Fang an, Dir Sorgen zu machen!

Am frühen Morgen des 24. Juni sind Millionen und Abermillionen von Menschen aus Europa direkt nach dem Aufstehen ziemlich ins Taumeln geraten, und das nicht, weil sie den Schlaf noch in den Knochen hatten, sondern wegen des von einer Nachricht verursachten Schocks: Großbritannien hat sich für den Brexit entschieden. „Brexit, oh shit!“, rief auch ich wie die unzähligen anderen, die sich des Gegenteils sicher gewesen waren. Aus der immensen Flut der konsternierten Medienkommentare in Deutschland schien mir ein jüdischer, von der „Zeit“ zitierter Witz, die Situation am trefflichsten zu definieren: Ein Mann schickt seiner Frau ein Telegramm: Fang an, Dir Sorgen zu machen! Einzelheiten folgen.

Ich postete den Witz auf Englisch kommentarlos bei Facebook, worauf ich mit einer Menge Likes beglückt wurde, aus Deutschland, Rumänien, Frankreich, Portugal usw., die Identifikationsquote der Europäer mit dem warnenden Mann war weit und breit offensichtlich sehr hoch. Mein Freund Bogdan Suceava, Professor für Mathematik in Fullerton, Kalifornien, ein As der Wahrscheinlichkeitstheorie, kommentierte von jenseits des Ozeans: „Ich würde gerne lachen, aber das Problem ist viel zu ernst, und ich beginne langsam alt zu werden.“ Ich meine, Bogdan machte sich zurecht Probleme wegen Europa, doch zu Unrecht wegen des Älterwerdens, zumal wir ja nicht das Alter haben, das wir tatsächlich haben, sondern das, was wir empfinden, wie die meisten Alten behaupten, um sich über ihr Alter hinwegzutäuschen.

Doch mit Europa sieht es nach dem Brexit tatsächlich anders aus. Da Großbritannien der EU den Rücken zugewandt hat, sind die Briten nun out. Und das ist wahrhaftig keine lustige Situation, sodass ich Bogdan eine Message schickte: „Jawohl, es sieht schlimm aus, Bogdan! Fang zu weinen an. Einzelheiten folgen.“ Doch Bogdan bewies diesmal echten Galgenhumor und meinte: „Kennst du diesen rumänischen Spruch: Nasol moment, dar mişto colivă?“ Auf gut Deutsch: Ein tragischer Moment, aber der Leichenschmaus schmeckt lecker. Tja, die Zeiten sind wirklich nicht besonders erheiternd, die Nationalisten sind überall in Europa auf dem Vormarsch, und die Kombination von Demagogie und Idiotie kreischt und kreischt und gebiert Monster. Der deutsche Dichter Novalis stellte im 18. Jahrhundert ironisch fest: „Nicht nur England, sondern jeder Engländer ist eine Insel.“ Der Engländer John Donne wiederum schrieb am Anfang des 17. Jahrhunderts diese zutiefst wahren und häufig zitierten Worte, die 51,9 Prozent seiner heutigen Landsleute jedoch nicht hören wollten, sonst hätten sie gewiss verstanden, dass wir heute stärker denn je voneinander abhängig sind, und dass Isolation aussichtslos ist: „Keiner ist eine Insel, niemand ist ganz für sich allein; jeder ist ein Stück des Kontinents, ein kleiner Teil des Ganzen.“

Was nach dem Brexit genau passieren wird, weiß heute keiner so genau, aber, wenn man eine Prognose wagen dürfte, gibt es diesbezüglich zwei Möglichkeiten: Die Dinge könnten sich so oder so weiterentwickeln. Aber Spaß beiseite, Tatsache ist, dass eine große Mehrheit der Menschen in Europa zutiefst beunruhigt wegen des Brexits ist, und die Kommentare der Medien sind beileibe nicht in der Lage, einem die Stimmung zu heben. Aber es gibt hin und wieder zum Glück auch noch einige erfreuliche Nachrichten, das Boulevardblatt Bild, zum Beispiel, beruhigte direkt nach dem Brexit souverän seine Leser: „Nein, meine Herren, das Guinness wird künftig bestimmt nicht teurer, es kommt aus Irland.“