Gemeinsam ist mehr möglich

Eine spannende Studienwoche in Bozen

Austausch über Minderheitenzeitungen im Besprechungsraum der „Dolomiten“-Redaktion. Die Journalisten stellen ihre Zeitungen vor.
Foto:Christine Chiriac

Dass Kultur Vertrauen erzeugt, vor allem in multiethnisch geprägten Gegenden, dürfte keine Neuigkeit sein. Zu Englisch heißt das „Generating Trust by means of culture in multi-ethnic environment“ und ist unter anderem die Überschrift einer Studienwoche, die im Spätherbst in Südtirol, Italien, stattgefunden hat. Die Veranstalter, die Europäische Akademie (EURAC) Bozen/Bolzano und die dazu gehörende Europäische Vereinigung von Tageszeitungen in Minderheiten- und Regionalsprachen (MIDAS) wollten damit hervorheben, dass gebündelte Kunst- und Kulturinitiativen das Zusammenleben verschiedener Ethnien verschönern.

Die EURAC selbst ist ein hochmodernes Zentrum für Wissenschaft und Forschung, in dem interdisziplinäre Teams aus 20 Herkunftsländern zu Themenschwerpunkten wie Sprachwissenschaft, Minderheiten und Autonomie, nachhaltige Entwicklung sowie Management und Unternehmenskultur kollaborieren.

Die MIDAS konzentriert ihre Tätigkeit auf ein international noch unterschätztes Segment – „unterschätzt“, weil wenige  wissen, dass in der EU rund 50 Millionen Menschen „nicht offizielle“ Sprachen sprechen. MIDAS steht seinen rund 30 Mitglied-Publikationen seit etwa einem Jahrzehnt mit Rat und Tat bei, fördert die Entstehung von Netzwerken, betreibt Lobbyarbeit für mehr politische und finanzielle Unterstützung, „erzieht“ das öffentliche Bewusstsein für Minderheiten- und Regionalsprachen.

Man wundert sich nicht, dass EURAC und MIDAS ihren Sitz gerade in Südtirols Hauptstadt Bozen haben. Das schwierige Erbe dieses „Transitgebiets“ merkt man bereits an der Stadtarchitektur – Bozen besitzt unter den italienischen Ortschaften die höchste Konzentration von faschistischen Gebäuden.

Die Provinz gehörte über mehrere Jahrhunderte dem Habsburgerreich an und wurde erst 1919 dem italienischen Staat angegliedert. Faschismus und Nazi-Besatzung härteten die Fronten zwischen den italienisch- und deutschsprachigen Südtirolern. Wer zu Gewalt griff, galt für die einen als „Terrorist“, für die anderen als „Freiheitskämpfer“. Erst in den siebziger Jahren wurden auf politischer Ebene gemeinsame Maßnahmen getroffen, um den Konflikt zu lösen.

Heute setzt Südtirol für ganz Europa den Standard für friedliches, produktives Zusammenleben von Völkern und Sprachgruppen.
An der Studienwoche der MIDAS nahmen sechs Journalisten teil sowie Studenten und Promovierende von rumänischen und ungarischen Universitäten. Vertreten in der Runde waren fünf europäische Minderheiten: die Slowenen aus Italien (Trieste), die Deutschen und die Ungarn aus Rumänien (Kronstadt/Braşov, bzw. Klausenburg/Cluj und Großwardein/Oradea), die Polen aus Litauen (Vilnius) und die Schweden aus Finnland (Jakobstad) – eine bunte Besetzung für ein buntes Programm.

Im Mittelpunkt stand das Kulturprojekt „Generating Trust“ (Vertrauen erzeugen), eine „junge“ Initiative, die von einer Nichtregierungsorganisation aus Pressburg/Bratislava, einem Kultur- und Eventveranstalter aus Budapest, einer privaten Stiftung für experimentelle Kunst aus Klausenburg sowie der EURAC Bozen mit Leben gefüllt wird.

