Fotografische Geschichten im Mittelpunkt

Zentrum für Dokumentarfotografie wurde in Bukarest gegründet

Die erste Ausstellung des Zentrums für Dokumentarfotografie

„Feen“ von Ioana Cîrlig und Marin Raica

„Das Schwarze Meer“ von Petruţ Călinescu

Ioana Călinescu

Marin Raica

Petruţ Călinescu

Ioana Cîrlig
Fotos: Zentrum für dokumentarische Fotografie

Zwei Burschen in weißen, kurzärmeligen Hemden schauen schüchtern in die Kamera: Ionel und Marian aus Negreşti-Oaş stehen unter einem Baum. Ein Ast deckt teilweise das Gesicht eines der Jungen. Mit diesem Bild von Ioana Cîrlig präsentierte sich die erste Ausstellung, die vom frisch gegründeten Zentrum für dokumentarische Fotografie Bukarest organisiert wurde. Auch der Letea-Wald, das Schwarze Meer, das Donaudelta oder die Hauptstadt zählten zu den Hauptfiguren der Schau. Die Gruppenausstellung im Gebäude des Amzei Market Makers zeigte ausgewählte Fotos aus acht Projekten von 10 Fotografen  – „Das Schwarze Meer“ von Petruţ Călinescu, „Feen“ von Ioana Cîrlig und Marin Raica, „Wohnungsmangel“ von Cosmin Bumbuţ, „Diagramm einer Utopie“ von Dani Gherca, „Out of the dark“ von Ciprian Hord, „R.A.P.I. Underground“ von Bogdan Gîrbovan und Michele Bressan, „Im vergessenen Garten gibt es einen Dieb“ von Andrei Nacu und „Delta“ von Alex Tomazatos.

Das Zentrum für Dokumentarfotografie, das dieses Jahr gegründet worden ist, ist zurzeit ein digitaler Knotenpunkt. Der Verein  setzt sich als Ziel, dokumentarische Fotografie in Rumänien zu schaffen und fördern. Die rumänische Fotografie soll auch auf internationaler Ebene durch eine Online-Plattform bekannter gemacht werden, sagen die Initiatoren. Fotoausstellungen, Workshops, Debatten und Fotoalben sind nur ein paar der Veranstaltungen, die von den Mitbegründern Petruţ Călinescu, Ioana Cîrlig, Marin Raica und Ioana Călinescu geplant wurden. Da das Projekt von der Verwaltung des Nationalen Kulturbestandes (AFCN) finanziert wurde, konnten die Projekte „Feen“ und „Das Schwarze Meer“ fortgesetzt und die Internetseite sowie die erste Gruppenausstellung gestartet werden. Die Fotografen wollen ein digitales Archiv herstellen und gelungene Werke der rumänischen Dokumentarfotografie an einem Ort sammeln.

Die Menschen hinter dem Projekt

Sie sind schon seit langer Zeit Kumpel, denn sie haben früher als Journalisten gearbeitet:  Vor einem Jahr hat Ioana Cîrlig vorgeschlagen, dass sie sich zusammenschließen sollen. „Wir haben gedacht, es soll ein Wetteifer der Ideen entstehen“, meint Raica, der zusammen mit Cîrlig am Projekt Post Industrial Stories gearbeitet hat. „Der Hintergrundgedanke war, dass wir ein Dach für diese Art Fotografie haben sollen, das uns hilft, Finanzierungsanträge zu stellen“, fügt er hinzu. Auf diese Weise soll auch eine Gemeinschaft von Fotoliebhabern entstehen. Ob diese Initiative einmalig hierzulande ist? „Es ist etwas Einzigartiges, weil es eine Nische ist. Es ist ein Bereich, der keine Wellen schlägt. Erforderlich sind viele Ressourcen. Es ist nicht geeignet für Postings auf Facebook, sondern für Ausstellungen und Veröffentlichung von Foto-Alben. Wenn man den Kostenaufwand bedenkt, dann kann man gut verstehen, warum es wenige Leute gibt, die das machen“, argumentiert Călinescu. Die USA, England, Frankreich und Deutschland: Raica spricht von Ländern, in denen dokumentarische Fotografie, nicht eine Nische, sondern eine Industrie ist. „Das baut man mit der Zeit auf“, ergänzt Cîrlig. Ein vielsagendes Beispiel findet Călinescu – „Bei Fotowettbewerben bemerkt man, dass es  500 Teilnehmer aus Großbritannien gibt und aus Rumänien sind es zwei“.

