Französische Kulturmanagerin Annick Lederlé und Art Encounters

Ein Katalysator für die Kandidatur Temeswars für den Titel „Europäische Kulturhauptstadt 2021“

Annick Lederlé bei einer Ausstellung im Ludwig Museum in Budapest

Masterprogramm Kulturpolitik und Management an der Kunsthochschule in Belgrad. Besprechung mit den Kommilitonen. Annick Lederlé (1. links).

Eine der Ausstellungen in der sanierungsbedürftigen U-Kaserne, der ehemaligen Franz-Joseph- oder Transilvania-Kaserne, mit Art Encounters einen Monat lang zum Leben erweckt.
Foto: Zoltán Pázmány

Annick Lederlé beim vergangenen Internationalen Filmfestival „Transilvania“ (TIFF) in Klausenburg
Fotos 1, 2, 4: privat

Sommer oder Winter,  die Villa Kimmel auf dem C.D. Loga-Boulevard in der Temeswarer historischen Stadt fällt jederzeit auf. Die ovalförmigen Fenster mit dem weißen, geschmeidig geschwungenen Gitter davor sind ein Blickfang, sowie der gesamte zwischen 1911 und 1914 nach den Plänen der Architekten Josef Kremmer sen. und Josef Kremmer jun. im Stile der Jahre 1900 errichtete Bau. Seit 1990 ist hier das Französische Kulturzentrum Temeswar, derzeit das Französische Institut Temeswar, untergebracht. Im eleganten Foyer der Villa mit der massiven Holztreppe als Hauptattraktion, die in das zweite Geschoss führt, sitzen drei Personen auf schwarzen, bequemen Ledersesseln, eine der Damen blickt konzentriert auf den Bildschirm ihres Notebooks. Blondes, leicht gewelltes, schulterlanges Haar, ein weiß-blau-lila Kleid mit Arabesken-Muster, lange Stiefel bis unter die Knie. Meine Gesprächspartnerin, die Kulturmanagerin Annick Lederlé aus Paris, zurzeit in Temeswar wohnhaft. Sie hebt den Blick und ein strahlendes, freundliches Lächeln erleuchtet ihr ganzes Gesicht.

Zu Annick Lederlés aktuellen Kunstprojekten gehört die Ausstellung „Versuch´s erneut“ mit Arbeiten junger Temeswarer Künstler, die in der Pygmalion-Galerie im Haus der Künste des Kulturamtes des Kreises Temesch am 24. März eröffnet wird. Ein zweites Projekt ist die Einzelausstellung der französischen Fotografin Sophie Zenon, die ab dem 15. April in der Jecza Gallery, ebenfalls in Temeswar, zu sehen ist. Nächstes Frühjahr plant die Kulturmanagerin ein Projekt zum Thema Außenseiterkunst aus dem Balkan im Halle Saint-Pierre, dem Museum für Art brut in Paris. Dies, da sie sich schon immer für Kunst und Kulturthemen interessierte. Annick Lederlé studierte Archäologie und Film und unterrichtete anfänglich in den 1990er Jahren Geografie und Geschichte auf Italienisch, anschließend war sie in mehrere Kulturprojekte in Frankreich mit einbezogen. 2014 kam sie nach Rumänien, mit ihrem Gatten Daniel Malbert, der seitdem das Amt des Leiters des Französischen Instituts in Temeswar innehat.

Art Encounters und Temeswar Europäische Kulturhauptstadt 2021

„Ich wollte schon seit längerer Zeit ein Masterstudium im Kulturbereich belegen“, so Annick Lederlé zu ihrem im vergangenen Jahr mit einem Doppeldiplom absolvierten UNESCO Master Kulturpolitik und Management an der Kunsthochschule in Belgrad/Serbien in Partnerschaft mit der Université Lumière Lyon 2/Frankreich. Ihre Masterarbeit behandelte das Thema „Art Encounters als Auslöser oder Katalysator für die Kandidatur Temeswars für den Titel ‚Europäische Kulturhauptstadt 2021‘“. „Mein Ziel war, die Strategie, das Kulturmanagement des Events zu analysieren, nicht die Veranstaltungen während der Biennale“, erklärt Annick Lederlé. Und gerade dies soll das Besondere ihrer Masterarbeit ausmachen, da „sich nicht so viele Thesen auf das, was vor einem Event geschieht, beziehen, sondern eher eine Nachanalyse bieten“. Ihre Arbeit handelte zum einen über Art Encounters/Kunstbegegnungen, die erste Biennale für zeitgenössische Kunst, die dann später, im Oktober 2015, in Temeswar über die Bühne ging, und zum anderen über die Kandidatur der Stadt an der Bega für den Titel der Europäischen Kulturhauptstadt 2021.