Den Anlass zur Entstehung dieses Projekts gaben paradoxerweise gerade interethnische Spannungen – damals zwischen ungarischer Minderheit und slowakischer Mehrheit. Die kulturelle Zusammenarbeit erwies sich als gelungener erster Schritt zur „Versöhnung“. Man stellte gemeinsam fest, dass auf der Kunstszene interkulturelle Begegnungen oft natürlicher, unbefangener, vorurteilsfreier verlaufen als im Alltag oder in der Politik, dass das Aufeinander-Zugehen von verschiedenen Kulturen immer einen Mehrwert mit sich bringt, sei es bei Ausstellungen oder Musikprojekten, bei Kurzfilmen oder Tanzperformances.

„Sehr wenige Institutionen sind jedoch offen für diese Art von Zusammenarbeit“, erklärte den Journalisten und Studenten einer der Initiatoren von „Generating Trust“. Sein Wunsch für die nächsten drei-vier Jahre sei deshalb, das Interessenten-Netzwerk zu erweitern und eine Datenbank mit „gemischt ethnischen Veranstaltern“ aufzustellen. Praktische Beispiele dafür fehlten auch im Rahmen der Studienwoche nicht: die gesellschaftskritische, ironische Kunstausstellung des rumänischen Künstlers Dan Perjovschi im Turm der EURAC wurde von Musik der armenisch-ungarischen Gruppen „4 free Birds“ und „Wattican Punk Ballet“, des Ladiners Jean Ruaz und des ungarischen DJ Bergi ergänzt.

Ein Erlebnis, vor allem für die Journalisten in der Gruppe, war der Nachmittag im Verlagshaus Athesia Druck GmbH und in den Redaktionsräumen der Publikation „Die Dolomiten“. Letztere ist mit einer verkauften Auflage von rund 50.000 Stück täglich (freitags sogar 80.000) die meistgelesene deutschsprachige Tageszeitung in Südtirol. Sie wurde vor 130 Jahren als „Der Tiroler“ gegründet, musste jedoch bald den für die Faschisten „zu deutsch klingenden“ Namen ändern.

Erst nach dem Niedergang der Diktaturen konnten „Die Dolomiten“ mit dem heutigen Untertitel „Tagblatt der Südtiroler“ wieder problemlos herausgegeben werden. Trotz der Tatsache, dass es sich um eine „Minderheitenzeitung“ handelt, besitzt diese beinahe eine Monopolstellung und ist das bestimmende Medium in Südtirol.

Die Teilnehmer der MIDAS-Studienwoche wurden auch vom Landtagspräsidenten Mauro Minniti offiziell begrüßt. Für die Italiener trägt der Südtiroler Landtag den Namen „Consiglio della provincia autonoma di Bolzano“, für die Ladiner – eine winzige romanischsprachige Ethnie –  „Cunsëi dla Provinzia autonoma de Bulsan“. Und offen für Einwanderer war die Provinz schon immer: Landtagspräsidentin a. D. Veronika Stirner erinnerte sich im Gespräch mit der Gruppe an das siebenbürgische Agnetheln/Agnita, aus dem ihr Vater stammt. Insgesamt soll es in Südtirol heutzutage rund 40.000 Immigranten geben, die vornehmlich in den wirtschaftlichen Vorzeige-Branchen Landwirtschaft und Tourismus tätig sind.

Zum Abschluss der Studienwoche fand im Alten Bozener Rathaus ein Rundtischgespräch mit Vertretern aus Kultur, Politik und Wirtschaft zum Thema Kunstförderung statt. Die Teilnehmer waren sich einig, dass „interethnische Projekte viel mehr bringen als ethnisch monolithische“ und dass privates Sponsoring dabei eine immer wichtigere Rolle spielt. Es sei „sehr trendy, als Unternehmer sozial engagiert zu sein“, also sollte man unter Förderern wie unter Kulturschaffenden die Kräfte bündeln. Auch hier gilt die magische Formel „Gemeinsam statt einsam“.