Familienforschung auch für Bukarest

Marianne Roth bearbeitet die Ortsdatei Bukarest innerhalb des Projektes „Genealogie der Siebenbürger Sachsen“

Tagung in Bad Kissingen zum Thema Genealogie der Siebenbürger Sachsen. Marianne Roth vorne links
Foto: Anneliese Vater

Marianne Roth hat sich einem Mammutprojekt verschrieben. Genauer gesagt, bearbeitet sie vom genealogischen Standpunkt aus den Ort Bukarest, d. h. sie erfasst alle Daten aus den Kirchenbüchern der evangelischen Kirchengemeinde A.B. in Bukarest. Diese Arbeit macht sie im Rahmen des Projektes „Genealogie der Siebenbürger Sachsen“, das unter der Schirmherrschaft des Arbeitskreises für Siebenbürgische Landeskunde e. V. Heidelberg (AKSL) läuft, nicht zu verwechseln mit der parallel existierenden Sektion Genealogie desselben Arbeitskreises. Das umfangreiche EDV-Projekt wiederum wurde 2008 von Dr. Christian Weiss initiiert und wird seit 2013 von Jutta Tontsch weitergeführt. Zum Genealogen-Treffen, das zweimal pro Jahr in Bad Kissingen stattfindet, erscheinen regelmäßig viele der mittlerweile mehr als 80 Mitarbeiter dieses Projektes, um geschult zu werden und Erfahrungen auszutauschen.

Gemeinhin wurde die Genealogie ein wenig belächelt oder auch kritisch beäugt, einerseits weil sie als eine Marotte adliger Kreise angesehen wurde, andererseits weil sie an die üblen Zeiten des „arischen Ahnenpasses“ gemahnte. Heute ist die „Deutsche Zentralstelle für Genealogie“ am Staatsarchiv Leipzig angesiedelt. Der Familienforschung gilt, abgesehen von der Begeisterung zahlloser Hobbyforscher für dieses Genre, heute wieder mehr Anerkennung als wichtiger Bestandteil der Sozial- und Geschichtswissenschaften. Hinzu kommt, dass die aufwendige, oft manuelle Bearbeitung von Quellen, häufig bestehend aus Kirchenmatrikeln – das sind Kirchenbücher samt Tauf-, Heirats- und Sterberegistern – oder auch Familienbüchern, nun ergänzt wird durch eine computergesteuerte Bearbeitung, wie in unserem Beispiel mit dem Programm Gen_Plus. Innerhalb dieses Programms werden die bearbeiteten Orte von den Bearbeitern häufig als „Mandant“ bezeichnet, z. B. der „Mandant Bukarest“. Durch die Vernetzung der so erhobenen Daten durch das Programm TNG (The Next Generation of Genealogy Sitebuilding) ergeben sich Stammbäume, aus dem bearbeiteten Mandanten wird so der Stammbaum Bukarest, der die Familienabfolge mit anderen Ortschaften verbindet. Langfristig ergeben sich dadurch statistisch relevante Fakten, die von Sozialhistorikern zur Erforschung von Migrationsbewegungen, aber auch der durchschnittlichen Lebenserwartung im 19. Jahrhundert und vielem mehr genutzt werden können.

Als vorläufiges Ergebnis können auf der Website (https://aksl.de/genealogie) des siebenbürgischen Projektes in den sogenannten „Ortsfamilienbüchern“ die Geschichte einiger Orte und ihrer Bevölkerung eingesehen werden (unter Orte-Datenbank: https://aksl.de/genealogie-orte/). Der Einzelne kann ganz individuell anhand der Liste der Familiennamen die Verfolgung seiner eigenen Familiengeschichte starten. Im Falle der Millionenstadt Bukarest klingt der Begriff „Ortschaft“ nicht ganz angemessen und man kann sich vorstellen, dass sich der Bearbeiterin Marianne Roth, selbst wenn sich die Arbeit bisher weitestgehend auf die Kirchenbücher der Evangelischen Kirchengemeinde A.B. Bukarest beschränkt, ganz andere Herausforderungen stellen als für eine Gemeinde wie z. B. das siebenbürgische Katzendorf/Caţa. Die vielfältigen Beziehungen der evangelischen Kirche des Altreichs zu Siebenbürgen sind allgemein bekannt, aber ebenso die Tatsache, dass sich in der Hauptstadt die Zusammensetzung der deutschsprachigen Bevölkerung wesentlich heterogener gestaltete als beispielsweise selbst in den größeren Städten Siebenbürgens, wie z. B. Hermannstadt/Sibiu oder Kronstadt/Braşov.

