Hassrede – eine Gefahr für die Demokratie?

Definition, Sensibilisierung, Früherkennung und Probleme bei der Bekämpfung

Diskussion zur Eröffnung des DRI-Projekts im Bukarester Goethe-Institut: v. l. Thomas [indilariu (DRI), Moderatorin Sara Vasile, Gabriela Ghindea (Auschwitz-Institut), Boris Velimirovici (TVR), Csaba Asztalos (CNCD). Foto: George Dumitriu

Hassrede – ein neues Modewort: Aber was ist das überhaupt? Wie erkennt man sie und wohin kann sie führen? Die Geschichte gibt uns eine Antwort: im schlimmsten Fall zum Holocaust. Hassrede muss daher im Ansatz bekämpft werden, darin sind sich Experten einig: durch Aufklärung, Präventionsmaßnahmen, Verbote und Strafen. Doch beschränkt das nicht die freie Meinungsäußerung als Grundpfeiler der Demokratie? 

Ist das Eliminieren und Bestrafen von Hassrede Zensur – oder gibt es eine journalistische Verantwortung dazu? Und wem kann man sie auferlegen? Vor allem aber: wie? 
Teil des Problems sind nicht nur die Herausgeber von Presse-, TV- und Hörfunkbeiträgen, sondern auch das Posten, Kommentieren, Verbreiten und Teilen im Online-Raum, das jeden zum „Journalisten“ macht.

Besonders in Krisenzeiten treibt Hassrede wilde Blüten, wie die Coronavirus-Pandemie gezeigt hat. Sie hetzt auf, grenzt aus, spaltet die Gesellschaft, verunsichert, manipuliert – und bedroht die Demokratie! Keine Gesellschaft ist davor gefeit und die Kommunikationskanäle entwickeln sich rasend, mögliche Mittel für Gegenmaßnahmen hinken hinterher. Ein wichtiger erster Schritt zur Bekämpfung ist Aufklärung von Schlüsselpersonen auf breiter Front, etwa Lehrer, Polizisten, Journalisten. 

Hassrede verletzt ein Grundrecht

Am 17. Juli wurde in der Bibliothek des Goethe-Institutes Bukarest ein Projekt zur Instruktion von Journalisten der audiovisuellen Medien („Curs de instruire pentru jurnali{ti privind combaterea discursului de ur˛ în mass-media audiovizual˛, în România”) eröffnet, initiiert vom Departement für interethische Beziehungen an der Regierung Rumäniens (DRI), in Kooperation mit den Botschaften Israels und Deutschlands, unterstützt von der Europäischen Union. Die Diskussion der geladenen Experten bot Gelegenheit, dem Problem von mehreren Seiten auf den Zahn zu fühlen.

Grundlegend wichtig ist zu wissen: Hassrede, auch im vermeintlich rechtsfreien Raum des Internets, verstößt gegen die Rechte der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) und greift damit die Diskussionskultur unserer demokratischen Gesellschaft an! Der Europarat hat daher schon lange erkannt, dass die Zielgruppen – ethnische oder sexuelle Minderheiten, Behinderte, Andersgläubige, etc. – geschützt werden müssen. 

Hassrede marginalisiert, schafft die Basis für Gewalt und erzeugt Opfer, warnt Sophie Elizeon, Vorsitzende des European Steering Committee on Anti-Discrimination, Diversity and Inclusion (Europäischer Lenkungsausschuss für Antidiskriminierung, Vielfalt und Integration, CDADI), in ihrer Videobotschaft. Die Rolle des Journalisten sei gerade in Krisenzeiten essenziell, betont Sara Vasile, Juristin und Lektorin an der Universität Paris 1 – Pantheon-Sorbonne, die die Diskussion moderiert. 

Die Idee der Ungleichheit

Nicht immer sind es die „klassischen Randgruppen“, die die zu Opfern werden. Thomas [indilariu, Unterstaatssekretär im DRI, verweist auf den jüngsten Altersheimskandal. Wie könne man sich erklären, dass unsere Senioren so behandelt werden? Es sei die Idee der Ungleichheit, die dem Phänomen zugrunde liegt, die vermeintliche Minderwertigkeit des anderen. 
Aus kleinen Formen der Intoleranz kann sich mit der Zeit Hass entwickeln. Und die Zahl der Extremisten und Hasser, die in der Öffentlichkeit sichtbar werden, wächst. 
Seit 2020 betreibt der DRI daher verstärkt Projekte zur Bekämpfung aller Formen von Intoleranz und Förderung der Idee der Diversität. Im aktuellen Projekt soll im Dezember ein Pilotkurs starten, der sich im ersten Modul mit praktischen Tipps zur Verhinderung von Hassrede und im zweiten mit der Bekämpfung befasst.