„Ich konnte feststellen, dass alles gut organisiert war, es war etwas Neues, etwas, worauf das Publikum gewartet hat, etwas Großartiges, das viele Menschen mit eingeschlossen hat, das alle bedeutenden politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Akteure der Stadt mobilisieren konnte“, erzählt die Kulturmanagerin voller Enthusiasmus über die Vorbereitungen für die ersten „Kunstbegegnungen“. Als Begründung für ihre Masterarbeit führte sie mehrere Interviews mit am Unterfangen mitwirkenden Partnern oder außerhalb des Art-Encounters-Teams, u.a. mit dem Initiator und Gründer der „Kunstbegegnungen“, dem Geschäftsmann Ovidiu Şandor, mit der Vorsitzenden der Kulturstiftung „Triade“, Sorina Jecza, den beiden Kuratoren der Art Encounters, Nathalie Hoyos und Rainald Schumacher (Deutschland), dem Temeswarer Vizebürgermeister Dan Diaconu und dem Vorsitzenden des Deutschsprachigen Wirtschaftsclubs „Banat“, Peter Hochmuth.

Temeswar zwischen Vergangenheit und Zukunft

Die Kulturmanagerin konnte auch Stärken und Schwächen der Kandidatur feststellen. „Ein Pluspunkt für alle Gesprächspartner waren die Premieren der Stadt, dass sie die Erste in vielen Bereichen war, einen plurikulturellen Geist aufweist, unter dem Beinamen ‚Klein-Wien’ bekannt ist, usw.“, äußert sich Annick Lederlé dazu. Alles Vorteile, die sich jedoch auf die Vergangenheit beziehen, auch, dass in Temeswar die Revolution im Dezember 1989 ausbrach, wobei sie trotzdem als eine „schlafende“ Stadt bezeichnet werden kann. Der multikulturelle Aspekt soll auch der Vergangenheit angehören, da die rumänische Bevölkerung derzeit die Mehrheit ausmacht und die Minderheiten nur noch 10 Prozent, vermerkt die Kulturmanagerin. „Somit hatte ich den Beweis dafür, dass Art Encounters einen Pluspunkt darstellt, denn es ist ganz auf die Zukunft ausgerichtet.“

Als Schwachpunkt identifizierte sie den Mangel an klaren Richtlinien für die Kulturpolitik der Stadt. Ihre Aussage stützt sie auf die vielfältige Eventpalette und die vielen kleinen Festivals, von denen jedoch keines ein größeres Publikum anziehen konnte. „4000-5000 Events in einem Jahr, von denen viele überhaupt nicht diese Bezeichnung verdienen“, meint Annick Lederlé kopfschüttelnd. Eine weitere Schwäche ist für die französische Kulturmanagerin, dass es den Miteinbezogenen nicht gelang, „Leute zu mobilisieren“. Dies im Gegensatz zum Geschäftsmann Ovidiu Şandor, der „das Charisma und die Glaubwürdigkeit für das wirtschaftliche Milieu besitzt“. Auch sollte die Kulturstrategie der Kunstbegegnungen eine Art „Labor für gute Praktiken“ für die Kandidatur der Stadt darstellen.

„Niveauvoll, ehrgeizig, langandauernd“

Laut Fachleuten ist Art Encounters eine der gelungensten Kunstveranstaltungen des vergangenen Jahres in Temeswar und landesweit. Annick Lederlé vertritt eine ähnliche Meinung, trotzdem findet sie, dass zu wenig junge rumänische Kunst bei der Biennale gezeigt wurde. „Unter den 150 ausstellenden Künstlern bei Art Encounters waren nicht einmal 10 Prozent junge Künstler“, unterstreicht die Kulturmanagerin. Auch landesweit sei dies der Fall. Arbeiten junger rumänischer Künstler, wie beispielsweise Werke von Ciprian Mureşan, Şerban Savu und Adrian Ghenie, sah sie eher im Ausland.

„Ziel der Art Encounters war auch, der Stadt Farbe, ihr eine neue Identität zu verleihen“, so Annick Lederlé. „Bukarest hat das George-Enescu-Festival, Klausenburg das Internationale Filmfestival ‚Transilvania‘ (TIFF), Hermannstadt das Astra-Filmfestival - und was hat Temeswar?“, fragt die Kulturmanagerin. Ihre Antwort: Temeswar hat nun Art Encounters. „Das ist eine neue Identität für die Stadt, eine Identität, konzentriert auf die Zukunft, auf die Gegenwart, denn es geht um zeitgenössische Kunst“, behauptet Annick Lederlé. Dies auch der Grund, weshalb es wichtig sei, dass die Biennale gerade junge rumänische Künstler vorstellt.

Innerhalb der Biennale wirkte Annick Lederlé als Freiwillige mit: Sie war als Kulturmanagerin für die Bildungssparte und die Freiwilligen in Temeswar zuständig. Ehrenamtliche Arbeit hatte sie außerdem beim Astra-Filmfestival in Hermannstadt und beim TIFF-Filmfestival in Klausenburg geleistet.

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Eine Bilanz der ersten Art Encounters zwischen dem 3.-31. Oktober 2015 ergab u.a.:

25.000 Besucher
5.000 Akademiker
160 Schülerbesuche
120 Lehrer
70 Freiwillige
850 Kunstwerke
150 rumänische Künstler
45 Workshops und Tagungen
17 Veranstaltungsorte
14 Kuratoren
7 Residenzen