflößende, romantisierte Geschichte kurieren: Hier sei die erste Schrift erfunden (Tartaria-Täfelchen), die lateinische Sprache entstanden (Vulgärlatein als Dakersprache). Ins Unterbewusstsein sickert ein: „Wir Rumänen sind besser und edler als die anderen - primitive Ausbeuter halten uns klein.“ So wird Misstrauen geschürt, Verschwörungstheorien Aufwind verliehen. „Wenn Fake News Nationalismus und Opportunismus fördern und die Gesellschaft spalten, dann haben wir ein Problem“, diagnostiziert der deutsche Botschafter. Um unsere Gesellschaft und die EU zusammenhalten zu können, müssten wir „unser Immunsystem stärken“, uns gegen die herumschwirrenden Fake News-„Viren“ wappnen.

Mîndruță zählt weitere Beispiele auf: die Schweinepest  sei vom Westen erfunden oder von dort infiltriert worden. Ceaușescu wird gelobt, ihm sei die Transfagarascher Hochstraße und andere „gute Taten“ zu verdanken (während es heute kaum Autobahnen gibt!). Es liegen zwar keine Beweise vor, dass die Russen hinter den Aktionen stehen, räumt er überraschend ein. Doch die genannten Beispiele stammten alle von einer in Panama registrierten Webseite, die jede Stunde neuen Content produziert, über ein Redaktionsteam und Übersetzerkräfte verfügt, deren Urheber und Financier jedoch nicht zu ermitteln sei. Allerdings sei erkennbar, dass einiges Material aus dem Russischen übersetzt wurde. Die Plattform wechselt alle paar Monate den Server - klar, dass es hier etwas zu verbergen gibt. Mîndruță empfiehlt die digitale Blockierung solcher Medien: „Das sind Soldaten, keine Journalisten!“

Darf Demokratie zensieren?

Auch wenn die Gefahr als real erkannt wird, eckt der Vorschlag vielfach an. „Ich teile Ihre Verzweiflung“, wendet sich Pohl an Mîndruță. Seine Ansicht teilt sie nicht. „Da stecken Menschen dahinter. Wir müssen andere Antworten finden, als sie auszuschalten.“ Man dürfe aus Angst vor dem Tod nicht Selbstmord begehen, die Instrumente der freien Meinungsäußerung zerstören, warnt sie als Befürworterin der Social Media. Hinzu kommt, dass Zensur ein Thema nur  interessanter macht.

Demokratie beinhaltet immer auch die Gefahr der Selbstzerstörung. Nur konsequent gelebte Werte können sie erhalten. Darf man vor diesem Hintergrund das Äußern von Gedanken, die nicht „mainstream“ sind (sofern sie nicht zu Straftaten oder Gewalt aufrufen) zensieren? Ist es verwerflich, die Ansicht zu vertreten, die Tartaria-Täfelchen repräsentierten die erste Schrift - oder ist es das nur im nationalistischen Kontext? Ist es nationalistisch, wenn man rumänische Produkte als gesünder anpreist als Importware? Denn auch dieses Beispiel wurde von Mîndruță genannt. Worauf ein Teilnehmer mit einer Aussage von Starkoch Jamie Oliver konterte, der nur das britische Schwein als qualitativ hochwertig empfiehlt... Und wer hat in einer Welt, in der Geheimdienste und Experten über informationelle, psychologische und biologische Kriegsführung diskutieren, den Durchblick, um Verschwörungstheorie von realer Möglichkeit scharf zu trennen? Hängt das, was wir glauben, nicht stark vom kulturell geprägten Erfahrungshintergrund ab – anerzogenes Urvertrauen im Wohlstand gegen jahrzehntelang erlebte Willkür und Unsicherheit?

„Religiöser“ Fanatismus

Wie kann man gefährliche Fake News identifizieren? Ines Pohl liefert einen wichtigen Hinweis. Über die Ereignisse im US-Wahlkampf sagt sie: „Was da passierte, ist schon fast Religion! Die Anhänger von Trump wollen ihm glauben - ob es wahr ist oder nicht.“ Fanatismus sollte hellhörig machen. Man erkennt ihn an starker emotioneller Energie und fehlender Argumentation.

