Gebet um Ruhe im Zeitalter gefährdeten Weltfriedens

Thomas Dadder, Apotheker und Christ mit Weitblick, zu Gast in Hermannstadt

Orthodoxer und katholischer Glaubenshorizont vor der Sakristei der evangelischen Johanniskirche Hermannstadt: Pfarrer Alexandru Ioniță vom IÖFH (links) und Apotheker Thomas Dadder

Spricht man vom Beten oder gar über das von dem Heiligen Johannes Cassian im 4. Jahrhundert patentierte Ruhegebet, fällt höchst-wahrscheinlich ein ganz bestimmtes Gegenargument: Leistung. Um sie dreht sich alles im 21. Jahrhundert, frei nach dem Motto, dass Wettbewerbe für Rennpferde und nicht etwa für Menschen veranstaltet werden. Ehe man sich umschaut, hat einen die Welt bereits ausgenommen wie eine Weihnachtsgans. Am meisten zählt die Leistung, der Mensch steht an zweiter Stelle. Und der Christ? Der wird bestenfalls belächelt. Erwachsene haben die Kunst, andere mit ihren Eigenheiten leben zu lassen, meist schon gelernt, andernfalls würde die Gesellschaft ihnen das Gesicht der Reife absprechen. Unter Jugendlichen hingegen ist nach wie vor „Cool sein“ angesagt, und wer sich die Freiheit gönnt, seelische Feinfühligkeit zu zeigen, gibt sich in den spöttischen Augen des Freundeskreises schmerzende Blöße. Thomas Dadder, selbstständiger Apotheker aus Mönchen-gladbach (Deutschland) und überzeugter Christ, reiste am Mittwoch, dem 30. Mai, auf Einladung des Instituts für Ökumenische Forschung Hermannstadt/Sibiu (IÖFH) Rumänien an. Fünf Tage lang war er Gast in Hermannstadt und Neppendorf/Turni{or, um in theoretischer sowie praktischer Anleitung Interessierten jeden Alters eine anfängliche und tiefere Bedeutung des Ruhegebetes zu vermitteln.

Nichts ist schwer, sind wir nur leicht, behauptete Thomas Dadder zu Beginn seiner Ausführungen in der Bibliothek des IÖFH. So selbstverständlich wie noch nie zuvor in der Geschichte der Menschheit trimme die Materie dermaßen zwingend alles und jeden auf Leistung, dass man schlussendlich nicht mehr sich selbst, sondern seinen Aufgaben und der Stoppuhr Vorgesetzter gehört. Loslassen heißt, dem Hamsterrad mit intakter Gesundheit und Psyche zu entkommen. Die Urform des Jesusgebetes oder Herzensgebetes, dem orthodoxe Kirchen in ihrer geistlichen Praxis große Bedeutung zumessen, ist das halbstündige Ruhegebet. Johannes Cassian wurde 365 n. Chr. in der römischen Provinz Scythia Minor, dem Gebiet der Dobrudscha, in jene frühe Episode der europäischen Kirchengeschichte hineingeboren, als der Zug der Zeit viele Christen dazu inspirierte, lange Reisen zu unternehmen und in Städten wie Jerusalem und Rom Ursprünge christlicher Lebensprägung zu suchen. Johannes Cassian schreckte auch nicht davor zurück, zehn Jahre seines Lebens in der ägyptischen Wüste zu verbringen, um sich mit der Kargheit mönchischen Lebens vertraut zu machen. Ebendort lernte er von den Wüstenvätern, die Widerrede gegen den Teufel zu exerzieren. Was sich Jahre später in Marseille für ihn herauskristallisierte, war jedoch nicht vorrangig die Sprache des Hasses, sondern vielmehr ein nach innen gekehrtes Gebet um Ruhe. Seither beten Mönche und Nonnen in den von Johannes Cassian in Marseille gestifteten Klöstern Sankt Viktor und Sankt Salvator bis heute um innere Ruhe.

Für jede betende Person sind Ruhegebet und halbstündiges Alleinsein zwingend identisch, doch wirkt Beten in der Zurückgezogenheit zuweilen auch positiv überraschend. Thomas Dadder hat wohl nicht unrecht, wenn er davon erzählt, sich selber durch die Entdeckung des Ruhegebetes während einer Lebensphase hoher Anspannung unwissentlich ein gesundes Abnehmen überhöhter Blutwerte geschenkt zu haben. Er ist nicht nur Apotheker, sondern auch einer von zig Lehrenden des Ruhegebetes, die deutschlandweit Fortbildungen durchführen und suchenden Christen helfen, in gesunde Lebensspuren zurückzufinden.
Nichteingeweihte mögen die heilende Wirkung des Loslassens während des Ruhegebets als übertriebene Frömmigkeit abtun. Für Thomas Dadder hingegen ist Frömmigkeit keine Definition blinden Glaubens an die Erlösung im Jenseits, sondern mit unmittelbarer Erfahrung gleichbedeutend. Hierzu beruft er sich auf ein Zitat des Jesuiten Karl Rahner (1904-1984): „Der Fromme von morgen wird ein Mystiker sein, einer, der etwas erfahren hat, oder er wird nicht mehr sein“. Dazu passt wohl auch ein Warnzeichen des Jesuiten Pierre Teilhard de Chardin (1881-1955), von dem der Ausspruch einer traurigen Zukunftsperspektive stammt: „Die Zeit ist nicht mehr fern, wo die Welt zwischen Selbstmord und Anbetung wählen muss“. Zugegeben, der Mann sollte Recht behalten, wenn man sich die aktuelle, von USA-Präsident Donald Trump unvorhersehbar gesteuerte Weltpolitik vor Augen führt.