Definition und Früherkennung

Doch wie unterscheidet man Hassrede von freier Meinungsäußerung? Der israelische Botschafter, S.E. Reuven Azar, verweist auf die Definition des Menschenrechtlers Anatoly Shcharansky, der die „drei Ds“ als Erkennungszeichen geprägt hat: 

1. Dämonisierung – etwa, wenn alle Juden über einen Kamm geschoren und ihre Handlungen außer Proportion dargestellt werden.

2. Doppelter Standard – wie die selektive Kritik des TV-Senders Al Jazeera am „unmoralischen Verhalten Israels“, ohne den selben Maßstab an arabische Staaten anzulegen.

3. Delegitimisierung – wenn man Anderen Rechte oder gar die Existenzberechtigung abspricht.

Gabriela Ghindea vom Auschwitz-Institut zur Verhinderung von Genozid und Massenvernichtung betont die Wichtigkeit der Früherkennung. „Massenvernichtung geschieht nicht nur in exotischen Ländern und auch nicht über Nacht, sondern entwickelt sich langsam. Es gibt viele klare Warnsignale, keine Gesellschaft ist davor immun.“ Anzeichen müssten rechtzeitig erkannt und durch ausgebildete Meinungsbildner eliminiert werden.

Das Ziel von Hassrednern ist die Fragmentierung der Gesellschaft, wobei einzelnen Gruppen die Menschenwürde abgesprochen wird. Hassrede ist der Vorläufer von Genozid, der möglich wird, sobald eine kritische Masse an Menschen an dessen Berechtigung glaubt. Ghindea definiert drei Stufen der Entwicklung: 1. Intoleranz und Negierung, 2. Diskriminierung und Bedrohung, 3. Anstiftung zum Genozid. „Aus Bullying kann also sehr schnell mehr werden. Und viele Opfer wissen gar nicht, an wen sie sich wenden sollen.“ 

Ein weiteres Problem bei der Bekämpfung sei das Fehlen klarer Kriterien und die Ineffizienz der Erkennung durch Software, etwa mit Schlüsselwörtern. Dabei sei das Problem extrem verbreitet, suspendierte Medienkanäle nur die Spitze eines Eisbergs. Wichtig sei auch, die Rolle von Trolls und Bots zu verstehen. „Und die Diskussion um künstliche Intelligenz als Risikofaktor hat noch nicht einmal begonnen!“ Sie verweist aber auch auf ein Dilemma: die Gefahr der Überkontrolle. Bestrafung kann als Zensur oder Einschränkung der Meinungsfreiheit verstanden werden. 

Medienkontrolle und Berufsethik

Boris Velimirovici, Aufsichtsratsmitglied des öffentlich-rechtlichen Fernsehen, verweist darauf, dass der Begriff „Journalist“ nicht geschützt sei. Wichtig wäre ein Berufsethikkodex, denn öffentliche Medien haben eine Verpflichtung vor ihren Zuschauern, Lesern oder Hörern. Orsolya Borsos, Mitglied des Hörfunk- und Fernsehrates CNA, bestätigt: Das Monitoring zeige nur die einen kleinen Teil der Fälle auf, „denn wir arbeiten auf Basis von Meldung und Beschwerde“. Die gute Nachricht: Seit letztem Jahr kann der CNA auch bei bestimmten Online-Medien intervenieren, wie Plattformen zum Teilen von Videos. 

Für Iulian Stoian von der Nationalen Roma-Agentur ist Hassrede gegen Roma seit Jahren ein Thema, weshalb man eine Kampagne zur Sichtbarmachung von Erfolgsbeispielen unter Roma ins Leben gerufen habe. Seit Einführung des Antiziganismus-Gesetzes 2021 werden Massenmedien auf Anti-Roma-Diskurs monitorisiert. Journalisten seien eher korrekt – doch die Online-Kommentare brandgefährlich!

Gesetzeslücken schließen

Man müsse gemeinsam einen Weg finden, Hassrede vor Gericht zu bringen, meint Christian Plate, Gesandter der deutschen Botschaft. Zsolt Molnar, stellvertretender Ombudsmann, erklärt: „Die Verfassung sagt ziemlich klar, was verboten ist. Nur in den speziellen Gesetzen findet man das nicht wieder.“ 

Er fordert neben Sanktionsmöglichkeiten von audiovisuellen Medien dasselbe für Printmedien und Bürger. Und kritisiert: Soziale Medien hätten „überhaupt keine Kommunikation mit dem Staat“. Auch Csaba Ferenc Asztalos, Vorsitzender des Antidiskriminierungsrates CNCD, beklagt den Mangel an legalen Mechanismen gegen Holocaustleugnung und Xenophobie im Netz.