Nicht gerade hilfreich in diesem Zusammenhang: die Tendenz der Medien zu immer kürzeren Meldungen, die gar keinen Platz mehr für differenzierte Ausführungen lassen. Hinzu kommt, dass aus Geldmangel heutzutage oft nicht mehr selbst recherchiert wird, kritisiert Pohl weiter. „Im Journalismus demonstrieren wir Glaubwürdigkeit, wenn wir mit eigenen Augen sehen, hören, hinterfragen, argumentieren.“ Doch viele junge Kollegen hätten die Fähigkeit, Fragen zu stellen und zuzuhören, verloren oder nie erworben. Es gibt ja das Internet! Hinzu kommt die Tendenz, sich nur in der eigenen Meinungsgruppe zu bewegen. „Konfrontiert euch mal mit dem Gegenteil“, fordert sie heraus. „Versucht, Facebook-Freunde zu finden, die eine andere Richtung verfolgen - als politische Horizonterweiterung.“

Öffnet das Internet Horizonte? Gewiss. Doch  Suchmaschinen, Tracker und Cookies sorgen dafür, dass User bevorzugt mit maßgeschneidertem Content nach bisher gezeigtem Interessenprofil beliefert werden. Automatisch wird so ein Denkprofil verstärkt. Gefährlich wird dies, wenn Extremdenker, die sonst keine Beachtung finden, im Internet aktiv werden. „Angry People click more“ - je wütender der Mensch, desto eher trifft dies zu, warnt Pohl. Sympathiebezeugungen Gleichgesinnter verschaffen ihm dann die ersehnte Aufmerksamkeit, bestärken ihn in seinem Tun. So wird Hass geschürt und verbreitet.

„Religiöser“ Fanatismus ist generell ein Indikator für  mangelnde Wahrheitsfindung. Scheida erwähnt die Debatte „Impfen – Pro und Kontra“ als Beispiel, dass Fake News einen positiven Nebeneffekt haben können, weil sie wichtige Diskussionen auslösen. Ein Blick hinter die Kulissen zeigt jedoch zu diesem Thema, dass stark polarisiert und kaum wirklich miteinander diskutiert wird: null Toleranz, nur gegenseitige Diskreditierung. Fanatismus - auf beiden Seiten.

Das perfide Spiel mit der Angst

Was macht Menschen empfänglich für Fake News? Ines Pohl nennt als Beispiel die falschen Zahlen, die im Zusammenhang mit Vergewaltigungen deutscher Frauen durch syrische Männer publiziert wurden. Während gewisse Medien damit Angst vor Migranten schürten, scheuten sich andere, solche Fälle überhaupt zu erwähnen, um die Fake News nicht zu bestätigen. Pohl findet diese Strategie falsch: „Wir müssen auch über Dinge berichten, die uns weh tun.“

Auch im US-Wahlkampf wird die Rolle der Angst deutlich: Der Erfolg von Trump sei dem Versagen der Demokraten zuzuschreiben, meint Pohl. „Die New York Times, CNN und andere Medien richteten sich gemütlich im liberalen Weltbild ein und vergaßen, den Menschen zuzuhören.“ Etwa dem Farmer, der an der mexikanischen Grenze lebt, wo Drogenbosse agieren, der dort täglich bedroht wird und sich selbst verteidigen muss. „Er hat deshalb Trump gewählt!“

Angst bewirkt, dass Menschen Beschützer oder Gleichgesinnte suchen. In der Gruppe fühlt man sich stärker. Wer Angst gezielt instrumentalisiert, lenkt die Stränge des globalen Marionettentheaters! Medien könnten hier eine wichtige Rolle spielen: Menschen mit Ängsten – auch unpopulären wie Xenophobie – ernst zu nehmen und ihnen zuzuhören. Eine Reportage kann Anlass sein, das Problem  differenziert zu beleuchten, verzerrte Perspektiven zurechtzurücken - die Reaktionen darauf, der Öffentlichkeit auf den Puls zu fühlen. Statt dessen wird oft schwarz-weiß gezeichnet. Es gibt Tabuthemen: Man darf Impfungen nicht kritisieren. Man darf Ceaușescu nicht „loben“. Ihn in einem Munde mit der spektakulären Transfagarascher Hochstraße zu erwähnen, verstößt gegen die Etikette...