Thomas Dadder begegnet Hiobsbotschaften auf dem Planeten Erde mit Gottvertrauen und bestätigt, dass das Ruhegebet einem Menschen nichts Besonderes abverlange, ihm dafür aber die Fähigkeit schenken kann, die eigene Leidensfähigkeit erstaunlich weit auszudehnen und seelischem Versagen den Wind aus den Segeln zu nehmen. Ausschließlich nach innen richtet sich das Ruhegebet. Seine nach außen hin kollektiv heilende Wirkung könne sich nur entfalten, indem die Zahl derer, die das Ruhegebet kennenlernen und sich in die Obhut Gottes durch Jesus Christus stellen, kontinuierlich zunimmt. Und weil das Ruhegebet ein Alleinsein mit Gott bedeutet, wendet es natürlich rein neutestamentarische, nicht aber neubekehrende Gedankenauswüchse an. Das Ruhegebet ist keine Ideologie, sondern ein zutiefst ökumenischer Gegenstand. Thomas Dadder erwähnt frei heraus und jeweils freundlich anerkennend, dass die Evangelische Kirche für das Wort, die Orthodoxe Kirche für das Bild, und die Katholische Kirche für das Amt stehe. Um das Ruhegebet auszuüben, genügt es einfach, Christ zu sein. Selbst der Autor und 1981 geweihte römisch-katholische Priester Peter Dyckhoff (Jahrgang 1937), dem das deutschsprachige Abendland die Wiederentdeckung des Ruhegebetes in den 70er-Jahren verdankt, war als junger Mann wegen beruflichem Erfolgszwang in eine bedrohliche Alkohol- und Medikamentenabhängigkeit geraten, aus der er durch das Ruhegebet wieder herausfand.

Im Laufe der Menschheitsgeschichte hat das Ruhegebet zweifelsohne die Biografien vieler Christen von schädlichen Einflüssen gereinigt, jedoch ohne Betenden Scheuklappen aufzusetzen oder zu hochnäsiger Weltentfremdung zu erziehen. Thomas Dadder ist mit einer gebürtigen Rumänin orthodoxer Konfession verheiratet und Vater dreier Kinder. Als die junge Geschichte Rumäniens die Hauptplätze Bukarests 1990 zum Schauplatz gewaltsamer Niederschlagungen gegen zivile Protestkundgebungen werden ließ und die Mineriaden auf Befehl von Ion Iliescu Angst und Schrecken verbreiteten, war Thomas Dadders Ehefrau mit auf der Straße gestanden und entkam nur knapp einem Waffenprojektil, das ihren direkten Nachbarn auf der Stelle tötete. Auf politisches Kommando angerückte Bergbauarbeiter hatten weiterhin den Schwager Thomas Dadders in einem anliegenden Supermarkt grundlos brutal zusammengeschlagen. In Anbetracht spannender familiärer Biografien und vor dem Hintergrund postrevolutionärer Irrwege in die politische Freiheit nimmt es nicht wunder, dass viele Menschen noch immer von ihrem Heimatland Rumänien eine ungefärbt ehrliche Bitte um Verzeihung erwarten. Verbrechen gegen die Menschlichkeit wie beispielsweise die von Ion Iliescu geführten Mineriaden sollten der Aussicht auf Verjährung nicht unterliegen dürfen.

Thomas Dadder weiß um den außen- und innenpolitischen Kreuzweg Rumäniens Bescheid, geht aber auch an kontroverse Gesprächsthemen mit christlicher Würde heran. Den Schritt von der anfänglichen Vergebung hin zur letztendlichen Versöhnung Rumäniens hält er für realistisch, spricht aber sein rationales Verständnis für die Tatsache aus, dass Rumäniens öffentliches Ansuchen um Verzeihung hinsichtlich Vergangenheit und Gegenwart vor der landeseigenen Bevölkerung noch nicht erfolgt ist. Geduldig speist der Apotheker Thomas Dadder seine Friedensvision mit dem Ruhegebet nach Johannes Cassian, das er auch dem christlichen Rumänien als Heilmittel ans Herz legen möchte.