Über so eine durchaus heterogene Familiengeschichte verfügt auch Marianne Roth, was bereits Vater und Bruder zu Recherchen in eigener Sache bewogen hat. Die Beschäftigung mit dieser lag also für sie schon in der Familie, als sie zum Projekt der Genealogie der Siebenbürger Sachsen stieß, dem sie seit den Anfängen angehört und für das sie ab 2010 Bukarest bearbeitet. Selbst ist sie 1937 in Bukarest geboren und zur Schule gegangen. Siebenbürgen war sie durch die Großeltern in Reps/Rupea verbunden, die sie auch oft während der Schulferien besuchte. Ihren Mann lernte sie im Schillerhaus in Bukarest kennen, zog jedoch später zunächst nach Kronstadt und schließlich 1982, wie so viele ihrer Landsleute, nach Deutschland, nach Augsburg, wo sie auch heute lebt. Unter ihren Vorfahren befindet sich der aus Hanau/Deutschland im 19. Jahrhundert eingewanderte berühmte Bildhauer Karl Storck. In gewisser Weise könnte man fast behaupten, der Kreis schließt sich.

Als Grundstock zur Erforschung der Bukarester deutschsprachigen Bevölkerung liegen ihr vor allem die Kirchenmatrikeln seit 1826 vor, ab 1909 auch Konfirmandenlisten. Daneben benutzt Marianne Roth aber auch andere Quellen: neben den Nachweisen, die sich im Archiv des Siebenbürgen-Instituts selbst befinden, auch Zeitungsartikel, Bücher, Todesanzeigen und natürlich immer wieder Hinweise von Privatpersonen. Bis 1910, dem jetzigen Forschungsstand, hat sie 2472 Herkunftsorte und 32.761 Personen eingetragen, teilt sie lapidar mit und verschweigt jedoch nicht, was sich dahinter verbirgt: „Die Leute kamen aus Siebenbürgen, Deutschland, Ostpreußen, Schlesien, Galizien usw., manche auch aus Konstantinopel und London. Erschütternd ist dabei die große Kindersterblichkeit im 19. Jahrhundert. Scharlach, Diphtherie, Tuberkulose, Typhus waren häufige Todesursachen. Es gab auch einen 95-Jährigen, aber allgemein, vor allem bei Männern war das Leben bei 50 – 60 Jahren zu Ende.“

Nicht erfasst sind die Kirchenmitglieder aus den Anfängen der Gemeinde, die ja bereits im 16. Jahrhundert belegt ist, auch Deutsche anderer Konfessionen kommen nur vor, soweit sie in den evangelischen Kirchenmatrikeln verzeichnet sind, dafür erscheinen aber Ungarischstämmige aus der Zeit, als diese auch zur gemeinsamen evangelischen Gemeinde gehörten. Die Auswanderer nach Deutschland werden nach Möglichkeit erfasst und mit denen, die beispielsweise nach Amerika abgewandert sind, beschäftigt sich Monika Ferrier („USA-Auswanderer und Besucher aus Siebenbürgen“ oder: „Der Fantasie freien Lauf lassen“; in: http://siebenbuergen-institut.de/fileadmin/user_upload/pdf_ dateien/usa_auswanderer 2011.pdf). Denn es gibt ja nicht nur die rückwärtsgewandte Frage nach der Herkunft der Bewohner, sondern auch ein ebenso lebhaftes Interesse an ihrem Verbleib, d. h. wohin sie gingen.

Wer eine Vorstellung gewinnen möchte, wie das Ergebnis einmal aussehen könnte, kann auf der Webseite des Projektes unter dem Stichwort Familienforschung Kleinschenk http://familienforschung.kleinschenk.de/ hineinschauen. Bis Bukarest an dieser Stelle erscheinen kann, wird sicher noch ein langer Weg sein, aber vielleicht können Sie auch dazu beitragen, dass es schneller geht. Marianne Roth freut sich jedenfalls auf Ihre sachdienlichen Hinweise. (marianne.roth1 @gmx.net)