Doch gibt es die eine, reine Wahrheit? Oder ist vieles eine Frage der Perspektive, wie Pohl mit einem Erlebnis illustriert:  Als sie nach längerem Aufenthalt in Asien nach Berlin zog, erschien ihr die Stadt sauber und herrlich grün. Ihre Eltern, die auf dem Land lebten, fällten ein ganz anderes Urteil: Berlin sei schmutzig und stinke.

Das EU-Gärtchen gemeinsam beackern

Wie also umgehen mit dem Phänomen? „Man muss Feindbeobachtung betreiben“, empfiehlt Pohl. „Doch dann nicht angreifen, sondern darüber berichten.“ Auch Ungar-Țopescu spricht sich vehement gegen Zensur aus, plädiert für Information und Erziehung. Die Ansatzpunkte gegen Fake News: Aufklärung, Sensibilisierung, Bildung.

Noch etwas fällt auf: Fake News verraten sich nicht nur durch Fanatismus, sie zeigen auch keinen Humor. Könnte humorvolle Gegenargumentation ein Mittel sein, um beim Leser anzukommen? Der Witz als Ventil für Kritik hat sich gerade in Rumänien schon zur Zeit des Kommunismus bewährt.

„Keine Angst vor Fake News“, relativiert hingegen Scheida. Für ihn gibt es keine unmittelbare Wahrheit, kein schwarz oder weiß. „Fake News sind Teil der Demokratie, Teil der freien Meinungsäußerung“ - und damit unvermeidlich. In Deutschland zumindest lösen sie Diskussionen aus, die anderweitig nicht entstanden wären. Fake News zeigen wie rote Lämpchen, wo Aufklärungsbedarf besteht.

Auf Aufklärung setzt auch Adelheid Feilcke, Leiterin der Hauptabteilung Europa der DW: „Wenn wir unser Gärtchen nicht gemeinsam beackern, fliegt uns Europa irgendwann um die Ohren!“ „Wie können wir Lust auf Europa machen?“ fragte sie sich. Faktencheck lautet das Zauberwort - doch den muss man in eine interessante Geschichte packen. „Stimmt das eigentlich, dass uns die EU mit Flüchtlingen überrennen will?“ Die Frage lässt aufhorchen. Um Einwanderer aus Rumänien über Deutschland korrekt zu informieren, hatte sie eine Info-Plattform eingerichtet, und weil sich das Modell bewährt hat, soll es nun ausgeweitet werden, um in Osteuropa über die EU zu informieren: Ab Dezember wird das Europeo-Magazin in verschiedenen Ost-Sprachen in ansprechender Weise kursierende Fake News über die EU richtigstellen.

Ist Rumänien anders?

Fake News gibt es überall. Dennoch herrscht in Rumänien eine Sondersituation, wie ein Teilnehmer bemerkt: „Bei uns kommen drei Viertel der Fake News von den Ministerien und der Regierung.“ „Wir haben keine Mainstream-Presse, an der man sich orientieren kann“, klagt ein anderer. „Fake News, die bei uns enttarnt werden, machen zwei-drei Tage Skandal, danach hört man nichts mehr. In Deutschland lösen sie lange Diskussionen aus“, bemerkt auch Robert Schwartz, Leiter der DW Rumänien. „Populisten werden gewählt und kommen an die Macht, auch in Ländern, wo man es nicht erwartet hätte, in Nordeuropa oder Deutschland“ relativiert ein anderer Teilnehmer. Schwartz überlegt, ein Handbuch für den Umgang mit Fake News zu entwerfen. Es dürfte nicht nur für Journalisten  von Wert sein. Eigentlich müssten alle Menschen Interesse an der Enttarnung von Fake News haben: Wer lässt sich schon gern wie eine Marionette an unsichtbaren Fäden herumführen?