Die zeitgenössische dokumentarische Fotografie in Rumänien

Um  einen tieferen Einblick in diesen Bereich zu bekommen und das Niveau nachzuvollziehen, das die  dokumentarische Fotografie hierzulande erreicht hat, muss man an die Vergangenheit denken. Auch verglichen mit anderen Ländern wie Ungarn, Polen, die Ukraine oder Bulgarien, befinde sich Rumänien eine Stufe niedriger. Das habe mit dem Kommunismus zu tun: „Bei uns wurde nur propagandistische Fotografie gemacht, oder auf einem kindlichen Niveau“, glaubt Călinescu. Der Kommunismus hat viele Bereiche geprägt, meinen die Fotografen. „Dieser Bereich hat sich nicht so stark entwickelt, wenn man ihn mit dem rumänischen zeitgenössischen Film vergleicht. In der Fotografie versucht jeder sein eigenes Rezept zu finden“, meint Călinescu. „Auch im Film wurde die Zeit des Kommunismus intensiv behandelt, es gab immer wieder den nostalgischen Blick auf die Vergangenheit in Osteuropa. Dasselbe passiert in der dokumentarischen Fotografie, die  Menschen im Westen erwarten das“, kommentiert Raica.

Pläne für das Zentrum für Dokumentarfotografie

Die Rückmeldungen waren bisher positiv, was die Initiative anbelangt. Die Mitbegründer haben sich vorgenommen, fotografische Geschichten auszuwählen. „Wir haben eine Liste, mit dem, was uns gefällt. Das sind Geschichten aus Dörfern und Städten, aus verschiedenen Orten. Die Herangehensweise soll vielfältig sein“, sagt Raica. „Alle von uns haben verschiedene Meinungen, der eine mag das, der andere jenes, wir besprechen das alles“, sagt Cîrlig. Bei ihren Projekten werden die Fotografen auch von Spezialisten unterstützt. Ethnologen, Soziologen oder Anthropologen helfen bei der Vordokumentation und fahren sogar mit. „Eine gute Zusammenarbeit öffnet neue Wege. Wenn man mit einer Person spricht, dann fallen einem neue Ideen, neue Richtungen ein“, sagt Călinescu. So werde auch die Gefahr vermieden, Fotos zu machen, die dasselbe Motiv haben. „Besonders wenn man von einem bestimmten Thema  besessen ist“, ergänzt Raicu.
Relevant sind fotografische Geschichten und nicht die Fotografen als Einzelne. Ein Projekt, an dem das Team Interesse hätte, wäre zum Beispiel „Das intime Zimmer“ des Fotografen Cosmin Bumbuţ. Als Rumänien der EU beigetreten ist, mussten alle Gefängnisse ein Zimmer für eheliche Besuche haben. „Das ist ein Projekt mit einer interessanten Idee, das gut durchgeführt wurde“, sagt Raica. Eine Internetseite des Zentrums für dokumentarische Fotografie soll in Kürze entstehen. Auf der Internetseite www. cdfd.ro werden Werke von den zehn Fotografen gezeigt, deren Werke bei der Ausstellung präsentiert wurden.

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Der selbstständige Fotograf Petruţ Călinescu ist Mitglied des Netzwerks Panos Pictures und arbeitet meistens für westliche Medien. Persönliche Fotoprojekte hat er auch, das letzte heißt „Das Schwarze Meer“. Sehr bekannt wurde das Projekt  „Pride and Concrete“ (Stolz und Beton), an dem er vier Jahre gearbeitet hat und das u.a. in Berlin, London und Bukarest im Rahmen von Ausstellungen gezeigt wurde. Seine Reportagen wurden von Publikationen wie New York Times, Vice international, Esquire veröffentlicht.

Die Fotografin Ioana Cîrlig hat Filmkunst studiert und als Fotojurnalistin ein paar Jahre gearbeitet. Jetzt widmet sie sich selbständigen langfristigen Dokumentarprojekten. Zu ihren Projekten zählen „Post Industrial Stories“ und „Zâne“ („Feen“), die sie in Zusammenarbeit mit Marin Raica durchgeführt hat.